Leben mit Wein 2

Spargelwein, was soll das sein?
Saisonbedingt häufen sich gerade wieder die Weinempfehlungen aller möglichen Spezialisten für den richtigen Wein zum Spargel. Dass jemand kommt und behauptet, er habe einen absolut genialen Tropfen für den Spargel gefunden hat, ist schon fast normal. Das erinnert ein wenig daran, dass auch jedes der vielen Spargelgebiete in Deutschland meint, es habe den besten Spargel und sei überhaupt das wichtigste deutsche Anbaugebiet.

Als Spezialist für den Zusammenhang von Wein und Speisen machen mich diese Empfehlungen immer komplett ratlos. Was meint man überhaupt – vor allem, was den Spargel betrifft? Welchen Spargel, der wie schmeckt? Mild oder eher etwas brut und trocken bis bitter? Und vor allem: in welcher Garung? Wenn der Spargel einen feinen al dente-Biss hat, also ein wenig so wirkt, als ob man auf eine ganz junge Nuss beisst, ist sein Geschmack völlig anders, als wenn er eher weich ist. Der Grund ist besonders für den Wein wichtig. Der weiche hat vom Wasser her eine sehr viel größere Menge Salz gezogen und wird wesentlich salziger schmecken, was für den Wein einen riesigen Unterschied macht. Apropos Wasser. Was versteht man in diesem Zusammenhang unter „Salzwasser“? Wieviel Gramm pro Liter Wasser sollen es denn sein?

Und wenn er dann serviert wird, was wird man mit ihm kombinieren? Zerlassene Butter vielleicht, oder Butterbrösel? In beiden Fällen hätte man bei der Weinbegleitung nicht nur mit dem Spargel zu tun, sondern mit mehr oder weniger viel Fett, das – weil es sich im Mundraum meist etwas länger hält – einen großen Einfluss auf den Geschmack des Weines hat. Und wie ist es mit dem Schinken? Soll er mild oder etwas rauchig sein? Usw. usf. Wenn solche Fragen nicht geklärt sind, sollte man nicht pauschale Spargelweinempfehlungen geben. Damit wird niemand glücklich werden. Ich habe schon Unmengen verschiedener Spargelweine in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen probiert und war eigentlich nie wirklich begeistert.

Es kommt auf die Inszenierung an
Wenn es um Wein und Essen geht und es richtig gut schmecken soll, braucht man eine spezifische Inszenierung, also eine bestimmte Art der Zubereitung, die zu einem bestimmten Wein passt. Alles andere mag nicht weiter auffallen, bringt aber im grunde nicht viel. Für die Weinempfehler ist das natürlich kein Thema. Wenn ein Supermarkt oder Discounter zu ihnen kommt, will er eine Empfehlung für einen Spargelwein haben und kein festgelegtes Rezept, das nur mit einem bestimmten Wein richtig gut schmeckt. Und so hat sich im Laufe der Zeit gerade beim Spargel eine unersprießliche Welt von Empfehlungen entwickelt, die man sicher alle zum Spargel trinken kann ohne dass man krank wird, die aber von einem richtig guten Erlebnis Welten entfernt sind.

Aus diesem Grunde möchte ich jetzt hier in „Leben mit Wein“ eine konkrete Kombination vorstellen, aber vor allem auch analysieren. Ich bin auf diese Art der Spargel-Wein-Kombination übrigens vor Jahrzehnten im Elsaß aufmerksam gemacht worden. Sie hat mich sofort überzeugt und ich habe sie im Laufe der Zeit weiter optimiert. Es geht um die Kombination aus Spargel mit einer Mayonnaise, kräftigem Schinken und Gewürztraminer. Daraus ist im Laufe der Zeit ein Rezept geworden, dass ich immer wieder mache und bei dem ich nur eines beachten muss: nicht vom Kurs abweichen, sondern das Rezept nur realisieren, wenn ich alle Elemente in bester Qualität zusammen habe.

Also:

Weißer Spargel mit Salzkartoffeln, einer leichten Orangen-Curry-Mayonnaise, dreierlei Schinken und Meyer-Fonné-Gewürztraminer
Hier die Details, deren Wiedergabe in dieser Form immer einen Meta-Effekt haben soll: es geht nicht nur darum, ein Rezept zum Nachkochen mitzuteilen, sondern auch darum, Zusammenhänge zu erläutern.

