Massimo Bottura & Friends: Bread Is Gold. Extraordinary Meals with ordinary Ingredients. Phaidon Verlag, London und New York 2017. 422 Seiten, gebunden, Flexicover, 39,95 Euro (in englischer Sprache)
Zuallererst muss man noch einen Satz zitieren, der gleich auf der einer der ersten Seiten des Buches zu finden ist: „Dieses Buch ist der Vermeidung von Lebensmittel-Verschwendung gewidmet. Alle Gewinne gehen an die Organisation „Food for Soul“, um Gemeinschaftsküchen rund um den Globus aufzubauen und zu unterhalten.“
Die Vorgeschichte und Ausgangslage des Buches ist außergewöhnlich. Zuerst einmal verweist der Titel auf eine Arbeit von Bottura, mit der er eine wichtige Kindheitserinnerung in seinem Drei-Sterne-Restaurant in Modena aufgenommen hat. Es ging um Brotreste, die er immer mit Begeisterung in Milch mit diversen Zutaten aufgeweicht und gegessen hatte. Um der Bedeutung des einfachen Brotes das richtige Gewicht zu verleihen, hat er in seinem Restaurant ein fragiles Gebilde auf der Basis von eingeweichtem und aromatisch angereicherten Brot mit Goldpuder überzogen und als Gericht serviert – ein für Bottura typischer, sehr künstlerisch gedachter Prozess.
Dann kam der Auslöser für eine grandiose Idee. Im Jahr 2013 begann man sich in Italien mit der Konzeption der Weltausstellung 2015 in Mailand zu befassen, die unter dem Titel „Feeding the planet. Energy for Life“ stehen sollte. Nach einigen Gesprächen mit den Verantwortlichen entstand der Plan, hervorragende Köche zu bitten, im Verlauf der Ausstellung mit Resten, abgelaufenen (aber natürlich noch essbaren) und einfachsten Produkten einen Lunch für die Kinder des Viertels und ein Diner für 100 Obdachlose zu kochen, also weitestgehend für Gäste, die nie im Leben irgendeinen Kontakt zu internationalen Starköchen gehabt haben.
Bottura setze sich ans Telefon in bekam in kürzester Zeit fast ausschließlich positive Antworten. Wegen der Brillanz der Liste hier eine Reihe von Teilnehmern: natürlich Massimo Bottura, Daniel Humm, Mauro Colagreco, René Redzepi, Yoshihiro Narisawa, Yannick Alléno, Gastón Acurio, die Santinis, Alain Ducasse, Joan Roca, Ferran und Albert Adrià, Carlo Cracco, Juan Marie Arzak und das Basque Culinary Center, Michel Troisgros, Andoni Luis Aduriz, Alex Atala, Virgilio Martinez, Ana Ros, Moreno Cedroni (deutsche Köche sind nicht vertreten). Eine unglaubliche Versammlung, deren Zustandekommen mit großer Sicherheit auch dem Umstand zu verdanken ist, dass das Ansehen Botturas und gerade auch die Glaubwürdigkeit solcher Aktionen sehr hoch sind.
Das Buch
Auch das Buch ist so gestaltet, dass niemand behaupten kann, hier wäre irgendwie zu viel Geld ausgegeben worden. Das Korn ist also grob und das Papier sieht aus wie mehrfach recycled. Trotzdem (oder vielleicht deshalb) hat das Buch eine bestechend überzeugende ästhetische Ausstrahlung. Bottura beginnt mit einem Vorwort, in dem er nicht nur die Entstehungsgeschichte des Buches erzählt, sondern auch auf die Verantwortung hinweist, die Spitzenköche heute für die Ernährung haben (übrigens auch in meinem Buch „Pur, präzise, sinnlich“ thematisiert). Viele Spitzenköche weltweit (ganz besonders René Redzepi) sind mit Aktivitäten in dieser Richtung befasst.
