Während die deutsche Spitzenküche auch weiterhin um eine Stabilisierung nach der Corona-Pandemie kämpft und vor allem versucht, Mitarbeiter zu gewinnen oder zurückzugewinnen und die Öffnungszeiten an den Status Quo anzupassen, kommt ausgerechnet von einem Medium, das in den letzten Jahren nicht gerade als Freund avancierter Kochkunst aufgefallen ist, ein neuerlicher, in seiner Motivation höchst merkwürdig anmutender Querschlag.
Unter dem Titel „Gruß aus der Küche“ hat die ZEIT in ihrer letzten Ausgabe einen Text über die Arbeitsbedingungen in Spitzenrestaurants veröffentlicht. Im Summary unter der Überschrift heißt es:
„In einigen deutschen Sternerestaurants herrscht ein Klima der Angst. Mitarbeiter werden von ihren Chefs erniedrigt, Azubis brechen heulend zusammen. Über ein ungnädiges System, dem sogar die Starköche selbst zum Opfer fallen können.“
Im Text wird erwähnt, dass man seit 1 ½ Jahren „über Machtmissbrauch“ in diesem Bereich recherchiere. In dieser Zeit hätten sich „30 Betroffene“ gemeldet. Die Rede ist von einer „Kultur der Selbstausbeutung“ und einem „Klima der Einschüchterung“. Namentlich genannt werden die Köche Tohru Nakamura, Christian Lohse, Tim Raue, Alfons Schuhbeck und Christian Jürgens. Die Köche bestreiten die Vorwürfe weitgehend oder fühlen sich missverstanden. Im Verlauf des Textes erwecken die Autorinnen zum Beispiel auch den bizarren Eindruck, als habe die Althoff-Gruppe ihre Entscheidung, die Öffnungszeiten im „Vendôme“ und im Restaurant „Überfahrt“ zu reduzieren, wegen einer Anfrage wegen der Arbeitsbedingungen seitens der Autorinnen einen Tag vor Verkündung dieser Entscheidung getroffen. Klärungen in Form von Gegenüberstellungen etc. finden in dem Text quasi nicht statt. Der Bericht nimmt vor allem die Position der „Opfer“ ins Visier. Dass sie eventuell auch „Täter“ sein könnten, deren Verhalten im beruflichen Alltag erhebliche Störungen verursacht, kommt in der Darstellung quasi nicht vor. Die Vorstellung, dass eine Küchenbesatzung gerade bei Spitzenrestaurants wie eine Band ist, bei der der Ausfall eines Mitglieds wegen schwacher oder fehlerhafter Leistungen schwerwiegende Folgen für das Ganze hat, kommt ebenfalls nicht vor.
Warum ausgerechnet die Spitzenküche?
Dass es in Betrieben aller Art täglich arbeitsrechtliche Verstösse aller Art gibt, ist längst bekannt und ein Allgemeinplatz. Berichte darüber gibt es immer wieder und seit Jahrzehnten (schon Günter Wallraff hat das gemacht) – zuletzt besonders ausführlich im Zusammenhang mit der MeToo-Debatte. Die Vorwürfe in dem ZEIT-Text kann man ohne weiteres nachvollziehen, wobei allerdings ganz unterschiedliche Perspektiven sichtbar werden können. Es ist leicht vorstellbar, dass etwas rustikaler denkende Vorgesetzte Vorkommnisse dieser Art für völlig normal halten und davon berichten können, wie unwillig, unmotiviert oder gar destruktiv die Arbeit mancher Mitarbeiter sein kann – vor allem dann, wenn sie offensichtlich falsche Vorstellungen von ihrem Beruf, seinen Anforderungen und Belastungen oder auch der Arbeitswelt insgesamt haben und eine Kritik am eigenen Verhalten nur dann verstehen, wenn sie sehr deutlich ausfällt.
Weil man ein solches Dossier jederzeit an jeder Stelle machen könnte, stellt sich fast automatisch die Frage, warum man sich ausgerechnet mit der Spitzenküche befasst. Es gibt sicherlich Teile der Gastronomie, in denen weit mehr Probleme mit dem Personal und zwischen Vorgesetzten und Personal existieren als in der Spitzenküche. Warum also? Dazu muss man einen Blick auf die genuin journalistischen Aspekte einer solchen Aktion werfen.
