Es kann gut sein, dass bei der Kombination von Wein und Speisen kaum jemals das Potential dieses Zusammenspiels wirklich ausgeschöpft wird – und das weder zu Hause, noch in vielen Restaurants bis hin zu ganz bekannten Adressen. Um die Weinbegleitung wird oft viel Wind gemacht. Es gibt Unmengen von Büchern, in denen zu bestimmten Gruppen von Gerichten bestimmte Weine empfohlen werden, es gibt sogar wie ehern wirkende Grundregeln, dass bestimmte Weine vor allem zu bestimmtem Essen passen. Das alles ist im Grunde höchst problematisch und geht oft gravierend an den Realitäten des Trinkens und Schmeckens vorbei. Um dieses Problem zu lösen, muss man eigentlich gar nicht viel tun. Aber man muss sich der Zusammenhänge bewusst werden. Tut man das allerdings nicht, kann es passieren, dass nicht nur beträchtliche Enttäuschungen die Folge sind, sondern auch das Potential der Kombination von Wein und Speisen überhaupt nicht ausgeschöpft wird. Es kann ohne weiteres ein, dass jemand eine im Prinzip exzellente Kombination vor sich hat, die aber gar nicht erst zur Entfaltung kommt, weil er komplett kontraproduktiv damit umgeht.
Im Prinzip müsste man lernen, wie man mit Wein und Speisen umgeht. Aber – wer so etwas einem Gast auch nur andeutet, bekommt meist gewaltigen Gegenwind. Viele Leute sind nirgendwo so unbelehrbar wie bei Essen und Trinken. Dass sie dabei manchmal hervorragende Gerichte und hervorragende Weine zu Banalitäten reduzieren, weil sie grobe Fehler machen, ist kaum vermittelbar – so bizarr es auch scheint.
Hier einige Punkte, die eine wichtige Rolle spielen
Die Proportionen
Wer einen Bissen gerade heruntergeschluckt hat, in Ruhe ein paar Sekunden wartet, vielleicht auch noch ein paar Worte zum Tischnachbar sagt, dann zum Glas greift und einen großen Schluck Wein nimmt, bekommt in der Regel keinen Akkord zwischen Wein und Speisen mehr mit. Er wird fast ausschließlich den Wein schmecken, und der Wein wird so schmecken, als ob man ihn ohne Essen trinkt. Der Grund ist einfach: Nach dem Herunterschlucken eines Bissens bleiben im Mund je nach aromatischer Struktur des Essens mehr oder weniger Geschmackspartikel übrig. Wenn sie nicht besonders intensiv sind, sind sie nach kurzer Zeit verschwunden und können nicht mehr mit einem Wein, den man mit einem großen Schluck trinkt, reagieren. Wäre der Schluck eher klein, könnte sich eine Reaktion wesentlich eher ergeben. Andererseits könnte auch ein zu kleiner Schluck bei einem kräftigen Essen dazu führen, dass der Wein nicht den besten Effekt zeigt. Er könnte aromatisch sozusagen „unter die Räder kommen“ und von Aromen im Essen überlagert oder verändert werden.
Der Zeitpunkt, oder: wie man mit der „Kontaktstelle“ umgeht
Man sollte grundsätzlich darauf achten, wann man die „Kontaktstelle“ wählt, also den Zeitpunkt an dem man nach einem Bissen einen Schluck Wein nimmt. Es geht nicht nur um die Größe eines Schlucks, sondern auch um den Zeitpunkt an dem man ihn nimmt. Trinkt man – ich setze jetzt einmal voraus, dass der Schluck weder zu groß noch zu klein, sondern „ganz normal“ ist – zu schnell nach dem Essen, bekommen es die Weinaromen intensiv mit denen des Essens zu tun. Je mehr Zeit man sich lässt, desto dominanter wird der Wein dann wieder. Will man einen Akkord von Wein und Speisen, also ein optimales Zusammenspiel der beiden, gibt es definitiv einen engen, bestimmten Zeitrahmen, in dem das möglich ist. Bewegt man sich nicht in diesem Rahmen, wird das Zusammenspiel mehr oder weniger sinnlos. Da kann der Sommelier gesagt haben, was er will, es wird bei einer falschen Kontaktstelle ad absurdum geführt. Umgekehrt kann sich am perfekten Zeitpunkt ein hochwertiges Erlebnis ergeben, das wirklich auf dem Zusammenspiel von Wein und Speise beruht und mehr ist, als die einzelnen Elemente. Das „Aha“ – Erlebnis, das entsteht, wenn man den Schluck Wein perfekt inszeniert, kann beträchtlich sein. Das Gegenteil sehr enttäuschend, selbst wenn sowohl der Wein wie das Essen exzellent sind.