Der Aufbau des Buches ist klar strukturiert. Bottura schreibt zuerst etwas über den jeweiligen Koch und seine Begegnung mit ihr/ihm während der Aktion. Es folgt ein Bild des Kochs bei der Arbeit und eine Doppelseite mit Reportagebildern während der Zubereitung der Gerichte. Dann kommen die Gerichte und auf jeder Seite viel Platz für Rezeptnotizen (also um die Idee für eigene Arbeiten nutzbar zu machen / zu variieren). Die gekochten Gerichte sind leider nicht alle im Bild vertreten – was allerdings keine so große Rolle spielt, weil Anrichtetechniken und Mikroelemente aller Art naturgemäß bei diesem Ansatz kaum eine Rolle spielen. Den Abschluss bildet ein Verzeichnis von Namen und Rezepten.
Inhaltlich ist zuerst einmal jedes der Vorworte von Bottura hochinteressant – einmal wegen seiner wunderbar menschlich-natürlichen Einstellung, zum anderen aber auch wegen vieler Details über die Arbeit der Starköche. Dass z.B. Yannick Alléno in seinen vielen Aktivitäten als eine Art „Meister aller Klassen“ wirkt, hat eben ganz offensichtlich seine Basis in einem überragenden handwerklichen Können. Die Rezepte sind ein Muss und sollten zu einer Pflichtlektüre für jeden Koch werden, der seine Arbeit ernst nimmt und auch eine Verantwortung für eine Art ganzheitliche Ernährung sieht. Die Rezepte verraten immer wieder, mit wieviel Übersicht und Kenntnis die Meister arbeiten, wie sie sehr wohl in der Lage sind, ihre Erkenntnisse auf einfachste Voraussetzungen herunterzubrechen.
Beispiele: „Cremesuppe von gemischten Körnern mit gepopptem Reis und Ziegenmilch-Royale“ oder „Würzige Fleischbällchen (aus Fleisch von verschiedenen Tieren) mit geräucherter Aubergine, getoasteten Kichererbsen und Auberginen-Gewürz“ von Alain Ducasse. „Erdbeer-Gazpacho“ (Daniel Humm), „Pasta mit Minze und Pesto von Brotkrumen“ (Massimo Bottura), „Milch-Suppe mit Gemüse“ (Yoshihiro Narisawa), „Geeiste Blumenkohlsuppe“ (Yannick Alléno), „Piadina (Fladenbrot) Wraps mit Rind und Parmesan-Béchamel“ (Joan Roca), „Hühnerspieße mit Soja-Sauce und Popcorn“ (Alex Atala), „Ragú von Allem“ (Ferran und Albert Adrià), „Gebrannte Limetten-Suppe“ (Rene Redzepi), „Dips von Curry, Kräutern und rotem Pfeffer mit Pizza-Chips“ (Andreas Caminada). Die Liste interessanter Gerichte ist riesig, wobei man berücksichtigen muss, dass der Titel nichts über die oft ausgesprochen trickreichen Zubereitungen aussagt. Die Kreationen haben Raffinesse und viele bestechend klare Ideen, die auffällig oft über ein modernes sensorisches Verständnis zustande kommen.
Fazit
Da bleibt nicht viel zu sagen. Hier ist alles hervorragend, vom Detail bis zur vorbildlichen Moral. Das Buch gehört einfach in jede kulinarische Bibliothek und vorher natürlich in den Kopf jedes ernsthaft Interessierten.
„Bread is Gold“ wird Kochbuch des Monats November – auch wenn der Monat gerade erst begonnen hat – und bekommt 3 grüne BBB.
Projekte wie dieses sind bedeutend. Die passende Antwort der kreativen Gastronomie auf die Fehlhaltung unserer Zeit. Für mich wäre es sinnvoll, wenn Projekte wie diese in eine Regelmäßigkeit übertragen würden und sich daraus Institutionen entwickeln. Kochen für Kinder, Kochen für Alte, Kochen für Kranke, Kochen für Gefängnisinsassen. Gutes Essen hat eine unglaubliche Kraft, die die Welt zu einem besseren Ort machen kann.