Vorbemerkung: Am letzten Samstag im Januar findet normalerweise im Ballsaal von Schloss Bensberg die Gala der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zur Ehrung der „Lieblinge des Jahres“ statt. Es ist eine sehr schöne Veranstaltung, die weder mit Promis noch „Feinschmeckern des Jahres“ besetzt wird, sondern ganz den Köchen und Winzern gewidmet ist. Fünf der Preisträger kochen jeweils einen Gang, dazu kommen dann die von meinem Kollegen Stephan Reinhardt prämierten Weine. Für die Auswahl der „Lieblinge“ unter den Köchen, Service, Sommeliers etc. bin ich zuständig, und zwar seit 2007. Die erste Gala fand dann im Jahr 2009 im „Überfahrt“ am Tegernsee statt. Danach sind wir ins Schloss Bensberg gewechselt.
Der Ablauf der Veranstaltung ist sehr klar strukturiert. Es gibt nur eine kurze Begrüßung von einem der FAZ-Herausgeber, dann beginnt das Essen. Zwischen den Gängen werden die Preisträger geehrt, und das jeweils mit einer kurzen Laudatio, der Übergabe der Urkunde und einem Interview. Weil die Veranstaltung auch in diesem Jahr wegen Corona wieder abgesagt werden musste, gibt es natürlich auch keine Laudatio. Das finde ich sehr bedauerlich und möchte das deshalb hier auf www.eat-drink-think.de machen – zu Ehren der Preisträger. Die Urkunden an sie sind gerade versendet, und ich will nun in den nächsten Tagen hier etwas zu den von mir ausgewählten „Lieblingen“ sagen. Als die Liste am 6. Dezember in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht wurde, gab es – platzbedingt – nur einen eher kleinen Text. Hier nun kann ich etwas mehr sagen und vor allem auch meine Auswahl genauer begründen.
FAS Koch des Jahres 2021 Inland: Joachim Wissler vom „Vendôme“ in Schloss Bensberg, Bergisch-Gladbach
Mit der Auswahl der „Köche des Jahres“ usw. ist das so eine Sache. Im Laufe des Jahres denkt man immer wieder einmal über bestimmte Namen nach, isst irgendwo und meint dann vielleicht, das wäre auch einmal ein Kandidat für eine Ehrung. Bei der endgültigen Auswahl spielen dann aber (und das weiß ich nicht nur von meiner Arbeit bei der FAZ) verschiedene Aspekte eine Rolle. Dabei ist mir aufgefallen, dass es nicht automatisch die Besten eines Jahres trifft. Die redaktionellen Vorüberlegungen haben regelmäßig etwas damit zu tun, dass man sagt: „Oh, den oder die können wir nicht nehmen, die hatten wir ja erst vor zwei Jahren.“ Und – es gibt einfach immer Überlegungen wie: „Wen hatten wir denn noch nicht als Koch des Jahres?“. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass man bei solchen Ehrungen manchmal eine Person mehrmals hintereinander auf Platz eins setzen sollte, weil die Leistungen einfach entsprechend sind. Bei einem Patissier habe ich das übrigens selber dann auch einmal so praktiziert. Im Jahre 2012 habe ich Christian Hümbs als Patissier des Jahres geehrt, im Jahr 2013 gleich noch einmal und im Jahr 2014 dann für „Innovation“. Ich fand seine Leistungen mit den von ihm in allerhöchster Brillanz entwickelten „Crossover-Desserts“ so gut, dass ich auch die erstaunten Nachfragen aus der Redaktion, was das denn nun sei, ohne weiteres beantworten konnte. Die Gäste der Gala waren in diesen Jahren übrigens absolut überwältigt von den Leistungen von Christian Hümbs.
Joachim Wissler ist auch so ein „Fall“. Ich verfolge seine Arbeit seit seinem Beginn in Bensberg sehr genau und habe Unmengen von Gerichten bei ihm gegessen. Wir haben auch verschiedene Dinge zusammen gemacht, darunter als Höhepunkt sicherlich eine 6-teilige Kochkunst-Serie in ZDF „Aspekte“ (damals unter der Leitung von Wolfgang Herles), die zu den wenigen kulinarischen Themen gehörte, die je in „Aspekte“ behandelt wurden. Wissler hätte man immer wieder einmal ehren können oder müssen, weil er in vielen Jahren einfach die Maßstäbe in Deutschland gesetzt hat. Als wir dann mit der Gala nach Schloß Bensberg kamen, spielte natürlich auch eine Rolle, dass ich den Eindruck vermeiden wollte, „Althoff – Köche“ kämen irgendwie auffällig häufig vor. Und so hatte ich Wissler zwar schon einmal für „Innovation“ geehrt, dazu auch Patissiers und Sommeliers vom „Vendôme“, aber nie Wissler selber als „Koch des Jahres“. So kann es gehen.