Der journalistische Aspekt
Es gibt eine Art von Karriere-Journalismus, der gerne etwas mit Investigativ-Journalismus zu tun hat. Vorzugsweise jüngere, aufstrebende JournalistInnen sind in einer oft kaum nachvollziehbaren Art damit beschäftigt, Themen zu suchen, mit denen sie irgendwie für Aufsehen sorgen können. Dabei spielt oft keinerlei Rolle, um was es dabei geht und/oder ob sie besondere Kenntnisse in diesem Themenbereich haben. Wichtig ist der Erfolg, und das bedeutet: Aufsehen erregen, Diskussionen – oder besser gesagt: Reaktionen – zu provozieren, um eine so „erfolgreiche“ Geschichte dann in den eigenen Lebenslauf aufnehmen zu können. Das Gegenteil zu einem solchen Karrierebild sind JournalistInnen, die sich auf spezielle Gebiete konzentrieren, um wenigstens dort fachlich kompetent zu sein und den Dingen der Welt sachgerecht gegenüberstehen zu können. Diese Spezialisten haben normalerweise ein anderes Denken, das sehr viel weiter gefächert ist. Sie sehen ihre Arbeit als Teil des Ganzen, und werden die Folgen ihres Schreibens immer im Blick haben. Die KarrierejournalistInnen sind häufig an solchen Überlegungen, die das gesamte System betreffen, nicht interessiert. Ihnen geht es um die Wirkung ihrer Geschichten, sonst nichts.
Dabei ist eine Geschichte über Arbeitsbedingungen in der Spitzenküche eigentlich ein ganz alter Hut. Seit vielen Jahren gibt es immer wieder „Enthüllungsbücher“ ehemaliger Köche von Anthony Bourdain bis zu Bill Buford oder Roland Trettl mit Inhalten, deren Potential weitaus kritischer ist, als das, was die beiden Autorinnen für die „ZEIT“ zusammengetragen haben. An den Büchern ist regelmäßig zu kritisieren, dass sie – sagen wir: sehr forciert geschrieben sind, also vor allem dramatisieren, um – siehe oben – möglichst viel Effekt zu erzielen. Wie sehr viel „Enthüllungsbücher“ dienen sie vor allem den kommerziellen Interessen der Autoren und nicht unbedingt der Wahrheit.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Arbeit der beiden Autorinnen wie Investigativjournalismus auf Schülerzeitungsniveau (ohne viele gute Schülerzeitungen beleidigen zu wollen…). Es muss forciert werden, die Kenntnisse des gesamten Systems sind marginal und die Folgen werden nicht bedacht. Man twittert und freut sich über die Reaktionen. Eine sachgerechte Darstellung des zweifellos vorhandenen Problems ist dies nicht. Man ahnt das Problem zwar, berührt es aber nur am Rande, weil offensichtlich die Fähigkeiten zu komplexerem Denken fehlen.
Dass dies ausgerechnet in der ZEIT stattfindet, kann nicht verwundern. Die Wochenzeitschrift ist längst so etwas wie eines der Zentralorgane des genussreduzierten Essens, also derjenigen Bevölkerungsschichten, denen es reicht, wenn sie etwas „lecker“ finden (um das einmal etwas knapp zu formulieren). Eine Auseinandersetzung mit der Kochkunst, die diesen Rang verdient, findet in der ZEIT nicht statt, was im Grunde nur noch peinlich ist und dem Grundverständnis des Blattes in keiner Weise entsprechen dürfte. Die Klischees von der Spitzenküche als abgehoben, „Schickimicki“, „überzüchtet“ oder ähnliches werden gewollt-ungewollt von solchen Zeitschriften perpetuiert. Ich persönlich benutze in diesem Zusammenhang gerne den Satz: Ein Intellektueller, der kein Gourmet ist, ist kein Intellektueller. Ich habe das an anderer Stelle schon ausführlich dargestellt und begründet.
Wie groß wird der Schaden sein und wie wird er sich darstellen?
Der direkte Schaden solcher Meinungskampagnen für die Reservierungen dürfte nahe Null sein, weil sich die besten Restaurants (also vor allem die Zwei- und Drei-Sterne-Restaurants) über eine treue Kundschaft freuen können. Für ihre Gäste ist die Teilhabe an der kulinarischen Kultur ein wesentlicher Teil ihres Lebens. Außerdem verfügen sie in der Regel über das nötige Reflektionsniveau, um solche Kampagnen (denn darum handelt es sich in letzter Instanz, siehe oben) richtig einzuordnen.
