In „Erno’s Bistro“ in Frankfurt ist Vieles anders, und all das, was anders ist, ist gut. Vielleicht liegt es ja daran, dass das Team Eric Huber (Patron und Sommelier) und Valéry Mathis (Koch) aus dem Elsass kommt, vielleicht liegt es daran, dass man mittlerweile seit Jahren zusammenarbeitet. Beim Essen jedenfalls kommt man hier schnell auf den Gedanken, dass die Franzosen aus irgendwelchen Gründen einen anderen Geschmack „am Leib haben“, es hier also erstens sehr, sehr gut schmeckt und zweitens auch noch anders als bei fast allen Kollegen.
Sollte man das einmal etwas weiter verfolgen? Vielleicht deshalb, weil ja eine ähnliche Qualifizierung auch auf Eric Menchon vom „Le Moissonnier“ in Köln zutrifft? Oder geht das überhaupt nicht? Fest steht jedenfalls, dass man dem Essen hier ohne weiteres zwei Michelin-Sterne geben könnte, und das vor allem auch im Vergleich mit anderen Restaurants mit einem Stern. Das wiederum erinnert mich nochmals an Eric Menchon, über dessen Zwei Sterne-Küche neulich noch ein sehr zuverlässiger Bekannter gesagt hat: „Was soll man daran eigentlich noch besser machen?“ Nun, in beiden Fällen hat das Publikum längst „mit den Füßen“ abgestimmt, weil es – und sei es intuitiv – einfach wahrnimmt, was geleistet wird und dass ein Restaurant, in dem Alles stimmt, einfach eine seltene Sache ist. Vielleicht liegt es ja daran, dass hier wirklich Koch-Kunst realisiert wird, dass hier ein komplexes Erlebnis geschaffen wird, das die Gäste berührt und trifft und sie glücklich macht. Vielleicht merken sie ja auch – wieder intuitiv – dass manch andere Adressen von offiziell hohem Rang Konstrukte sind, zusammengeschraubt, irgendwie und irgendwo beschlossen – sozusagen.
So gesehen entsteht vielleicht Kunst in der Kochkunst unter anderem dann, wenn man nicht unbedingt Kunst machen will, aber eine Menge von wesentlichen Faktoren bestens beachtet. Und – umgekehrt – keine Kunst, wenn man völlig verkrampft daran arbeitet, Kunst zu machen.
Womit ich bei einer Frage bin, die mich immer wieder umtreibt: Kochen viele französische Köche anders? Haben sie einen Geschmack, den andere Köche nicht hinbekommen?Und wenn das so ist: wie kommt es dazu? Es gibt da eine gute Erklärung, die ich einmal im Zusammenhang mit dem Begriff „Kreativität“ erläutert habe. Es gibt eine „fortgeschriebene“ und eine „nicht fortgeschriebene“ Kreativität, die man aber nicht vorschnell „frei“ und „die eigentliche Kreativität“ nennen sollte.
Die fortgeschriebene Kreativität (Beispiel bei uns war immer Harald Wohlfahrt) entwickelt sich auf der Basis traditioneller, klassischer Qualitäten, die nie aufgegeben, sondern dezent erweitert werden. Diese Erweiterungen „passen“ dann ganz exzellent und bringen den Gästen einerseits die Versicherung eines guten Geschmacksbildes und andererseits den Reiz einer kreativen Erweiterung mit Augenmaß. Die französische Küche ist von dieser Art erweiternden Kreativität sehr stark geprägt. Man hat in guten Restaurants immer den Eindruck, als ob die Köche auf einer besonders soliden Grundlage arbeiten, auf einer exzellenten Ausbildung aufbauen, die auch dazu geführt hat, dass sie klassische Geschmacksbilder geradezu verinnerlicht haben. Sie haben eben nicht nur Techniken erlernt, sondern auch Geschmack entwickelt.