Dabei ist Joachim Wissler ein wunderbarer Ausbund an dynamischer Bewegung, der im Laufe seiner rund 20 Jahre im „Vendôme“ eine hochkomplexe stilistische Entwicklung vollzogen hat. Am Anfang standen noch die Konzepte, die er im „Marcobrunn“ im Schloss Reinhartshausen realisiert hatte. Ich war damals kein besonders großer Freund zum Beispiel der oft leicht süßlich begleiteten Fischgerichte. Es dauerte aber nicht lange, da begann Wissler, sich genauer umzusehen und an spezifischen Konzepten zu arbeiten. In den nächsten Jahren wurde er einerseits ein Koch, der mit großer Offenheit die kochtechnischen und ästhetischen Entwicklungen der spanischen Avantgarde verfolgte und sich aneignete. Andererseits kam eine Entwicklung in Gang, die ich dann als „Neue Deutsche Schule“ bezeichnet habe, und deren Hauptvertreter neben Joachim Wissler (und ein wenig später) Sven Elverfeld waren. Es ging – endlich einmal – darum, die eigenen kulinarischen Traditionen aufzugreifen und sie mit dem Gedankengut der Avantgarde zu einer State-of-the-Art-Küche zu verbinden, die dann auch explizit internationales Niveau haben sollte. Das gelang in vielen Gerichten, wie etwa dem berühmt gewordenen „Schweinekinn mit Saiblingskaviar, Semmelknödeln, Kräutersalat und Erbsencreme“, ein Gericht, das ich in meiner FAZ-Geschmackssache im Jahr 2007 in einer neuen Unterabteilung mit dem Titel „Das kulinarische Werk“ ausführlich analysiert habe. Eines war in den 0er Jahren schnell klar: wenn man sich als Koch der absoluten Spitze etablieren wollte, musste man an das internationale Publikum, und das internationale Publikum bekam man nur dann, wenn man in der aufgeheizt-kreativen internationalen Szene mitmischen konnte. Während in Deutschland der Begriff „Neue Deutsche Schule“ von diversen Leuten (etwa dem Gault Millau) abgelehnt wurde (heute würde ich sagen: na klar, sie hatten ihn ja auch nicht erfunden…), führte er in Spanien dazu, dass man die neuen deutschen Köche wesentlich intensiver wahrnahm. Ein Menü für internationale Köche und Journalisten in San Sebastian, das unsere besten Köche der Zeit dort gekocht hatten, gilt heute Vielen immer noch als ein Höhepunkt der internationalen Relevanz der deutschen Spitzenküche. Joachim Wissler erreichte in diesem Zusammenhang Platz 10 der 50Best-Liste, eine bis heute bei weitem nicht mehr erreichte Bestmarke für einen deutschen Koch.
In dieser Dichte könnte man sehr viel über Joachim Wissler sagen. Es tat sich immer etwas bei ihm, und das vor allem kulinarisch. Sein berühmtes Buch „JW 4“ zum Beispiel ist ein Dokument herausragender Ideen und Kochtechnik eines echten Meisters seines Faches. Seine Phase mit Riesenmenüs von teilweise über 20 Gängen ist gekommen und wieder gegangen, und stilistisch konnte man immer sicher sein, dass man alle zwei bis drei Jahre eine ganze Reihe von Veränderungen bemerken konnte.
Und genau diese Tatsache war jetzt auch für mich Anlass, Wissler zum „Koch des Jahres“ zu wählen. Mein aktuelles Essen bei ihm beeindruckte mich vor allem in einem ganz wichtigen Punkt. Jedes einzelne Elemente seiner immer recht vielfältigen Kompositionen war in einem hervorragenden Zustand. Man merkte einfach, dass hier ein Koch arbeitet, der auch nicht das kleinste Detail dem Zufall oder den Routinen überlässt, sondern alles noch einmal neu oder gänzlich neu durchdacht hat. Das Essen eines Gerichtes wird so zu einer Reise durch Aromen und Zubereitungen, die immer wieder staunen lassen. Man kann sich sicher darüber streiten, ob ein ausgehöhlter Rosenkohl im Innern auch noch eine Art Rosenkohlsalat haben muss: wenn man vor einem solchen Teller sitzt, macht sich schnell ein großes Vergnügen breit, ein Vertrauen in eine grandiose kulinarische Leistungen, der man sich nicht nur völlig überlassen kann, sondern die immer wieder neue Wendungen nimmt und selbst das, was man aus der Spitzenküche zu kennen meint, einer neuerlichen Revision unterzieht. Ich habe das hier vor einigen Wochen anhand zweier Beispielteller hier ausführlich dargestellt.
Es ist kein Wunder, dass Wissler auch als Lehrer eine der wichtigsten Instanzen geworden ist, die Deutschland je hatte. Wer als Koch etwas auf sich hält, war früher bei Witzigmann, später dann bei Wohlfahrt und lange Jahre eben bei Wissler. Das alles würde aber nicht unbedingt eine aktuelle Auszeichnung begründen. Es ist da noch etwas, nämlich die Einbeziehung des assoziativen Kontextes, also dessen, was die Gäste mit bestimmten Aromen, Texturen, Zubereitungen verbinden können. Wissler hat seine technische Brillanz auf eine wunderbar süffig schmeckende, wohltuende Art und Weise durch ein dauerndes Spiel mit den „Emotionen“ (wie man das früher ungenau sagte) ergänzt, geht dabei aber immer nur soweit, dass keinerlei Banalität entsteht. Er zitiert und überzeugt mit Eleganz und einem sagenhaften Wohlgeschmack. Da ist er wieder ein Stück weiter als manch einer seiner Kollegen, der noch spröde Mainstream-Assemblagen auf den Tellern versammelt, denen oft etwas sehr Wichtiges fehlt: der innere Zusammenhang (im Unterschied zu einem rein technisch-kulinarischen).
Das sind ein paar Gründe, warum ich Joachim Wissler zum Koch des Jahres 2021gewählt habe.