Der Schaden liegt mehr auf einer anderen Ebene. Die ZEIT und ihre beiden naiven Autorinnen perpetuieren mit dieser Aktion die alten, dumpfen Vorurteile gegen die Spitzenküche, die es in Deutschland schon lange und so ausgeprägt wie in keinem anderen Land gibt. Sie stärken Stammtischparolen in verschiedenen sozialen Schichten, für die die Spitzenküche immer schon ein rotes Tuch, Neidobjekt oder sonstiges Feindbild war. Mit dieser Aktion verstören sie aber auch mit Sicherheit jene Leute, die die Arbeit der Spitzenküche in Corona-Zeiten (Stichwort: Kochen für Helfer/Max Strohe etc.) ganz ausgezeichnet bodenständig und menschlich fanden. Ich habe im vergangenen Jahr eine ausführliche Würdigung der Initiative von Max Strohe vom „Tulus Lotrek“ in Berlin geschrieben und darauf hingewiesen, wieviel Gutes er für das Image der Spitzenküche getan hat. Solche positiven Aspekte können durch diese völlig unbedachte Arbeit bei der „ZEIT“ Schaden nehmen.
Ein weiterer Schaden kann sich durch solche und ähnliche Aktionen typischerweise vor allem in der Presse selber ergeben. Nur zur Erinnerung: Es gibt heute keine überregionale Zeitung mehr, in der sich eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Kochkunst auf adäquatem Niveau abspielt. Auch wenn überregionale Zeitungen und Zeitschriften einmal über die Kochkunst im engeren Sinne berichten, geschieht dies in der regel auf einem Niveau, das mit der Auseinandersetzung mit anderen Künsten nicht zu vergleichen ist. Der sich in diesen Medien auf diese Weise dokumentierende Dünkel und die Unkenntnis der Materie wird von Aktionen wie der der „ZEIT“ unterstützt.
In der Praxis werden dann Vorschläge, bestimmte Features zu schreiben, vielleicht mit Worten vom Tisch gewischt wie etwa: „Na, das ist jetzt gerade aber überhaupt kein Thema mehr“. Ich habe das im Zusammenhang mit bestimmten Restaurants in den vergangenen Jahren immer wieder selber erlebt.
Die Spitzenküche hat keine Pressearbeit
An diesem Punkt fällt dann auch wieder einmal auf, dass die Spitzenküche nicht organisiert ist, also weder einen bekannten Vertreter ihrer Zunft für eine sachgerechte Antwort nach vorne schicken kann, noch eine nennenswerte Pressearbeit hat. Auch die Rolle der Althoff-Gruppe will nicht so recht gefallen. Ich habe in den letzten Tagen ausführlich die nur noch sehr kurzen Öffnungszeiten und das weitestgehend auf Menüs konzentrierte Angebot der Drei Sterne-Restaurants diskutiert. Dass man den Schritt zu 5 Services bei Althoff mit einer besseren arbeitsrechtlichen Lage für das Personal begründet und nicht – wie naheliegend – darauf hinweist, dass man die 35-Stunden Woche mit einer Besatzung nur bei einer Begrenzung auf 5 Services hinbekommen kann, mag man so stehen lassen. Dass diese – sagen wir: leicht eingefärbte Pressemitteilung nun aber auch noch mit – teilweise eingeräumten – Vorwürfen gegen Christian Jürgens kollidiert, ist schon ein ziemlicher Publikations-Gau. Auch wenn die Vorwürfe teilweise geradezu lächerlich kleinlich wirken (etwa bei dem Vorwurf, Jürgens habe Personal zum Waschen seines Autos eingesetzt) wird hängenbleiben, dass einer der wichtigsten Arbeitgeber der deutschen Spitzenküche da nicht gerade elegant reagiert hat. Man kann heute die deutsche Spitzenküche und ihre Leistungen in Grund und Boden beleidigen oder ihr öffentliches Ansehen mit fragwürdigen Methoden schädigen: Eine ernsthafte Gegenwehr braucht man nicht zu befürchten. Man ist Opfer. Juristische Auseinandersetzungen würden übrigens für das Image kaum etwas bringen.
Wie? Weil es überall und schon seit Urzeiten arbeitsrechtliche Missstände gibt, muss man sich – so Ihre Argumentationsstruktur – fragen: „Warum ausgerechnet die Spitzenküche?“
Man mache sich diese Argumentationsstruktur zueigen und beziehe sie auf andere ‚Missstände‘. Zum Beispiel auf Kriege: Wie? Weil es überall und schon seit Urzeiten Kriege gab und gibt, muss man sich fragen: Warum richten sich die moralischen Angriffe ausgerechnet jetzt gegen Putin? Oder – hinsichtlich der Missbrauchsskandale – gegenwärtig gegen die katholische Kirche?
