Das große Buch vom Fleisch. Produkte, Handwerk, Rezepte. Teubner, München 2017. 360 Seiten, gebunden im Schuber, 79,90 Euro
Vorbemerkung
Es ist schon merkwürdig. Man kann unbedingt den Eindruck gewinnen, als ob parallel zu der Aufregung um Vegetarisches und Veganes die Fleischküche erst ihren richtigen Schwung bekommen hat. Landauf, landab sind die simplen Grillwürste und -steaks durch eine große Anzahl von unterschiedlichen „Cuts“ von Tieren ganz unterschiedlicher Herkunft ersetzt worden, und es wimmelt nur so von Handreichungen aller Art zur besseren Behandlung von Fleisch. Und während Vegetarisches und Veganes auch weiterhin im Grunde eher ein Nischendasein führen, haben die Fleischliebhaber sich bis zu Spezialabteilungen in den Supermärkten vorgearbeitet. Ähnliches gilt für die Bücher. Auch hier gibt es mittlerweile detaillierte Angebote aller Art – bis hin zum Umgang mit bisher eher selten direkt genutzten Stücken (Stichwort: „Nose to tail“). Diese Entwicklung zeigt auch bei den lexikalisch angelegten Veröffentlichungen Folgen. Das „Große Buch vom Fleisch“ vom Teubner-Verlag aus dem Jahre 2006 hat mit dem neuen Buch kaum Ähnlichkeiten. Man kann heute einfach in Details gehen, die vor Jahren noch eher den Profis vorbehalten waren.
Das Buch
Passend zu der aktuellen vegetarisch-veganen Diskussion beginnt das Buch erst einmal mit einem Plädoyer pro Fleisch, und das unter verschiedenen Aspekten. Diese Einleitung gipfelt in „10 gute Gründe, Fleisch zu essen“, in denen vorwiegend ernährungswissenschaftliche Argumente zusammengefasst werden. Im ersten großen Kapitel werden dann die Produkte vorgestellt, wobei sofort auffällt, dass man sich zur Auflockerung des sachlichen Inhalts gerne einer „populären“, vermutlich „locker“ gemeinten Sprache bedient. „Voll Fett!“, „Lust auf große Tiere“ oder „Down under ist ganz oben“ heißt es da zum Beispiel. Ansonsten werden auffällig viele Fakten jenseits der Rezepte präsentiert. Sie sind geeignet, die gesamte Fleischkultur zu erfassen und vor allem qualitative Aspekte zu verstehen. Die Orientierung bei der Beschreibung der diversen Cuts ist international mit einer Gewichtung des angelsächsischen Marktes, wobei allerdings auffällt, dass Spanien mit seiner außergewöhnlich großen Vielfalt an unterschiedlich definierten Stücken kaum eine Rolle spielt. Nach allgemeinen Aspekten zum Fleisch geht es dann an die Gattungen, also Schwein, Rind usw. Danach nähert man sich der Küche, ebenfalls recht systematisch und detailliert. Es geht z.B. um die Werkzeuge, um die Vorbereitung des Fleisches, um Gartechniken und die entsprechenden Geräte – zusammengefasst in einer umfangreichen Übersicht.
Der Rezeptteil beginnt erst auf Seite 178, was einen klaren Hinweis auf den lexikalischen Aufbau und die Bedeutung eines soliden Grundwissens in diesem Buch gibt. Die Rezepte stammen von einer Reihe bekannter Köche wie etwa Andreas Krolik, Christian Mittermaier, Andi Schweiger, Rolf Straubinger, Alexander Huber, Sonja Baumann und Erik Scheffler. Insofern ist sichergestellt, dass nicht nur „weichgespülte“ Traditionsrezepte angewandt werden, sondern dass die Spitzenküche zu Wort kommt, die schließlich auch ansonsten für den gesamten kreativen Input in die Kochwelt verantwortlich ist. Die Rezepte sind nach Kochtechniken und Einsatzmöglichkeiten gruppiert, also etwa „Amuse Gueule und Vorspeisen“, „Sous-vide und Dämpfen“, „Grillen und Smoken“ oder „Workshop Wursten“. Stilistisch sind sie eher modern oder können als modernisierte Klassiker eingeordnet werden. Es gibt z.B. „Lammtafelspitz mit bunten Rüben und Schafskäsecreme“, „Rinderrouladen mit Kalbsbrätfüllung“, „Picanha vom Grill mit Mango-Chimichurri“, „Surf ’n’ Turf mit Rindertatar und Langostinos“ oder „Kalbsstelze mit Sesam und Kirschen karamellisiert“. Glossar und Register beenden das Buch.
