Anmerkungen zu den Platzierungen der deutschen Restaurants
„La Liste“, die französische Zusammenfassung aller Restaurant-Ranglisten dieser Welt, ist wieder erschienen, und wie üblich werden die Ergebnisse kaum einen reisenden Gourmet wirklich erreichen. Auch ich habe nicht vor, zum x-ten Male das Zustandekommen und den Sinn einer solchen Liste zu kommentieren. Was mich allerdings immer interessiert, ist die Performance der deutschen Spitzenküche. Und da fallen dann doch ein paar Dinge auf.
Die Spitze ist eng
Wenn Guy Savoy als Nummer 1 der Liste 99,5 Punkte hat, sind Restaurants mit 97 oder 97,5 Punkten nicht weit entfernt. Das bestplatzierte deutsche Restaurant ist mit eben jenen 97,5 Punkten die „Schwarzwaldstube“ (Rang 32). Zumindest bis zu Wisslers „Vendôme“ und dem „Atelier“ von Jan Hartwig in München kann man 7 deutsche Restaurants zur engeren Spitze zählen. Erst dann gibt es zu Kevin Fehlings „The Table“ (94,5 Punkte, Rang 127) eine kleine Zäsur.
Bei der „Schwarzwaldstube“ zahlt sich sicherlich neben der enormen Leistungssteigerung von Torsten Michel im letzten Jahr auch immer eine gute internationale Vernetzung der „Traube Tonbach“ aus. Klaus Erfort (97 Punkte, Rang 49) überrascht etwas an dieser Stelle, profitiert aber vermutlich wie Christian Bau (96,5 Punkte, Rang 60) und das „Sonnora“ (97 Punkte) von der unter internationalen Aspekten fruchtbaren Nähe zu Frankreich, Belgien und Luxemburg. Sven Elverfeld (97 Punkte) müsste mit seiner markanten, klaren und auch im internationalen Verständnis sehr feinen Arbeit deutlich höher stehen (er müsste eigentlich der am besten platzierte deutsche Koch sein…) – arbeitet aber in Wolfsburg, also ein wenig „ab vom Schuss“. So etwas spielt beim Auftauchen in internationalen Listen eine große Rolle. Jan Hartwig (96 Punkte, Rang 73) kann sicherlich sehr zufrieden sein. Auch er hat enorm an Finesse zugelegt und arbeitet eben in München im „Bayerischen Hof“, wo sich ein wahrlich sehr internationales und zahlungskräftiges Publikum einfindet.
Bei Joachim Wissler (96 Punkte), also dem Koch, der mit Platz 10 in den „50Best“ die wichtigste jemals von einem deutschen Koch international erreichte Platzierung erreicht hat, wirkt sich vermutlich ein Konter-Effekt aus. Er ist schon lange dabei und wird nicht mehr unter Novitäts-Aspekten gesehen. Gleichzeitig ist er nie in den Rang einer internationalen Institution wie etwa Guy Savoy oder Martin Berasategui aufgestiegen. Bei Restaurants dieser Art ist vermutlich ein Verbleib in der erweiterten Spitzengruppe das Beste, was passieren kann – selbst wenn Wissler sein Programm noch einmal deutlich ändern würde.
Von nationalen und internationalen Größen
Insgesamt ist die deutsche Spitzenküche in „La Liste“ sicherlich nicht schlecht vertreten, zumal man mit der Zahl der Nennungen (55) jetzt z.B. Italien hinter sich gelassen hat. Viele Wertungen entsprechen einer „natürlich“ wirkenden Einschätzung – mit kleinen Vorteilen für Klassiker wie dem „Tantris“ oder der „Residenz Heinz Winkler“. Die erste große Überraschung ist Rang 371 mit nur 90,5 Punkten für Tim Raue, der in den „50Best“ der aktuell am besten platzierte deutsche Koch ist. Salopp gesprochen könnte das bedeuten, dass Raue vor allem in Deutschland weltberühmt ist. Außerdem könnte die Bewertung darauf hinweisen, dass seine „50Best“-Platzierung vielleicht doch im wesentlichen mit den deutschen Stimmen zustande gekommen ist. Eine asiatische, von einem deutschen Koch in Berlin gekochte Küche verblasst eben vor dem Horizont von Unmengen an japanischen und chinesischen Restaurants in „La Liste“.
Ganz offensichtlich ist aber, dass es Kreativität aus deutschen Küchen nicht so ins internationale Bewusstsein schafft, wie dies im Grunde angemessen wäre. Einer der Gründe dafür sind vermutlich die deutschen Führer/Rankings, die seit eh und je in der Summe in Sachen Kreativität zurückhaltend sind, und die deutschen Medien, die sich bei weitem nicht so intensiv wie in anderen Ländern um Kreatives kümmern. Mit einer Publizität wie sie Tim Raue bekommen hat und bekommt, wären andere deutsche Kreative in „La Liste“ vermutlich besser als Raue platziert. Man muss ganz klar sagen, dass Marco Müller vom „Rutz“ (Platz 507, 88,5 Punkte) angesichts seiner enormen Originalität, regionalen Anbindung und Finesse weit unterbewertet ist. Ähnliches könnte man – vielleicht nicht ganz so ausgeprägt – auch für das „Essigbrätlein“ (Platz 803, 82 Punkte), das „Sosein“ (Platz 826, 81,5 Punkte), das „Horvath“ (Platz 846, 81 Punkte) und natürlich „Le Moissonnier (Platz 904, 80 Punkte) sagen. In anderen Ländern bekommen häufig (natürlich auch nicht immer…) kreative Küchen in großer Geschwindigkeit eine große Publizität. Man kann sogar oft den Eindruck gewinnen, als ob ein guter Teil der Öffentlichkeit geradezu stolz auf solche Entwicklungen wäre. Bei uns ist mit so etwas nicht zu rechnen. Es gibt meist Polarisierungen, die häufig dazu führen, dass Kreative eine zeitlang in den Führern ganz besonders schlecht bewertet werden, bis man dann unter dem Druck anderer hoher Bewertungen ebenfalls nachzieht. Restaurants wie das „Margaux“ von Michael Hoffmann hat man auf diese Weise geradezu zur Aufgabe gezwungen, obwohl viele Köche und Kritiker Hoffmann für ein kreatives Ausnahmetalent hielten.
Wer keine „guten“ nationalen Größen schafft, wird in der internationalen Rezeption immer Schwierigkeiten haben – ganz abgesehen davon, dass eine gute Rezeption kreativer Leistungen ein Klima von Experimentierfreudigkeit erzeugt, das wiederum dann das Entstehen auch international allgemein interessanter Spitzenküchen ermöglicht.