„Cui bono? Wem nützt‘s?“ Natürlich darf man diese Frage stellen. Aber zuerst wäre doch die Frage zu klären: Haben wir es hier erstens mit regelmäßig stattfindenden Vorfällen (oder nicht) zu tun und, wenn ja, zweitens mit einem dahinter stehenden Strukturproblem? (Dass man gerade letzterer Frage gerne und lange zu entgehen versucht, aber letztendlich doch vergeblich und erst recht nicht dadurch, dass man sich selbst als Opfer inszeniert: davon kann derzeit die katholische Kirche ein Liedchen singen…)
Indessen: Nicht nur diese Argumentationsstruktur, sondern auch Ihre ‚Fallklärung’ ist erstaunlich simpel: Sie insinuieren als vermeintlicher Kenner der Materie (allerdings wird man Sie doch wohl eher im Gastraum und nicht über Stunden am monierten ‚Tatort’ sprich: in der Küche sitzend finden?), hier würden Lächerlichkeiten aufgebauscht, mit denen unfähige Angestellte bzw. ebenso unfähige Journalisten sich wichtig machen wollen.
Auch angesichts dieser Unterstellung Ihrerseits könnte man übrigens fragen: „Cui bono.“ (Zu welchen Unterstellungen würde dies wohl führen?!?) Aber ich belasse es mal dabei, besagte Simplizität der Argumentation zu konstatieren.
Allerdings komme ich, wenn einem dann auch noch (nach dem Motto: „Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz!“) das Hohelied der Intellektualität vorgesungen bekommt, nicht umhin hinzuzufügen: Erstaunlich unterkomplex argumentiert für einen Intellektuellen, Herr Dollase!
Dass es übrigens auch das Andere gibt, sprich: dass es durchaus Freude machen kann, (übrigens trotz hoher Beanspruchung!) in der Spitzengastronomie zu arbeiten, dies vermag ich aus der engsten Verwandtschaft berichten und bestätigen. Gottseidank.
Noch ein Zusatz. Auf der Homepage von Christian Jürgens findet sich unter ‚Persönlich‘ folgendes Statement: „Ich möchte die Gastronomie in eine neue Bahn führen und wieder für den Nachwuchs interessant machen. Leistungsgerechte Bezahlung, bessere Arbeitszeiten, Chancen, auch am „normalen“ sozialen Leben teilhaben zu können und trotzdem auf höchstem Niveau arbeiten zu können.“
Das kann zwar nicht als Antwort auf die von der ZEIT benannten Fälle gelesen werden. (Erst recht nicht auf die ihn selbst betreffenden Vorwürfe.) Aber wohl doch als Hinweis, dass es – was die arbeitsrechtlichen Bedingungen angeht – strukturelle Probleme gibt. Die möglicherweise – wenn man noch den hohen Leistungsdruck in Betracht zieht – auch in persönliches Fehlverhalten, wie die geschilderten, einmünden können.
Ein Hauptproblem ist doch, dass viele Köche „Chefs-sein“ selbst nicht anders „gelernt“ haben und reproduzieren was ihnen wiederfahren ist.
Die oft als vorbildlich geltende dänische Gastronomie geht auch hier vorweg: mit der MAD Academy wurde eine Institution geschaffen, die vermittelt, wie zeitgemäße Mitarbeiterführung / Teambuilding funktioniert. René Redzepi hat über sein eigenes Fehlverhalten geschrieben, er rechtfertigt das nicht, sondern will ganz offensichtlich einen Wandel bewirken.
Im Artikel der Zeit wird nicht die „Kochkunst“ angegriffen sondern bestehende Probleme benannt.
Ein Schaden für Sie ensteht nicht durch den Artikel der Zeit, sondern durch die beschriebenen Praktiken in der Branche.
Es ist Zeit das in der Branche aufzuarbeiten und zu ändern und beschämend, dass dies noch nicht geschafft wurde obwohl die Probleme bekannt sind.
Sätze wie diese:
„Der Bericht nimmt vor allem die Position der „Opfer“ ins Visier. Dass sie eventuell auch „Täter“ sein könnten, deren Verhalten im beruflichen Alltag erhebliche Störungen verursacht, kommt in der Darstellung quasi nicht vor“
sind absurd und der Versuch die journalistische Arbeit zu diskreditieren eine Frechheit. Leider ist das eine typische Reaktion, dabei ist es überfällig die Probleme anzuerkennen und zu beheben anstatt diese kleinzureden.
Kritisiert den Journalismus der Zeit und lässt solche Sätze wie „Die Wochenzeitschrift ist längst so etwas wie eines der Zentralorgane des genussreduzierten Essens, also derjenigen Bevölkerungsschichten“ fallen. Selten so einen undifferenzierten unseriösen, sagen wir Mal „Senf“ gelesen. Weil mehr ist es auch nicht.