Die Salzkartoffeln müssen eine Sorte sein, die klar nach Kartoffeln schmeckt. Und weil das keine Sorte zwangsläufig präzise tut, muss man wissen, wo es so etwas in der Nähe gibt. Grundsätzlich würde ich am ehesten Charlotte empfehlen. Salzwasser ist 10 gr. Salz pro Liter. Den Spargel gare ich liegend in mit grobem Meersalz gesalzenem Wasser und achte ständig darauf, dass die Garung a point wird und man die unterschiedliche Dicke der Stangen im Auge behält. Wenn die Messerspitze leicht hineingeht, ist er bereits zu weich. Es muss ein leichter Widerstand vorhanden sein.

Die Mayonnaise besteht aus einem Ei, bei dem das Eiweiß zur Hälfte beseitigt wird. Dazu kommen ein halber TL Dijon-Senf, 1 Prise Zucker, 1 EL Corumbel (oder ein ähnlicher, leicht süßlicher gereifter Essig wie etwa ein Essig von altem Banyuls), 2 EL frisch gepresster Orangensaft und eine gute Prise „Milder Pattaya-Curry“ von Nils Henkel. Die Elemente werden zuerst mit einem Handmixer gründlich vermischt, dann kommt eine erste, kleine Gabe vom neutral schmeckenden Thomys Sonnenblumenöl dazu (immer frisch, nie eine angebrochene Flasche) für die erste, entscheidende Bindung. Danach wird mit zwei oder drei weiteren Gaben der eher feste Endzustand erzeugt.

Als Schinken setze ich drei Sorten ein. Einen „normalen“ Kochschinken bester Qualität, einen leicht geräucherten Kochschinken (z.B. Prager Schinken) und etwas Jambon cru fumé aus dem Elsaß.

Der Wein ist immer einer der Gewürztraminer von Meyer-Fonné in Katzenthal im Elsaß, unweit von Colmar. Ich benutze drei der vier Gewürztraminer von Rang, nämlich Dorfburg Vieilles Vignes, Kaefferkopf Grand Cru und Wieneck-Schlossberg Grand Cru, also den Sporen nicht.

Hier die Notizen zum Dorfburg Vieilles Vignes 2017.

Die Gewürztraminer von Meyer-Fonné zeichnen sich vor allem durch eine außergewöhnliche Eleganz mit einer wunderbar zarten, blumigen Nase aus. Dabei mögen eine ganze Reihe von diversen Früchten zu entdecken sein, darunter auch exotische Aspekte. Aber ihre Beschreibung würde eigentlich vom Kern der Sache ablenken. Im Kern steht eine glasklare Gewürztraminer-Typik, die sich von der Nase über den Körper bis zum Abgang und Nachhall stabil und authentisch hält. Ich kenne sehr viele der besten und weniger guten Gewürztraminer im Elsaß, wo es für diese Rebsorte eine ganz andere Tradition als etwa in der Pfalz gibt. Die Gewürztraminer haben hier im unteren Preissegment oft eine pappige Süße, die im Laufe der Zeit nach der Öffnung der Flasche auch gerne zeigt, dass sich dahinter eine massive, ziemlich unerfreuliche Säure befindet. Die großen Gewürztraminer im obersten Preissegment (also etwa die Spitzen von Zind-Humbrecht) sind oft sehr weit durchgegoren und beeindrucken mich meist mehr als Wein, denn als Gewürztraminer. Bei Meyer-Fonné ist alles anders. Hier ist man mittig-mild, um das feine Potential der Traube nicht zu verschenken. Nach einigen Sekunden bekommt man hier auch oft einen kleinen Flash, der an Semillon, an Sauternes, an einen Hauch von Botrytis erinnert, die aber – so sagte mir der Chef – hier so gut wie nie eine Rolle spielt. Die feine Frucht hat eine ebenso feine, gemüsige und brut-Unterlage, auch einen Hauch von Kräutern – wenn man denn so will. Beim Dorfburg Vieilles Vignes geht es bestechend gut zu, auch wenn es sich nicht um eine GC-Lage handelt. Die anderen genannten sind ähnlich, haben aber dezent andere Schwerpunkte. Preislich liegt man im Elsaß ab Weingut in allen drei Fällen meist zwischen 15 und knapp unter 20 Euro.