Die nicht fortgeschriebene Kreativität entwickelt sich mehr oder weniger unabhängig von Traditionen und will dem Gast meist ganz klar neue Geschmackserlebnisse präsentieren. Das hat zur Folge, dass man natürlich auf Geschmacksbilder trifft, zu denen man weniger Beziehungen hat. Man erkennt zum Beispiel nicht unbedingt die Qualitäten im Vergleich zu bekannten Qualitäten, sondern muss das Neue erst einmal einordnen. Es ist dann ganz logisch, dass die Qualität von Neuem auch nicht so sicher bestimmt werden kann, wie die von eher Bekanntem. Diese Art von Kreativität ist in Deutschland weit verbreitet, ist aber oft nicht wirklich eine Kreativität mit viel Neuem, sondern gerne eine kopierte Kreativität. Man kopiert und verliert dabei oft den Überblick, den Einblick und den Zusammenhang. Es schmeckt irgendwie o.k., überzeugt aber bei weitem nicht so, wie das eine gute fortgeschriebene Kreativität kann. Insofern fehlt der nicht fortgeschriebenen Kreativität oft auch das Selbstverständliche, Entspannte. Sie wirkt forciert und nicht wirklich gekonnt.
Das ist der Grund für die oft „in der Fläche“ deutlichen Unterschiede zwischen der avancierten Küche in Frankreich und Deutschland.
Mairübchen, Keniabohnen und Trauben mit gebratenen Champignons und 36 Monate gereiftem Comté
Bei Valéry Mathis findet man diesen Stil ganz ausgeprägt. Dazu kommt auch noch, dass er – anders als viele seiner deutschen Kollegen – geradezu schonungslos an einem im traditionellen Sinne guten Geschmack arbeitet – um nicht zu sagen: an einem ganz exzellenten, überragend guten Geschmack. Während man sich viele seiner – vor allem jüngeren – Kollegen so vorstellt, als ob sie entweder besinnungslos kopieren oder so voller Kalkül stecken, dass sie bei ihren Gerichten völlig verkrampfen, lässt Mathis nichts aus, was guten Geschmack bringt und entwickelt – siehe oben – dabei dann seine eigene Art der Kreativität.
Dieses Gemüsegericht klingt vielleicht im ersten Moment etwas „bunt“, schmeckt aber sehr ausgewogen, weil alle Elemente Teile eines extrem süffigen, dabei hochfeinen und differenzierten Gesamtgeschmacks sind. Ein wichtiges Element ist hier die milde Süße der Rübchen, Bohnen und Trauben, die mit einem exzellent gewürzten Sud und vor allem dem Comté eine hochfeine Bodenständigkeit bekommt – so, wie sie in Frankreich bei diversen Großmeistern zu finden ist.
Souffliertes Bio-Ei auf Lauchpüree, Caviar-Crème mit Schnittlauch
Die gute Würze sorgt dann auch dafür, dass dieses klassisch orientierte Gericht so prächtig zusammenhält. Alle Elemente schmecken sehr gut und haben ihre präzise definierte Position im Zusammenhang. Es beginnt beim schön festen und auffällig gut gewürzten Eiweiß, das nicht einen Hauch von unangenehmem Nebengeschmack hat. Wichtig ist, dass der Kaviar seinen Platz bekommt und nicht irgendwo aromatisch oder auch von der Temperaturregie her untergeht. Hier wird deutlich, dass die gute Würze eben nicht aus größeren Mengen von Salz und Pfeffer besteht, die sich wie ein Grauschleier über alle Elemente legen, sondern eigentlich sehr mild aufgestellt ist. Sie entsteht sozusagen nicht aus einer Anreicherung und Konzentration um jeden Preis, sondern durch eine präzise Zuordnung der aromatischen Räume. Die so entstehende Breite (im Gegensatz zu einer im Grunde engen Kräftigkeit) sorgt am Gaumen für den Eindruck von Kräftigkeit und voller Würze, weil einfach die Geschmackspapillen komplexer angeregt werden. Natürlich ist die Schnittlauchwirkung eingebunden und nie zuviel, und der Kaviar kann sich in diesem mildwürzigen Umfeld prächtig entfalten, er wird eher angereichert als verengt.