Der bericht von der Zeit ist doch hieb und stichfest, das ist guter seriöser Journalismus.
Kein Schaum vor dem Mund aber offenes Visier. Man hat es hier in der Tat mehr und mehr mit sektenähnlichen Verhältnissen zu tun. Böswillig könnte man behaupten, vieles erinnert an die Argumentationslinien, die man aus rechten Querdenkerkreisen kennt: Man fühlt sich permanent verfolgt von Kampagnen linker Medien, Kritik beruht stets auf Ressentiments – ist also nie berechtigt. Journalisten, Nestbeschmutzer und Andersdenkende sind selbstredend die Täter, die eigenen Leute immer die Opfer. Nur man selbst verfügt über das alleinige „Herrschaftswissen“, welches befähigt Kritik an den eigenen Leuten zu üben, selbst bei ubiquitären Themen wie Arbeitsrechtsverletzungen. Journalisten sind hingegen naiv und inkompetent und verbreiten lediglich Fake News. Behauptungen Andersdenkender könne man „Satz für Satz widerlegen“ (hat aber gerade natürlich keine Zeit/ Lust).
Nur sind diese angeblichen Ressentiments in der Bevölkerung wie in den linken Medien nicht mehr als eine Behauptung. Im Gegenteil, die zunehmende Präsenz deutscher Sterneköche im Fernsehen spricht für eine zunehmende Akzeptanz wenn nicht gar Bewunderung. Da ist es natürlich klar, dass diese inklusive Arbeitsbedingungen mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses rücken als es vielleicht die Besitzer von Frittenbuden tun. Eine Reportage über mögliche Missstände ist die logische Konsequenz. Mit Kampagne hat dies wenig zu tun. Wie „ressentimentbeladen und tendenziös“ die Zeit über Sterneköche berichtet, mag folgendes Zitat aus dem Artikel belegen: „Kochen auf diesem Niveau ist eine Kunst von großartiger Finesse, eine Kunst die berühren und überwältigen kann.“ Vielleicht sollten der „Guru“ und seine Jünger ganz ohne Schaum vor dem Mund noch einmal in sich gehen, bevor sie versuchen, auch noch diesen Satz als perfiden Angriff auf die Branche zu widerlegen.
prekäre arbeitsverhältnisse, mobbing am arbeitsplatz, verletzung gesetzlicher rahmenbedingungen, ausbeutung-all das muss öffentlich gemacht und diskutiert werden, weil es viele branchen und beschäftigte betrifft. das problem mit dem ZEIT-artikel ist aber ein anderes- er funktioniert deshalb, weil er auf massive ressentiments, vorurteile, ablehung der hochküche setzt. spitzenküche ist in den augen der ZEITleute offensichtlich per se etwas abgehobenes, dekadent-perverses, dieser grundtenor zieht sich durch den ganzen artikel. würde über ähnliche fälle ( die es natürlich auch gibt) zb im gesundheitssektor an unikliniken berichtet, würde allen vorwürfen zum trotz das system spitzenmedizin nicht in frage gestellt; genau das passiert aber bei der ZEIT.
Es läuft immer wieder auf das gleiche hinaus. So wie schon im Artikel zuvor „Auf dem Weg zur kulinarischen Sekte? Die Drei-Sterne-Restaurants produzieren eine Lücke“ kurz angebracht, sind Gäste beim Thema Essen in Spitzenrestaurants und „guten normalen“ Restaurants vom Know how her immer noch weit hinterher. Das gleiche gilt eben auch für die Thematik Personal & Co. Bei den Journalisten, Restaurantkritikern und wie sich diese Zunft sonst noch betitelt, sieht es leider nicht anders aus. Der Beitrag hier von Herrn Dollase zeigt es mal wieder in aller Deutlichkeit. Nur „dabei“, ist eben nicht „mitten drin“. Und genau das ist das Problem. Ein weiteres Problem ist natürlich auch bei den Zeitungen die Etage, die diese Damen und Herren beschäftigt und somit für das Gehalt sorgt. Für mich bis heute immer noch unerklärlich – ausser der Gedanke, der sich automatisch aufdrängt.: Die Chefredakteure haben noch weniger Ahnung als diejenigen, die dann darüber schreiben.
