Kochbuch des Monats Januar 2018

Esben Holmboe Bang: Maaemo. Mutter Erde. Matthaes-Verlag, Stuttgart 2018. 384 Seiten, Ganzleinen, 128 Euro (bis 30.4.2018: 118 Euro)

Das erste Kochbuch des aus Dänemark stammenden Drei-Sterne-Kochs vom „Maaemo“ in Oslo ist wahrlich üppig und luxuriös in der Ausstattung. Ich habe die Originalausgabe im letzten Jahr bereits bei ihm im Restaurant gesehen und wusste von der Absicht, das Buch originalgetreu in deutscher Sprache zu veröffentlichen – also nicht in einer irgendwie abgespeckten Version. Ein Grund für die Opulenz findet sich im Impressum. Dort ist die finanzielle Unterstützung der Organisation NORLA verzeichnet, die norwegische Literatur im Ausland fördert (das Kürzel bedeutet „Norwegian Literature Abroad“). Wieder einmal trifft man also auf eine staatliche Unterstützung für Kulinarisches, wie sie auch z.B. in Spanien regelmäßig zu finden ist – nicht aber für die Spitzenküche in Deutschland.

Das Buch
Esben Holmboe Bang ist kulinarisch ein ausgesprochener Minimalist, der seine Ideen in kürzestmöglicher Form realisiert. Wenn ein oder zwei Elemente zu einem Hauptprodukt die richtige Aussage erreichen, bleibt er dabei. Insofern ist es logisch, dass er für seine Mini-Menü-Portionen Rezepte in diesem Buch grundsätzlich für 10 Portionen bemisst. So minimalistisch das Endergebnis ist, so groß ist natürlich das Thema einer strikt auf das Land, seine Ressourcen und seine Traditionen bezogenen Küche. Bang hat in diesem Buch Platz genug, zuerst einmal die kühle nordische Atmosphäre in prächtigen Naturfotos auszubreiten. Einem Vorwort von René Redzepi folgt eines von Bang und dann für rund 100 Seiten die weitgehend in Bildern entwickelte Annäherung an sein Kernthema, die neue norwegische Küche in lupenreiner Nova-Regio- Machart, also in der Neuinterpretation und/oder Wiederentdeckung lokaler Produkte und Traditionen und ihrer Interpretation aus dem Geist der Avantgarde. Dabei entsteht durchaus auch ohne viel Worte ein schlüssiges Bild zwischen Naturaufnahmen, der modernen städtischen Architektur des „Maaemo“ am Hauptbahnhof von Oslo und der Gerichte. Es gibt allerlei Bilder aus der Küche und vom Produktionsprozess. Der Eindruck ist Intensität ohne pompöse Inszenierung, die Köche wirken wie eine Mischung aus Spitzen-Handwerkern und Mitarbeitern in einem Forschungslabor.

Insofern sind auch die Rezepte selbstverständlich „Kostproben der Inspiration“ und nicht Anleitung für Hobbyköche oder zum Kopieren der Küche des Maaemo. Das würde ohnehin schwer fallen, weil ein konsequenter Nova-Regio-Ansatz, wie hier es eben so an sich hat, nur an Ort und Stelle realisiert werden zu können. Die Rezepte (rund 150 Seiten) sind – siehe oben – nicht besonders umfangreich, aber immer mit modernstem Verständnis realisiert. Das Spektrum reicht von der „Makrele mit Ulmenblättern“ über die „Jakobsmuscheln mit geräucherter Sahne und Heidekraut“ bis zu “Kalbsbries mit Malz, Erbsen und fermentiertem Kirschsaft“, „Gereiftem Schweinefilet“ oder „Rentier mit säuerlichem Pflaumensaft und Topinambur“. Was sich dahinter verbirgt, wird vor allem in den „Grundrezepten und Produktinformationen“ klar, die auf rund 70 Seiten den Abschluss des Buches bilden. Dort gibt es dann z.B. „Kräuteröle“, „Lake zum Einlegen“, verschiedene Formen der Fermentierung, „Makrelen-Garum“, „Wacholdergeräucherte Milch oder Sahne“, „Lauchasche“ oder „eingelegte grüne Erdbeeren“. Alles ist umfangreich und klar erklärt und präsentiert perfekt das Spektrum der Arbeit im „Maaemo“ – vor allem in ihrer ganzes Gründlichkeit und Konsequenz.

Bei den Rezeptdetails wird auch klar, warum man im „Maaemo“ häufig das Gefühl hat, dass es hier immer – wie Bang das einmal gesagt hat – um eine richtig gute Küche („great food“) geht, der Geschmack eines Gerichtes also die Gäste direkt erreichen und überzeugen soll. Dass für den mitteleuropäischen Gaumen dabei auch schon mal Produkte verwendet werden, die bei uns nicht unbedingt auf der Liste der süffigen, weit verbreiteten Aromen stehen, versteht sich von selber (getrocknetes Hammelfleisch etc.). Grundsätzlich geht es in dieser Küche um eine individuelle Durchdringung und Neuformulierung von jedem Detail. Wer Standards sucht, wird quasi keine finden, weil die Küche des „Maaemo“ Vorreiter für eine neue norwegische Küche geworden ist, also – wenn man so will – eher neue Standards setzt.

Fazit
Das Buch ist nicht nur schön und eine große allgemeine Inspiration, sondern auch im Detail faszinierend. Die kurzen Rezepte zeigen einen Gestaltungswillen und eine Klarheit, wie sie nur die ganz Großen ihrer Zunft haben. Der mitteleuropäische Leser wird unweigerlich an den Punkt kommen, wo er sich fragt, ob so etwas auch hier realisierbar ist. Natürlich ist es das, aber – die Zahl der Köche, die auch nur annähernd so konsequent arbeiten, ist in Deutschland noch eher gering, weil der wichtige Schritt der Analyse unserer Produkte und Traditionen noch weitgehend aussteht. Wie heißt es hier doch beim „Dessert aus Weizenbier, Roggenbrot und Met“: „Dieses Dessert beruht auf einer alten Tradition, nach der man altbackenes Roggenbrot nimmt und in Bier kocht. Der Weizenbieressig ist ein Rückstand aus der Herstellung des Bieres.“ Und dann kommt ein Sorbet von Weizenbieressig, ein Roggenbrotkeks und eine Sauce aus Met mit Weizenbieressig. Punkt und klar und nachvollziehbar und – lecker.

Esben Holmboe Bang ist nicht nur ein cooler Typ von einigem Selbstbewusstsein, sondern ein großartiger Koch, also Realisator mit beträchtlichem Vorbildcharakter. Wer dieses Buch aufsaugt (von Lesen will ich gar nicht sprechen) sollte aber immer eines bedenken: Details zu kopieren und zu adaptieren macht oft wenig Sinn. Erst muss der Zusammenhang stimmen, die Idee zwingend und so logisch entwickelt sein, wie in diesem sensationellen Buch.

Das Buch wird eat-drink-think Kochbuch des Monats Januar 2018 und bekommt 3 grüne BBB

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