Folge 5: Gourmet – Tapas
Die Menüs und/oder Degustationsmenüs vieler Restaurants sind in den meisten Fällen eine Form, die an den Bedürfnissen der Gäste wegen ihres strapaziösen Umfanges glatt vorbei geht. Wo sich eigentlich entspannter und freudiger Genuss entwickeln sollte, entsteht oft eine körperliche Überbelastung, die für das ganze Image der Spitzenküche kontraproduktiv ist. Wenn Spitzenküche zu einem Synonym für etwas steht, das einfach zu viel des Guten ist, nützt dies Niemandem. Die Alternativen sind entweder weniger Gänge, kleinere Gänge, weniger komplexe Gänge oder eine rigoros leichtere Küche. Das alles läuft auf eine Art Gourmet-Tapas-Menüs hinaus, wie sie schon von verschiedenen absoluten Spitzenrestaurants weltweit praktiziert werden. Vorläufer war auch hier Ferran Adrià, der dann allerdings die Kleinteiligkeit durch noch mehr Gänge konterkariert hat.
Gourmet-Tapas sind für viele Köche ein Problem
Das Format „Gourmet-Tapas“ setzt ein paar Dinge voraus, die sich viele Köche nicht vorstellen können – z.B. den Verzicht auf komplexe Hauptgerichte, wie sie fast immer noch den Höhepunkt vieler Menüs bilden. In modernen Gourmet-Tapas-Menüs behält man zwar meist noch den Weg von Vorspeisen über Fisch zu Fleisch und Dessert bei, verändert dabei aber quasi nie den Umfang der Gänge. Häufig fehlt den Köchen die Fähigkeit, ihre Ideen zu komprimieren, sie knapp und klar zu formulieren und nicht das Heil in der Menge zu suchen. Bisweilen steckt dahinter auch die Befürchtung, die Führer könnten einzelne, allzu knappe Menügänge als nicht komplex und beeindruckend genug beurteilen. Häufig mangelt es Köchen aber auch einfach an den richtig guten Ideen, die auch ohne eine komplexere Struktur tragen, die nicht durch Aufwand, sondern durch die Qualität des Einfalls und der Ausführung überzeugen.
Gourmet-Tapas brauchen ein echtes Gourmet-Publikum der neuen Art
Ein Publikum, für das „richtiges“ Essen immer nur aus großen Portionen mit großen Stücken besteht, die man nach Art der bürgerlichen Küche isst, wird sich nicht für kleine, feine, ganz auf eine sensibel-sinnliche Wahrnehmung ausgerichtete Kreationen interessieren. Gäste dieser Art brauchen etwas, das man am besten „bürgerliche Gourmetküche“ nennt, in der die alten Mechanismen der bürgerlichen Küche (Portionsgröße, möglichst keine kreativen Experimente usw.) bedient werden. Gourmet-Tapas sind etwas für die „kreative Gourmetküche“, also für Gäste, die an Neuem interessiert sind, die alles probieren, weil es sie interessiert und die die Vielzahl schätzen, weil sie auch viel Information und viel Genuss bedeutet.
Menüs in verschiedenen Größen
Um diesen Gästen den von ihnen geschätzten Genuss möglich zu machen, sollten Gourmet-Tapas – anders als das heute noch meist der Fall ist – in verschiedenen Menügrößen angeboten werden oder gleich ohne den Zwang zu Menüs auch einzeln und in individuellen Zusammenstellungen zu bekommen sein. Wenn die kreative Küche jemals auch zu einem Teil des „ganz normalen“ kulinarischen Lebens werden will, muss sie auch in der Lage sein, z.B. kleinere Mittagessen oder jedenfalls etwas anderes als die „volle Dröhnung“ anzubieten. Im „einsunternull“ in Berlin etwa gibt es zumindest mittags auch Menüs von drei (34 Euro), vier (43) und fünf (52) Gängen, die durchaus in der Nähe eines Gourmet-Tapas-Menüs sind und dazu von großer Leichtigkeit.
Das Super-Beispiel: „Tickets“ in Barcelona
Glücklicherweise kann man mit dem „Tickets“ von Albert Adrià in Barcelona schon ein Beispiel zitieren, das in einer bisher ungekannten Art und Weise eine große Freiheit für die Gäste mit kulinarischem Entertainment und Qualität verbindet. Es gibt kein Menü, sondern eben ausschließlich Tapas, die schon bei 2,50 Euro für eine sphärische Olive (von hervorragender Qualität) beginnen. Die Gäste werden vom zahlreichen Service beraten und bestellen in der Regel erst einmal ein paar Kleinigkeiten und überlegen dann, wie es weitergeht. Die Küche ist so organisiert und zahlenmäßig besetzt, dass sie extrem schnell liefern kann und durch diese Freiheit in der Menügestaltung keine Wartezeiten entstehen. Dass die Gäste diese Freiheit durchaus nicht „ausnutzen“ (also wenig bestellen und lange sitzen bleiben) dürfte eine nicht uninteressante Beobachtung sein. Trotz dieser Freiheit wird hier sehr viel an Essen und Wein verkauft.