Das die Zustände in der Gastronomie und Hotellerie – und somit das Image der Branche – nicht unbedingt toll und vorzeigbar sind, schwebt bei den allermeisten irgendwie so mit, beeinflusst allerdings nicht die Auswahl der Location, wenn es zum Essen geht. Ich selber habe schon Einblick in der Zeit Artikel gehabt, da hatte nun mal NIEMAND auf dem Schirm, dass das Thema wieder bei einer Zeitung aufgenommen und landen wird. Entsprechend gibt es Informationen, die in diesem Artikel gar nicht erscheinen und auch nur Leute wissen können, die – wie im Falle Christian Jürgens z.B. – dort gearbeitet haben und die man schlichtweg kennt. Nur soviel: Bei einigen, die so von diesen sog. Journalisten gehyped werden, geht’s bis heute zu, wie im alten Rom. Und das ist nunmal einfach FAKT.
Es ist halt eben ein wesentlicher Unterschied, ob ich in einem Nebenraum sitze und dort ein für mich EXTRA angefertigtes Essen probiere und dann darüber schreibe – und weiß, dass ich ein Gehalt beziehe und das Essen mich womöglich keinen Cent kostet – als das ich seriös und unerkannt in einem Restaurant sitze, selber bezahle – also die Summen, die auch andere Gäste auf den Tisch legen – und mir auch nur dann ein neutrales Bild zu den Leistungen und den drumherum machen kann. Für mich ist die Spezies an Fachjournalisten und Foodkritiker, dahergelaufene Foodblogger & Co. nicht die Benchmark und dies solle auch nicht für die Leserschaft sein – NIEMALS!
Ja, wie im letzten Artikel auf diesem Kanal von mir beschrieben, wird sich einiges ändern müssen und zum Glück gibt es die ersten Chefs, die mir das im persönlichen Austausch auch bestätigen. Doch das geht eben nicht mit Journalisten usw., sondern nur mit Profis, die auch keine Angst haben, nen Weg einzuschlagen, der im ersten Augenblick vielleicht für große Augen und Unverständnis sorgen wird. Ich selber habe letztes Wochenende in Zürich ein Megatalent besucht, der schon im jungen Alter (auch auf Grund selbst gemachter Fehler) NEU denkt und die Mitarbeiter in den Vordergrund rückt und zwar so wie es sein soll. Und wenn wir schon beim Thema Schweiz sind: Auch da hupfen diese sog. Amateurjournalisten rum – wie z.B. bei der NZZ – und meinen, sie hätten in irgendeiner Form nen Einblick in die Branche, geschweige davon, was auf dem Teller vor ihnen eigentlich passiert.
Es gibt die Locations, die einiges richtig machen und eben die MEHRZAHL, die viele falsch machen – auch ausserhalb der sog. Spitzengastronomie. Jede Veränderungen wird nur mit dem GAST gemeinsam funktionieren. Jede weitere Zusammenarbeit und Kooperation mit Leuten von Zeitungen & Co. sollten ALLE für sich auf den Prüfstand schicken und checken – vor allem nach diesem Beitrag hier.
Und bevor ich es ganz vergesse: ja, ich war vor ein paar Tagen am Tegernsee und da ist man so gar nicht „amused“ über das, was da so aufploppt und an Infos rüber schwappt.
Bei dieser „Darstellung“ des Zeit Artikels von einer groben Verzerrung des Inhalts zu sprechen wäre sicherlich noch allzu freundlich. Diese vier Köche sind alle aus dem Fernsehen bekannt und damit Personen des öffentlichen Interesses. Dort pflegen sie freilich ein ganz anderes Image wahlweise als knuddeliger Sterneopi oder jugendlicher Strahlemann. Besonders unappetitlich Jürgens der in einer casting Kochshow den fürsorglichen Softie gab. Ein Blick hinter die Kulissen dieser angeblich so strahlenden Welt, die diese vier Protagonisten uns so gerne verkaufen möchten, ist daher hochinteressant. Und das Ergebnis ist erschütternd. Die Aussagen der Opfer werden belegt durch weitere Zeugen. Allen Köchen wird die Gelegenheit gegeben sich zu äußern. Der eine schweigt, der zweite streitet über seinen Anwalt alles ab, ein weiterer versteckt sich hinter seinem Arbeitgeber und einzig Nakamura äußert sich zu den Vorwürfen. Und zwar nicht wie hier wahrheitswidrig behauptet wird mit Unverständnis sondern mit Reue. Er hoffe, dass dieser Artikel eine breite Diskussion anregt. Das dies in einer so unsäglichen Weise geschehen würde, hätte sich vermutlich niemand vorstellen können. Für den ramponierten Ruf einer Branche, wo man eben auch einen Strohe oder das in der Zeit positiv hervorgehobene Nobelhart kennt, sind nicht die Journalisten verantwortlich sondern die Täter! Wer sich jedoch so wie hier geschehen zum Komplizen dieser kochenden Menschenschinder macht – sei es aus Ignoranz oder um sich als Lobbyist der Sternegastronomie anzubiedern – sollte sich ernsthaft Gedanken machen, ob er als unabhängiger Restaurantkritiker noch den richtigen Beruf ausübt.
