Die Überschrift ist kein Druckfehler. Gemeint ist der niederländische Restaurantführer in Heft-Format, den es mittlerweile schon im 42. Jahrgang gibt. Seine Funktion bei unseren Nachbarn ist mit den deutschen Führern kaum vergleichbar. Natürlich überstrahlen die Michelin-Sterne auch in den Niederlanden alles. Der Gault Millau hat allerdings wegen vieler – auch verlegerischer – Probleme kaum eine wesentliche Bedeutung und kann sich gegenüber „Lekker“ nicht behaupten. Anders als die üblichen Führer geht es bei „Lekker“ nicht um Bewertungen, sondern um ein Ranking – beschränkt auf die Top 100. Insgesamt werden im Heft die „500 besten Restaurants der Niederlande“ vorgestellt, und das mit mehr oder weniger großen Texten. Die Restaurantkritiken im einzelnen beginnen auf Seite 100 (von 290 Seiten). Vorher gibt es neben einer Reihe von Spezialrankings allerlei zur aktuellen Szene und einige interessante Interviews.
„De Leest“ schließt
Platz 4 in den Top 100 bleibt in diesem Jahr leer, und das zu Ehren der Leistungen von Jacob Jan Boerma und Kim Veldman. Die beiden haben beschlossen, ihr Drei Sterne-Restaurant in Vaassen nach 17 Jahren zu schließen, und zwar nicht wegen ausbleibender Nachfrage, sondern um sich nach harter Arbeit mehr um ihre anderen kulinarischen Aktivitäten kümmern zu können. Mit „De Leest“ verlieren die Niederlande nach Sergio Herman und seinem „Oud Sluis“ abermals ein Drei Sterne-Restaurant – und das aus ähnlichen Gründen. Da muss man unweigerlich an den Spitzensport denken: man macht es, so lange es irgendwie geht, ist dann aber irgendwann ausgelaugt und will sich den Stress nicht mehr weiter antun. Der Rücktritt ist bedauerlich. Aber – man wird sehen, wie es weitergeht. Ich habe mit verschiedenen Köchen in ähnlichen „Verhältnissen“ gesprochen, die ebenfalls darüber nachdenken, ob sie für alle Zeiten so weitermachen wollen wie bisher. Das Interesse an High End – Küche wird dabei nie ausgeschlossen. Viele liebäugeln mit Chefs-Tables und einer übersichtlicheren Arbeit mit weniger Personal, weniger Aufwand und weniger „Bürokram“.
Die Top 100
In den Niederlanden gibt es an der Spitze eine ähnliche Stabilität wie bei uns in Deutschland. Nummer 1 bleibt Jannis Brevet vom „Interscaldes“ in Kruiningen, einer der zwei verbliebenen Drei Sterne-Köche des Landes. Der zweite, Jonnie Boer von der „Librije“ in Zwolle steht auch im „Lekker“ auf Platz 2. Nummer drei ist Jan Sobecki (früher „Chapeau“ in Bloemendal) vom „Tribeca“ in Heeze in der Nähe von Eindhoven, der in den Räumen des ehemaligen „Boreas“ kocht und zu den Aufsteigern der letzten Jahr gehört. Schon vor einigen Jahren hatte ich in meiner FAZ – Geschmackssache auf Soenil Bahadoer vom „De Lindehof“ im Van Gogh-Ort Nuenen aufmerksam gemacht, weil man bei ihm eine wirklich originelle, karibisch beeinflußte Kreativküche bekommt. Er steht mittlerweile im „Lekker“ auf Platz 5. Auf Platz 8 liegt nach einem weiteren deutlichen Aufstieg nun das „Pure C“ von Syrco Bakker, der in diesem ersten Ableger von Sergio Herman dessen Stil nicht in Vergessenheit geraten läßt. Auf Platz 9 folgt der bei uns kaum bekannte Francois Geurds vom „FG Restaurant“ in Rotterdam, oft mit dem Begriff „Molekularküche“ in Verbindung gebracht, mittlerweile aber – wie viele seiner spanischen Kollegen – ein vielseitiger Avantgardist mit immer neuen Ideen. Platz 10 gehört der einzigen Köchin an der Spitze, Margo Ruiten vom „Da Vinci“ in Maasbracht.
Im weiteren Verlauf der Liste sollte man vielleicht noch zwei Adressen in Amsterdam und eine in Maastricht erwähnen. Auf Platz 20 finden sich zwei große Aufsteiger, Richard van Oostenbrugge und Thomas Groot (beide vormals „Bord’Eau“) vom „212“, wo man (wie bei Frantzen in Stockholm) rund um die Küche sitzt und Modernes probiert. Auf Platz 41 findet sich nun Moshik Roth, von dem es Markantes zu berichten gibt (siehe unten). Neueinsteiger auf Platz 36 sind die Nachfolger von Hans van Wolde im spektakulären „Beluga loves you“ in Maastricht.
… und sonst noch
Im allgemeinen Teil von „Lekker“ gibt es z.B. ein Interview mit Moshik Roth, dessen Restaurant jetzt nur noch den Namen „&moshik“ trägt. Roth galt ja lange Jahre als designierter Nachfolger von Jean-Georges Klein in der „Arnsbourg“ in Baerenthal. Nachdem Klein das Familienrestaurant aber verlassen hatte, war auch die geplante Übernahme durch Moshik Roth kein Thema mehr. Die Neuorientierung von Roth in seinem Restaurant in der Nähe des Hauptbahnhofs in Amsterdam ist energisch. Er will in Amsterdam bleiben und dort „das beste Restaurant der Welt werden“. Man wird sehen. Es gibt allerdings Hinweise, wie den von Jonnie Boer, den ich bei jedem Treffen frage, in welches Restaurant in den Niederlanden ich dringend gehen sollte. „Moshik“, sagte er, „geh zu Moshik, der ist richtig gut geworden.“
Die jährliche Sergio Herman – Kolumne in „Lekker“ befaßt sich mit dem Niedergang der Welt und der Gastronomie. „Bei unseren Freunden ist die am häufigsten gestellte Frage: Kennst du noch gute Menschen?“, heißt es da zum Beispiel. Sergio ist aber guter Dinge und kündigt weitere Aktivitäten für die Zukunft an. Sein Meisterschüler Syrco Bakker vom „Pure C“ wird 24 Stunden lang begleitet, es gibt weitere Features aus dem Bereich der Gastronomie und natürlich auch eine Vorstellung neuer Talente.
Die Texte zu den Restaurants haben in „Lekker“ oft einen etwas schematisch und ein wenig „altfränkisch“ klingenden Ton, sind dafür aber ohne Polemik und um klare Informationen bemüht. In der Regel werden vor allem die Gerichte der jeweiligen Besuche beschrieben. Weitere Ausführungen – wie sie etwas bei uns im Gault Millau üblich sind – kommen eher selten vor. Etwas unklar bleibt bisweilen die Stilistik der Restaurants. Während man früher im Inhaltsverzeichnis noch Kategorien wie „modern- französisch“, „asiatisch“ o.ä. hatte, findet man jetzt wenig Details. Was regelmäßig Erwähnung findet, sind allerdings die getrunkenen Weine. Die Niederlande erscheinen in „Lekker“ manchmal ein wenig wie eine Insel für sich, wie eine sehr seriöse, gut geführte, handwerklich orientierte Firma, die von „Lekker“ auf Tuchfühlung begleitet wird.
„Lekker“ gibt es an jedem guten Kiosk mit Zeitschriftenverkauf. Das Heft kostet 14,99 Euro und hat 290 Seiten.