Additive und substraktive Aromenbilder
Wenn man dann in die Details geht, wird es wesentlich komplexer. Wenn man einen Punkt getroffen hat, an dem sich offensichtlich „etwas tut“ zwischen Wein und Speise, muss das nicht immer bedeuten, dass das, was passiert wirklich ein Optimum ist. Im Grunde betrifft die Arbeit von Spezialisten eigentlich solche Reaktionen – es sei denn, sie empfehlen nur einen Wein, der dem Wunsch des Kunden entspricht und zum Essen „gut schmeckt“. In einem solchen Falle würde der Akkord dann eher im Kopf stattfinden, nicht aber auf der Zunge, also dort, wo die Aromen erst einmal zusammenkommen.
Grundtypen des Zusammenwirkens sind eine additive und eine substraktive Aromenbildung. Bei der additiven Aromenbildung schaffen die Aromen vom Essen und die vom Wein oft neue Aromen, die vorher weder auf der einen wie auf der anderen Seite zu beobachten waren. So etwas ist nicht zwingend die beste Lösung, aber eine oft sehr interessante. Substraktive Aromenbildungen ergeben sich durch Überlagerungen oder Blockaden. Da werden zum Beispiel beim Wein offensichtlich blumige Fruchtnoten, die man vorher festgestellt hat, vom Essen überlagert und der Wein wirkt eher herb und „kräuterig“ – Aromen, die man beim Wein allein nie festgestellt hatte. Oder – wenn es beim Essen viel Fette gibt, können sich diese lange im Mund halten und Aromen beim Wein teilweise blockieren. Das Ergebnis eines solchen Zusammenwirkens muss nicht unbedingt nur deshalb eine schlechte Lösung sein, weil der Wein gegenüber seinem Urzustand stark verliert. Es kann auch spezifisches Aspekte freilegen, die eben ohne dieses Zusammenwirken nie zustande kommen würden. Man findet so etwas gerne im Zusammenhang mit kräftigen, jodig-trockenen Geschmacksbildern. Das Feld der spezifischen Effekte in diesem Bereich ist sehr groß.
Das subtile Spiel mit Wein und Speisen
Fast alle guten Sommeliers beschreiben bei der Vorstellung eines Weines bestimmte Zusammenhänge zwischen dem Wein und dem Essen, sagen aber quasi nie, unter welchen Umständen sich diese Zusammenhänge einstellen und schon gar nicht, unter welchen Umständen sie sich nicht einstellen. Sie müssten das eigentlich erläutern, was dann wieder – siehe oben – von vielen Gästen als eine Art Bevormundung verstanden würde. Der Hinweis auf die Maximierung von Genuss, auf möglicherweise wunderbare Geschmackserlebnisse wird also oft gründlich mißverstanden. Und dann sieht (und hört) man im Restaurant, wie mit dem Wein umgegangen wird und kann oft nur mit dem Kopf schütteln. Wenn der Gast meint, er wüsste alles besser, sind die Voraussetzungen für das subtile Zusammenspiel von Wein und Speisen meist sehr, sehr schlecht. Der Kunde ist König, auch wenn er sich noch so ignorant anstellt.
Was möglich ist, wissen wir kaum, allein schon deshalb, weil uns in diesem Bereich üblicherweise noch viel Training fehlt. Aber es deutet sich immer wieder an, dass das Zusammenspiel von Wein und Speisen zu einem ganz erheblichen Zugewinn an Genuss führen kann, in einer Dimension, die sich viele Leute nicht vorstellen können. Voraussetzung ist konzentriertes Schmecken auf der Basis einer offenen, entspannten Haltung gegenüber den Dingen, die da kommen können. Voraussetzung ist aber auch, dass beiden Seiten, also Gast und Sommelier auf einem hohen Niveau verstehen und genießen können. Davon sind wir üblicherweise noch weit entfernt. Aber – es geht hier eigentlich nicht um schwierige Prozesse der Aneignung von Fachwissen. Es geht erst einmal um das Umlegen eines Schalters: Essen Sie noch oder schmecken Sie schon?
Zitat: „In einem solchen Falle würde der Akkord dann eher im Kopf stattfinden, nicht aber auf der Zunge, also dort, wo die Aromen erst einmal zusammenkommen.“
Ich weiss nicht genau, ob Sie sich im obigen Satz nur missverständlich ausgedrückt haben. Ich hoffe aber, dass Sie wissen, dass man Aromen ganz sicher nicht mit der Zunge wahrnimmt, sondern Retronasal.
Mit der Zunge nimmt man lediglich den Geschmack wahr..da gibt es in ihrem Text doch einige Ungenauigkeiten.9
Ja klar, vielen Dank für die Korrektur. Gruß JD