Lieber Marius, lieber E.Egger, Sie machen sich die Sache wesentlich zu leicht und sehen nicht, welches Unheil die Pauschalisierungen der Autorinnen und die Arbeit der Zeit anrichtet. Vielleicht sollten Sie meinen Text einmal richtig präzise und ohne Schaum vor dem Mund lesen. Für die FAZ schreibe ich übrigens regelmäßig eine Kolumne in der Sonntagszeitung nachdem meine Arbeit im Feuilleton drei Jahre nach der üblichen Pensionierungsgrenze geendet hat. Und – Ihre Texte lassen sich fast Satz für Satz wiederlegen. Trotzdem immer mit freundlichen Grüßen und Dank für Ihren Debattenbeitrag
Jürgen Dollase
Guten Morgen Herr Dollase,
zunächst entschuldigen Sie bitte meinen Höflichkeits-Ausrutscher. Tatsächlich schätze ich Ihre Texte nach wie vor, obwohl ich noch zur U-60-Fraktion gehöre. Nicht des Stils wegen, sondern weil Ihre Beiträge in der Regel Inhalt haben. Alles andere in meiner Ausführung muss ich aber so noch einmal unterstreichen. Ich finde tatsächlich, dass Sie die Neigung haben, andere Medien geradezu abzukanzeln – mit Vorliebe auch die SZ. Das empfinde ich als unangemessen, denn Spitzenküche hat heute eine derart vielfältige Ausprägung, dass der journalistische Zugang dazu selbstverständlich auch unterschiedlich sein darf und muss.
Und natürlich würde ich mir auch hier in Ihrem ureigenen Medium wünschen, dass Sie in Ihren Repliken nicht nur darauf verweisen, was Sie alles widerlegen könnten, wenn Sie denn wollten, es aber dann doch unterlassen. Sich also einer Debatte tatsächlich entziehen. Das wird Ihnen nicht gerecht.
Angenehmen Tag wünscht
E. Egger
Lieber E.Egger, im Moment fehlt mir einfach die Zeit für lange Antworten. Ich bereite mich zum Beispiel auf Interviews mit Dan Barber und Manoella Buffara bei der Chefsache am 3. und 4. Oktober vor…Aber – verfolgen Sie doch bitte auch die im Moment 80 Kommentare auf einer meiner beiden Facebook-Seiten
Sehr geehrter Herr Dollase,
Sie disqualifizieren sich einmal mehr selbst – köstlich Ihr Hinweis, dass keine überregionale Zeitung, also auch die FAZ, für die Sie noch gelegentlich was schreiben dürfen – ernsthaft über Spitzengastronomie berichtet.
In Ihrem beleidigten Text verzichten Sie darauf, zu argumentieren. Sondern sie greifen einfach die Autorinnen an. Ersten zeihen Sie sie der Unwissenheit und Naivität. Als ob nur Insider mit geschultem Gaumen die teils verheerenden Verhältnisse in Küchen thematisieren dürften. Fakt ist, dass es dabei im Prinzip um Menschenrechtsverletzungen geht. Diese anzuprangern, ist sicher nicht nur Sache eines Protagonisten aus der Sterneküche selbst. Das zu glauben entspräche der Haltung, nur Insider der Bankenszene dürften krumme Geschäfte oder Steuerhinterziehungen entlarven – und nicht Steuerfahnder oder Journalisten, die z. B. die Panama-Papers enthüllt haben.
Sie gehen in der Folge dazu über, bei den erniedrigten Mitarbeitern die Schuld zu suchen. Als gebe es im Küchenalltag Verfehlungen, die eine Entwürdigung von Menschen rechtfertige. Das ist weiß Gott kein Argument, sondern eine unerträgliche Haltung. Denn nichts rechtfertigt, Mitarbeiter auf solche Art zu behandeln.
Dann kommen Sie blindwütig daher, und beschuldigen die Autorinnen, sie befassten sich mit dem Thema bloß aus unlauteren, karrieristischen Gründen. Und schließlich verdammen Sie das ganze Medium, weil es beim Schreiben über Essen nicht ihren geblähten, altväterlichen und überkommenen Stil pflegt, mit dem Sie seit Jahren keinen Leser unter 60 mehr in Ihrer Kolumne abholen können.
Ich muss schon sagen: Wer auf diesem Niveau einen offenbar akribisch durchrecherchierten Beitrag, der noch dazu inhaltlich durch Nakamura so bestätigt wird, diskreditiert, der verspielt das Vertrauen in die Kritiken, die er selbst verfasst.
