Kei Kobayashi mit Chihiro Masui und Hélène Borderies: Kei III. Flammarion, Paris 2022. 304 S., geb., Hardcover, 75 Euro (online auch billiger zu bekommen). In französischer Sprache. Fotos von Richard Haughton
VorabKei Kobayashi (45) ist einer der spektakulärsten Köche in Paris – oder wird zumindest so verkauft – je nach Sehweise. Wenn man die Bilder der Gerichte aus dem Restaurant mit denen in diesem schon dritten großen Buch vergleicht, gibt es eine Reihe von Unterschieden. Kurz: das Restaurant ist die eine Sache, dieses Buch zu einem beträchtlichen Teil eine andere. Man kann die Gerichte durchaus wiederfinden und manche sind sogar identisch angerichtet. Trotzdem schafft dieses Buch eine andere Ebene. So etwas ist selten und kann für positive Diskussionen sorgen. Dazu später mehr.
Kobayashi hat in Japan seine ersten Jahre in französischen Restaurants verbracht, bevor er schon 1998 nach Frankreich kam. Seine Lehrer dort waren der spätere Drei Sterne-Koch Gilles Goujon und dann ab 2003 vor allem die Leute aus dem Ducasse-Imperium, also Jean-Francois Piège, Christophe Moret und eben Ducasse selber. Im Jahr 2011 eröffnete er sein eigenes Restaurant, das im Jahr 2020 das erste japanisch geführte Restaurant in Frankreich mit drei Michelin-Sternen wurde. Dass er nun schon sein drittes großes Buch vorlegen kann und alle drei Bücher zu den optisch spektakulärsten Veröffentlichungen zählen, verdankt er nicht nur seinem Können, sondern ganz ohne Zweifel auch der umtriebigen Arbeit von Chihiro Masui, einer vor allem in Frankreich arbeitenden japanischen Journalistin, die die japanischen Köche enorm fördert und mit Richard Haughton einen Fotografen als Kollegen hat, der sich intensiv mit den foto-künstlerischen Dimensionen der Kochkunst befasst.
Das Buch
Der erste Eindruck ist – nicht zuletzt wegen des durchgehend schwarzen Papiers – der eines Kunstbuches, einer Inszenierung von Essen aus der Sicht von Leuten, die vor allem das Bild im Sinne haben. Man hat für die meisten Gerichte nicht nur spezielle Teller im Einsatz, sondern nimmt sie auch noch aus einer „natürlichen“ Umgebung heraus und lässt sie in einer Art schwarzen Raum schweben – gerne auch noch mit anderen Elementen kombiniert. Dass gelingt in vielen Fällen spektakulär und macht dieses Buch zu einem aktuellen Gradmesser für die künstlerische Inszenierung von kreativer Gourmetküche. Der zweite Blick fällt auf die eigentlichen Gerichte, und er ist deutlich anders. Key Kobayashi ist eben in erster Linie ein bei Spitzenköchen ausgebildeter, französischer Gourmetkoch und insofern nie allzu weit von „richtigem Essen“ entfernt. Er ähnelt – so gesehen – nicht so sehr Ferran Adrià und seiner formalen und bildnerischen Radikalität, sondern ist eher eine kreative Variante von Ducasse, der in spektakulärerer Form verpackt wurde. Und trotzdem sollte man diese Form auf sich wirken lassen und ermitteln, was sie mit dem Betrachter machen kann. Die Ästhetisierung ist erheblich und sie kann im Restaurant nicht realisiert werden. Sie trifft also eine Art Metaebene, wo wir das Bild des Essens im Zusammenhang mit anderen künstlerisch-bildnerischen Aspekten verarbeiten und abspeichern. Wenn wir Essen so sehen wie hier, werden wir es auch ein Stück anders wahrnehmen – mehr als Gestaltetes, weniger als handwerklich Exekutiertes.
