Vorbemerkung: In dieser Serie geht es um das, was in der Küche in die Zukunft weist, und zwar sowohl kulinarisch als auch gastronomisch. Es geht nicht um Trends, die immer wieder einmal ausgerufen werden, aber nach ein paar Monaten schon vergessen sind. Es geht um das, was die Kochkunst in Zukunft leisten muss und kann, um das, was der Gast dringend an Veränderungen erwartet und um das, was schon lange fehlt, um der gesamten Gastronomie eine bessere Verankerung und Wertschätzung in unserer Gesellschaft zu geben.
Deutschland ist gastronomisch ein besonderer Fall, weil unseren Küchen oft eine Authentizität fehlt, wie sie Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien ganz selbstverständlich besitzen. Es gilt also, überzeugende Formate zu finden und die zweifellos vorhandenen Kräfte zum Wohle Aller zu nutzen.
Was ist „Brasserie-Küche“? Eine notwendige Klärung
Von einer Art überarbeiteten, modernisierten Brasserie-Küche ist immer wieder einmal die Rede. Das, was ich dann in den Restaurants finde, geht einerseits in die Richtung einer traditioneller orientierten, mehrheitsfähigen Küche, die ein Mix aus verfeinerten Klassikern und einer Art älteren Spitzenküche ist. Andererseits begehen die Köche oft den Fehler, ein wenig zu nachlässig zu arbeiten. Häufig meinen sie anscheinend, dass es reicht, z.B. mit ein paar aus der Spitzenküche entlehnten, aufgeschlagenen Saucen und ein paar reduzierten Fonds ein süffiges Geschmacksbild zu erzeugen. Das wirkt dann schnell wie eine verbürgerlichte Gourmetküche, also wie eine Küche, die die Regeln der Kochkunst (wie etwa klare Produktnähe) etwas arg locker sieht und Brasserie-Küche vor allem als eine weniger aufwändige, letztlich weniger präzise Küche behandelt. Solche Ansätze, die auch bei uns weit verbreitet sind, verschenken große Mengen an möglicher Qualität. Sie mögen Ähnlichkeit mit Brasserie-Küchen französischer Prägung haben, bleiben aber weit unter den Möglichkeiten der Gattung.
Die großen Vorteile der Brasserie-Küche
Die klassische Brasserie-Küche nutzt handwerklich gut gemachte traditionelle Gerichte und solche Gerichte der Spitzenküche, die sich in vielen Jahren als „mehrheitsfähig“ erwiesen haben. Diese Mischung hat den großen Vorteil, dass sie einerseits von quasi allen Gästen gemocht wird, was – andererseits – vor allem auch daran liegt, dass sie den assoziativen Kontext nutzen kann. Das heißt, sie kann auf viele positive Erinnerungen rund um solche Gerichte rechnen, auf Vorkenntnisse und auf Vergleichsmöglichkeiten. Sie steht sozusagen mitten im Leben und überzeugt in der Regel nicht nur ältere Gäste, sondern auch jüngere oder solche, die sich normalerweise eher für andere Küchen interessieren. Um diese Funktionen zu erfüllen, sollte die Brasserie-Küche aber nicht nur die französische Küche im Programm haben, sondern selbstverständliche auch entsprechende Gerichte der deutschen Küche wie etwa Königsberger Klopse, Leipziger Allerlei und Maultaschen, die exakt ähnliche Funktionen ausfüllen können, wie beliebte französische Brasserie-Klassiker wie etwa Coq au vin oder verfeinerte Terrinen.
Was ist wirklich „optimierte“ Brasserie-Küche?
Im Prinzip kann eine wirklich maximal optimierte Brasserie-Küche auch eine maximale kulinarische Qualität erreichen, die auch mit mehr als einem Stern bewertet werden könnte. Man muss im Prinzip den Eindruck haben, dass es vielleicht anders, aber nicht besser geht. Diese Qualität erreichen im Moment nur sehr wenige der Brasserien, die vorgeben, auf besondere Qualitäten zu achten. Das Hauptproblem ist dabei nicht die Kochtechnik, sondern die Geschmacksvorstellung. Für eine überragende Qualität ist es unabdingbar zu wissen, wie hervorragende Beispiele für Brasserie-Küche schmecken. Weil es aber nur wenige solcher Beispiele gibt, kann sich die Geschmacksvorstellung nur aus verschiedenen Quellen zusammensetzen. Kurz: man sollte eine ganze Reihe von Brasserien (und Bistros) – vor allem in Frankreich – besucht haben. Ein „weichgespültes“ Geschmacksbild wie das erwähnte aus verschiedenen traditionellen Schäumchen und Sößchen hat damit nichts zu tun. Die besten Beispiele zeigen jeweils sehr gute Produktqualitäten und Garungen, die unbedingt an die Spitzenküche erinnern, dazu recht würzige, gehaltvolle Saucen mit einer perfekten Süße-Säure-Balance, eine präzise, modern wirkende Sensorik, bei der gute Proportionen für ausbalancierte Akkorde sorgen, und im Zusammenhang damit oft die Beschränkung auf wenige Elemente.
Ein Beispiel in Ehren: „Léon de Lyon“
Jean-Paul Lacombe war mit seinem „Léon de Lyon“ lange Jahre das Aushängeschild der Lyonaiser Küche und hatte zwei Michelinsterne. Im Jahre 2007 beendete er diese Arbeit und eröffnete 2008 in den Räumen des „Léon de Lyon“ eine Brasserie, in der er hervorragende Klassiker zu erstaunlich begrenzten Preisen anbietet. Ein ganz besonders gelungenes Beispiel ist seine pochierte Keule vom Bauernhuhn, gefüllt mit einer Pilz-Mousseline, Savoyer Crozets und einer mit Foie gras gebundenen Sauce Suprême (22,50 Euro). Der Unterschenkel wird im ganzen serviert, der gefüllte Oberschenkel in Scheiben. Die Pilzfüllung hat die typisch französische, „satte“ Würze, die aber eben nie nach viel Salz und Pfeffer schmeckt. Die Crozets sind eine Art kleine Nudelvierecke, die man im Prinzip ganz ähnlich wie ein Risotto zubereiten kann. Sie sind hier mit viel Käse angereichert und passen bestens zum Fleisch, der Füllung und der klassischen Sauce Suprême. Das Ganze schmeckt vom ersten bis zum letzten Bissen sagenhaft süffig und trotzdem wegen der großen Finesse in den Details und der Feinabstimmung wie große Küche. Man denkt beim Essen unweigerlich darüber nach, warum eigentlich solche perfekten Gerichte keine Spitzenbewertungen bekommen. Man denkt auch darüber nach – wie in ähnlichen Fällen von besonders guter Brasserie-Küche – warum es nicht für einzelne Gerichte hohe Auszeichnungen geben kann, wenn man sich denn in den Führern schon nicht traut, auch einmal einer anderen Küche als der üblichen Spitzenküche hohe Bewertungen zu geben.