Von realen und mentalen Akkorden: der Gewürztraminer und das Spargelgericht
Ich möchte hier eine Unterscheidung machen, die vielleicht etwas akademisch klingt, und andererseits einer sprachlich-logischen Überprüfung nicht standhalten könnte. Aber – sie kann etwas illustrieren. Der reale Akkord zwischen Essen und Wein bezieht sich auf das, was im Mund passiert, und was im Prinzip jeder Mensch nachvollziehen kann. Es gibt Überlagerungen oder Auslöschungen, Aromen verstärken sich oder produzieren gemeinsam ein Aroma, das beide allein nicht haben usw. usf. Man ist nahe am Material und stellt fest, was sich gerade im Mund abspielt. Der mentale Akkord stellt sich zum Beispiel schon dann ein, wenn man ein Essen vor sich stehen hat und gleichzeitig am Wein riecht. Der Kopf fügt die Eindrücke zusammen, diese Eindrücke bestehen vor allem aus Erfahrungen, die man schon gemacht hat und dazu aus allerlei Erwartungen. Der Kopf hat oft schon einen Akkord hergestellt, bevor der Gaumen ihn überhaupt überprüfen konnte. Die hier beschriebene Kombination von Essen und Wein ist ein Musterbeispiel dafür, wie beide Arten von Akkorden aufs beste zusammenspielen können und ein hervorragendes Ergebnis bringen.

Insofern rede ich hier bei diesem Beispiel nicht von Weinbegleitung, sondern von einer Inszenierung von Essen und Wein, die ganz eindeutig das Ziel hat, exakt diese Kombination zu optimieren. Ich habe alle möglichen Varianten getestet und bin bei dieser ausgekommen. Dies ist für mich keine Weinbegleitung im engeren Sinne, sondern eine gemeinsame Inszenierung. Eine wichtige Katalysator-Funktion hat dabei die Mayonnaise, die die exotischen Noten beim Wein aufnimmt und mit den anderen Elemente – auch dem Jambon cru fumé oder den Räuchernoten des leicht geräucherten Schinkens verbindet. Auffällig ist dabei, dass die dezente Unterlage an gemüsigen und kräuterigen Noten beim Wein leicht variiert, der Gewürztraminer-Kern aber wunderbar stabil und immer süffig bleibt. Und wenn dann der Teller gegessen ist und man noch etwas vom Wein alleine trinken kann, bekommt man nicht etwa einen höheren Säureanteil oder mehr Oxydation oder andere Aspekte, die damit zu tun haben, dass die Flasche schon etwas länger geöffnet ist, sondern bemerkt noch einmal, wie komplex Eleganz sein kann.

Wer, was, wie
Meyer-Fonné ist in Deutschland nicht besonders stark vertreten, und die Weine bekommen einen strammen Preisaufschlag, was sie regelmäßig deutlich über die 20 Euro bringt. Außerdem habe ich immer den Eindruck, als ob viele Leute in Frankreich (wie auch Monsieur Meyer selber) eher die Rieslinge im Zentrum ihrer Gedanken haben, weil man damit berühmter werden kann. Andererseits erinnere ich mich an einen französischen Führer vor etlichen Jahren, der per se den Gewürztraminern des Elsass sehr hohe Bewertungen gab, die im Vergleich auf einer Ebene mit richtig guten und teuren Weinen aus Burgund oder Bordeaux standen. Ich hielt das vielleicht für einen Tick übertrieben, konnte es aber nachvollziehen. Ein richtig guter Gewürztraminer gerade der Meyer-Fonné-Art ist auch ein Vin de Meditation. Man kann ihn mit viel Genuss auch alleine trinken.

3 Gedanken zu „Leben mit Wein 2“

  1. Die Beobachtung psychophysiologischer Aspekte (realer und mentaler Akkord) ist ein faszinierendes Thema. Ich habe nur den Eindruck, dass sie, je tiefer sie entwickelt sind, immer mehr einen subjektiven Charakter bekommen. Ist die Geschmacksrezeption, also die „Ausmalung“ des Rezeptorsignals in den Hirnregionen, in ihren letzten Vollendungen nicht doch eher von psychologischen Prozessen dominiert? Damit verlören jedoch solche Rezeptanweisungen ihre Allgemeingültigkeit und ließen reichlich individuellen Spielraum.

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  2. Also Spargel im Salzwassergaren und dann auch noch nur mit Salz (also nicht mal mit
    den Schalen). Erstaunt mich jetzt sehr, da gibt es doch Vernünftigeres…z.B. Dämpfen, Confieren, Sous vide.

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    • Siehe meinen Kommentar dazu auf Facebook. Dort habe ich zum Beispiel eine optimale Gärung für einzelne Stangen genannt.. Dämpfen ist auch dabei. Mit Schalen würde ich nie arbeiten, sie bringen viel zu viel Bitterstoffe. Gruß JD

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