Zu diesem Einstieg über bildnerisch-ästhetische Aspekte passen auch weitere Dinge in diesem Buch. Zusätzlich zu den im Text eher ein wenig versteckten Rezepten gibt es jeweils zwei wesentliche Kommentare/Erläuterungen. Den Beginn machen (jeweils zu den sechs Kapiteln) die „Degustation“ genannten Kommentare von Chihiro Masui, die man auch schon aus anderen Büchern unter ihrer Beteiligung kennt. Sie sind nicht so konkret, wie man es vielleicht erhoffen könnte, liefern aber eine Menge zusätzlicher, sehr interessanter Informationen, die auf einen engen Kontakt zwischen Autorin und Koch schließen lassen. Diese „Degustationen“ sind dann auch auf weißem Papier gedruckt. Es folgen die Kommentare von Kobayashi, die oft sehr detailliert sind und eine Menge über seine Motivationen und den Grad seiner Reflektionen verraten. Insofern haben Leser, die französisch lesen können, doch einige Vorteile. Es zeigt sich dabei eine klare gedankliche Leistung, eine klare Durchdringung des Materials, die dann eben auch zu Gerichten führt, die einen deutlich kreativen Anteil haben, die – wo es sinnvoll ist – in der Tradition der Kochtechniken und Geschmacksbilder stehen, dann aber mit einer modernen, gar nicht so plakativ japanischen Sehweise Neues schaffen.
Die Namen der Gerichte sagen da schon eine Menge. Es gibt zum Beispiel ein Gazpacho von Weinbergpfirsichen, Foie gras mit Hibiscusgelee, Gereifte Rougets mit einem schwarzen Pesto, Tataki vom iberischen Schwein mit Kohl und Pickles, oder ein Perlhuhn mit Shio-Koji. Dann eher klassisch inspirierte Bearbeitungen wie Pithiviers vom Hasen mit einer Sauce civet, den Hasen à la royale mit frittierten Gnocchi oder auch eine Art Variation von der Schnepfe. Er liebe die Tradition, sagt Kobayashi dazu, und ginge es nicht in der Küche darum, sie aufzunehmen und mit ihr etwas Neues anzustellen? Und da geht es dann auch (im Kapitel mit der Überschrift „der Bauch von Paris“ um die entsprechenden Klassiker aus Bistros und Brasserien, wie etwa den Hummer Thermidor, die Taube „Rossini“ mit souffliertem Reis und Sauce Perigueux oder die Schweineohren, die zu einem fast abstrakten Gericht verarbeitet werden und im Detail (das gilt für viele Rezepte) den typisch komplexen Ducasse-Duktus zur Erzeugung eines guten Geschmacks haben. Insgesamt hält sich der Mix aus traditionell inspiriertem und adaptierten Material und solchem mit deutlich kreativen Spuren in etwa die Balance. Kobayashi ist also ein Koch, der das praktiziert, was ich immer „eingebundene Kreativität“ genannt habe.
Fazit
Die Kombination aus meisterlichem Handwerk und japanisch beeinflusster Kreativität, die gleichzeitig viel mit den Traditionen der französischen Kochkunst zu tun hat, ist ein verführerisches Fass ohne Boden. Hier gibt es Unmengen an Details für eine Küche, die sozusagen mitten in der Kochkunst steht und eine Vielzahl von Aspekten realisiert, die üblicherweise kaum jemals in dieser Dichte anzutreffen sind. Mit diesem Buch und seiner Betonung ästhetischer Aspekte, aber auch mit der umfangreichen Umkreisung der Arbeit durch eigene Kommentare und fremde Degustationsnotizen wird ein echter Mehrwert erzielt. Dagegen wirken dann die bei uns üblichen Kochbücher wie viel Knochen und wenig Fleisch. Das Kochbuch wird also als Form gestärkt, es bildet nicht das Restaurantgeschehen ab, sondern geht deutlich darüber hinaus.
Das Buch bekommt deshalb natürlich 3 grüne BBB
Bilder aus dem Buch: Credits Richard Haughton