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Die beiden Begriffe Tapas und Menu widersprechen sich per se. Sofern man von dem ausgeht, was Tapa im Ursprungsland Spanien bedeutet. Keiner der spanischen Köche, weder Ferran Adrià noch Quique Dacosta würde seine Speisefolge als Tapas-Menu bezeichnen, sondern als Menus mit kleinen Gängen. Das findet man mittleweile in sehr vielen spanischen Restaurants.
Das Wesen des tapeo (so nennt man eine Tapastour mit Freunden), ist ja gerade, daß man von Lokal zu Lokal zieht, ein zwei Tapas genießt und dann ins nächste Lokal wechselt. Deswegen ist auch die Beobachtung, daß im Tickets Bar in Barcelona „die Gäste diese Freiheit durchaus nicht „ausnutzen“ (also wenig bestellen und lange sitzen bleiben) dürfte eine nicht uninteressante Beobachtung sein…“ ein Fehlschluß. Kein Spanier, auch kein Katalane, bleibt in einer Tapasbar lange sitzen.
Ich fande es sehr begrüßenswert, wenn auch in Deutschland diese Idee von leichteren Menüs mit kleineren Gängen und dann noch mit regionalen Spezialitäten, in mehr Restaurants zu finden wäre.
Gruß aus Spanien
Margit Kunzke
Lieber Herr Kernbach,
wir veröffentlichen ununterbrochen, also nicht – wie bei den Papier-Zeitungen und Magazinen – in bestimmten Abständen. Es gibt in der Woche meist zwischen 5 und 10 neuen Texten. Alle Texte bleiben in den entsprechenden Rubriken erhalten. Offiziell ins Netz sind wir im Mai gegangen.
Gruß JD
Tapas sind eine nahezu perfekte Form für die moderne, gehobene Küche. Freilich, die Gewohnheit ist der Feind des Neuen, und abgesehen von den verschiedenartigen Zutaten fremder Küchen, ist es doch vor allem die Speisenfolge und die „Ranghaftigkeit“, die eine so feste kulturelle Prägung hat, und nur durch wiederholten Versuch aufgebrochen werden kann. Ich selbst habe in meiner Begeisterung über Tapas in Spanien wiederholt den Fehler gemacht, zu viel zu bestellen, und mich immer wieder dabei erwischt, einen „Hauptgang“ einzuplanen.
Lieber Georg Daxer,
ja, es ist merkwürdig: bei der Bestellung eines Menüs oder eines Essens scheinen viele Gäste fast so etwas wie Vorsorgegedanken im Kopf zu haben. Diese Gedanken gehen allerdings in zwei extreme Richtungen. Bei manchen Gästen fragt man sich, warum sie überhaupt gekommen sind wenn sie denn am liebsten gar nichts essen wollen… Andere haben – gerade bei kleinen Gerichten – die große Sorge, tatsächlich zu wenig zu bekommen. Ein Teller in Tapas-Größe scheint manchmal geradezu Panik auszulösen, ob man denn genug zu essen bekommt. Es sind übrigens oft Männer, die erkennbar irritiert vor Mini-Potionen sitzen, während Frauen sich eher für den Inhalt und die schöne Präsentation zu interessieren scheinen.
Ganz allgemein haben wir uns leider das „Komaessen“ angewöhnt: wenn wir nicht bis zum absoluten Anschlag voll sind, war es nicht perfekt. Diesen Unsinn müßte man auch einmal wegbekommen….
Sehr geehrter Herr Dollasse,
Seit der ERSTEN Ausgabe von Port Culinaire beziehe ich dieses interessante Magazin. In der 42 Ausgabe befand sich ein Flyer das ich mit viel Aufmerksamkeit gelesen und auch sofort auf meinem MackBook Pro gespeichert habe.
Zunächst einmal herzlichen Dank für die neue Onlinezeitung. Wobei würde ich sehr gerne wissen wann sie gestartet ist und wie kann ich dazu kommen sämtliche bisher erschienenen Zeitungen zu erhalten. Die ich vorliegen habe ist die Folge Nr.5
Viele Grüße aus Warschau
Manfred Kernbach