Diskussion
Das Buch ist ein großer Fortschritt bei den auf Produktgruppen (Fleisch, Fisch, Gemüse etc.) bezogenen Publikationen für fortgeschrittene Privatköche. Natürlich gibt es speziellere Bücher über einzelne Gartechniken oder solche, die eher die Profis interessieren. Aber hier wird ganz klar sichtbar, dass man eine deutliche Verbesserung der Basis als Ziel hat und dass man das in den letzten Jahren breiter diskutierte Wissen rund um Fleisch aufnehmen und kondensieren will. Es darf vermutet werden, dass man bei Teubner auch die anderen „großen Bücher vom…“ überarbeitet und auf den Stand der Dinge bringt. Die Bewertung mit 2 grünen B und die Ehrung als Kochbuch des Monats Oktober sind von dieser Position aus zu verstehen.
Unnötig ist sicherlich die ein wenig krampfhaft wirkende, „flotte“ Sprache, die bei solchen von vielen Sachinformationen geprägten Büchern vermutlich niemanden interessiert. Gewichtiger sind da schon einige Defizite, die unnötig erscheinen und bei weiteren Bänden vielleicht präziser berücksichtigt werden könnten. Insgesamt fehlt es etwas an Produktsensibilität, an sensorischer Präzision und an Angaben darüber, wie etwas schmeckt. Das wird in gewisser Weise schon beim Cover sichtbar, das ein Stück vor und nach der Garung zeigt. Dabei ist die Kruste nach der Garung offensichtlich so expressiv, dass man den Kern des Fleischaromas wohl kaum wahrnehmen dürfte. Auch bei den Rezepten dominiert in weiten Teilen ein stark würziger Bistro- und Brasserie-Stil, der z.B. die Unterscheidung zwischen verschiedenen Cuts kaum schmecken lässt. Auch minimalistische Zubereitungen, bei denen die Begleitung zugunsten des Produktes komplett zurückgefahren wird, sucht man vergebens. Stilistisch klebt man zwar nicht an der französisch orientierten Klassik, lässt aber kaum eine Spur von wirklicher Moderne zu. Die Beispiele kreisen ein wenig zu stark um einen Mainstream-Mischmasch-Geschmack und vergessen komplett die neue Geschmacksästhetik der Nova-Regio-Küche, also der weltweit im Moment in der Spitze der kreativen internationalen Küche am stärksten verbreiteten Küchenform. Salopp gesprochen: Während die alte Ausgabe von 2006 zwanzig Jahre hinter der Zeit war, ist man jetzt zwar auf zehn herangerückt, liefert aber wiederum nicht das, was moderner interessierte Privatköche heute suchen. Speziell die vielen aus Spanien stammenden Kochtechniken (z.B. auch für entlegene Teile wie Knorpel und Sehnen) kommen noch nicht vor. Hier wäre es vielleicht sinnvoll, das Panel der beteiligten Köche und ihrer Rezepte etwas aktueller zu gestalten. Insofern fehlt diesem Buch – bei allem lobenswerten Aufwand – noch ein wenig die umfassende fachliche Souveränität.
Das Buch bekommt 2 grüne BB
Vielen Dank für die tolle Rezension, ich spiele gerade mit dem Gedanken, das Buch zu kaufen. Ist zwar sicherlich keine günstige Anschaffung, aber wohl das deutsche Standardwerk, wenn es um Fleisch geht.
Jetzt weiß ich, was von dem Buch zu erwarten ist.