Ihre Verächtlichmachung gegenüber der Zeit und ihren Autorinnen fällt aus meiner Sicht damit auf Sie zurück.
Mit freundlichen Grüßen
E. Egger
Während Sie Behauptungen über „U60“ aufstellen, schätze ich mit Anfang 40 die Artikel von Herrn Dollase außerordentlich. Unübertroffen präzise, elegant – und immer wieder Inspiration für Besuche und Reisen. Die Kritik an der kulinarischen Berichterstattung von „SZ“ und „Zeit“, die sich ungefähr auf dem Niveau von WG- und Lehrerzimmer-Geschwätz bewegt, ist mehr als angebracht.
Fachjournalisten haben natürlich vertiefte Kenntnisse über ein Thema und können bestimmte Dinge gut einordnen. Aber durch viele Kontakte in eine Branche hinein, gibt es auch viele Interessenkonflikte, die sich allein dadurch entstehen, dass der Wert eines solchen Netzwerks langfristig erhalten bleiben soll und nicht „für eine Story“ geopfert wird. Investigativjournalisten haben ihre Qualifikation in anderen Punkten. Sie brauchen nicht das Fachwissen auf einem bestimmten Gebiet, sondern Fachwissen in Recherchetechniken, dem Umgang mit vertraulichen Quellen usw. Deswegen wenden sich Quellen auch nicht an solche Journalist*innen, die ständig mit ihren Chefs zu tun haben, weil dies für deren fachliche Berichterstattung notwendig ist. Aus meiner fachlichen journalistischen Sicht sind zwei Punkte entscheidend a) Sind die Vorwürfe so gut es geht, journalistisch geht abgesichert? Die Antwort lautet: ja. Die mit konkreten Namen geschilderten Vorwürfe werden durch mehrere Personen gestützt und bestätigt b) wurden die angeschuldigten Personen damit konfrontiert? Auch das ist so, denn es stehen im Text ausführliche Entgegnungen der betroffenen Personen, die darauf ja ganz offensichtlich unterschiedlich eingegangen sind. Und dann ist wichtig: ist das journalistisch dargelegte relevant? Auch da muss man sagen: Ja, es geht hier um geduldete Rechtsverstöße in Bezug auf Arbeitszeiten und Verhalten von einer breiteren Öffentlichkeit bekannten Vorgesetzten, das man in der Intensität in wenigen anderen Branchen hinnehmen würde und in vielen Unternehmen für Vorgesetzte nicht folgenlos bliebe. Dass aus fachlicher Sicht der ein oder andere Aspekt in dem Artikel zu kurz kommt, schmälert nicht diesen Kern der Recherche.
Liebe Kersten,
Sie sprechen mir aus der Seele. Ich würde Sie gerne kontaktieren und würde freundlicherweise um eine Email, wenn Sie denn wollen, an meine Adresse bitten.
Vielen Dank im Voraus.
Liebe Kersten, Sie bringen es auf den Punkt! LG Markus Angerer
Kersten ist ein männlicher Vorname. Und danke an ihn für den kompetenten Kommentar!
Das Arbeitszeitbashing und die Kritik von Führungsstilen in der Gastro durch Journalisten gibt es doch schon seit vielen Jahren, ich erinnere mich an einen Fernsehbericht im Südwestfernsehen, wo Küchenchefs und Inhaber ans Kreuz geschlagen wurden, weil ein Azubi den Job aufgegeben hatte. Dass sowohl die Führung als auch die Arbeitszeiten nicht mehr sind wie im vorigen Jahrhundert, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Erfreulich ist, dass in den Augen der Journaille die Spitzengastro doch viel interessanter zu sein scheint als Gas-Wasser-Scheisse.
Seinen Arbeitsplatz selber zu wählen – ist das recht eines jeden – vor allem in der Gastronomi. Es gibt ein Uberangebot an freien Plätzen. Sich ueber die Arbeitsbedingungen zu informieren – ist ja selbstverständlich.
In meinen Zeiten in der Toppgastronomi – Sternekuche habe ich immer Betriebe gesucht mit anständigen Chefs – das war vor 40 Jahren kein problem. Diese Chefs haben mich geprägt – so das ich Ihren humanen Fuhrungsstil ubernommen habe, mit vollem Erfolg fuer mich, meine Betriebe und zum wohle meiner Angestellten und meinen späteren Schuler und Studenten. Das diese dann diesen Stil uebernommen haben und heute in der absoluten Weltspitze der Gastronomi agieren macht mich stolzer – als viele Sterne.