Königsberger Klopse mit Hummer, Erbsenpüree und Pilzen
Die Verbindung von Hummer und Königsberger Klops ist selbstverständlich kein Gag oder eine Konzession an Deutschland, sondern entspricht exakt dem Verständnis dieser Küche. Mathis sorgt erst einmal dafür, dass der Klops nicht zu penetrant – z.B nach Kapern – schmeckt, sondern eine leichte, fleischige Würze für den Hummer bringt. Das führt sofort zu einem grundsätzlich anderen Verständnis von Hummer, den ich persönlich aus der Hand deutscher Köche oft völlig merkwürdig aufgefasst finde, weil er oft zu süßlich interpretiert wird. Auch hier wird er mild und süffig begleitet, bekommt aber einen entscheidenden, wieder fein-bodenständigen Twist. Und dann geht es innerhalb dieses wieder sehr schön mild-würzigen Gesamtbildes an eine spielerisch leichte, aromatische und texturelle Varianz, die präzise das macht, was ich oben schon für den aromatischen Bereich im engeren Sinne beschrieben hatte: sie gibt ein wunderbar angereichertes Mundgefühl, das elegant, leicht und süffig zugleich wirkt.
Loup de Mer mit Venusmuscheln, Romana und Taboulé, Gurkensud
Mathis ist auch in der Lage, das Ganze im Sinne eines kräftigeren Hauptgerichtes etwas „anzuziehen“, also einen Tick intensiver zu gestalten. Hier beim Wolfbarsch entwickeln sich dann sensorische Aktivitäten, die über ein feines Spiel in einem breit aufgestellten Zusammenhang hinausgehen und mehr Interaktion zwischen den einzelnen Elementen bringen. Dabei glänzt er mit wunderbar wirksam inszenierten Akkorden, wie etwa mit der Kruste für den Fisch, dem Romana-Salat oder den Muscheln in einem seiner unverwechselbar komplex (aber nicht „dicht“) zusammengefügten Saucen/Nage/Sud. Insgesamt sieht dieses Gericht von den Texturen her ein wenig „wilder“ und problematischer aus, als die anderen Gerichte, was sich aber beim Essen als völlig unproblematisch herausstellt. Überlagerungen etc. gibt es hier nicht, die Zuordnungen stimmen und das Geschmacksbild bleibt so breit und transparent aufgestellt wie bei den anderen Gerichten. Ganz im Gegenteil könnte man hier studieren, wie man die Verwendung diverser Aromen, Texturen oder Cru-cuit-Kontraste richtig inszeniert, ohne – wie man das häufig findet – zu einer Assemblage zu kommen, die kaum einen Sinn ergibt.
Bei Valéry Mathis in „Erno’s Bistro“ in Frankfurt herrscht Perfektion mit viel gekonntem kulinarischen Verstand und das in einer ausgesprochen selbstverständlich und geradezu lässig wirkenden Perfektion. „Bistro“ ist an diesem Restaurant vor allem das Drumherum, die Entspanntheit, das Unforcierte, das Erprobte und Gekonnte, das Augenmaß für eine Küche, die die Gäste glücklich machen will und weiß, dass das auch auf sehr hohem Niveau möglich ist.
Sun Cellular
Zwischen Kochkunst und Musik gibt es viele Parallelen. In diesem Zusammenhang:
Die „fortgeschriebene“ Kreativität entspricht der „klassischen“ (tonalen) Musik und deren Fortführung.
während die „ncht fortgeschriebene“ Kreativität der Neuen Musik entspricht.
Und wie bei der Musik ist es auch bei der Kochkunst so, daß viele das „Vertraute“ vorziehen und das Neue meiden, während manche sich gerade darauf konzentrien. Neugierige hingegen verfolgen –und probieren– alles, was gut und interessant ist — egal welcher Stilrichtung es entspricht.