Martin Wurzer-Berger/Thomas Vilgis (Hrsg.): Journal Culinaire. Ausgabe Nr. 26, Hühner und ihre Eier. Edition Wurzer & Vilgis, Münster 2018. 156 S., Broschur, 15.90 Euro
Es gibt sie noch, die engagierten Publikationen, in denen quasi nur der Inhalt und nicht das Geschäft eine Rolle spielt. Das „Journal Culinaire“ ist ein solcher seltener Fall, und insofern ist es eine besondere Freude, die Vorstellung des aktuellen Heftes anlässlich einer ganz aktuellen Ehrung beim World Cookbook Award machen zu können.
Vorgeschichte: Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief … (sozusagen)
Es gab einmal eine Deutsche Akademie für Kulinaristik, die etwas machen wollte, was dringend notwendig erschien. Es wurde im Laufe der Zeit einerseits immer klarer, dass Essen und Ernährung und Gourmandise und Produkte usw. usf. weit über das rein Kulinarische hinaus gehen. Es wurde andererseits auch klar, dass die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas ohne Bezug zu den Praktikern große Schwächen hatte. Ein Kulturwissenschaftler, der sich mit der Ernährung befasst und kaum weiß, was die internationale Kochkunst zu bieten hat, ist einfach ein Unding. Umgekehrt sind Köche, die sich nur zwischen dem Lieferwagen des Großhändlers und der Küche bewegen, auch nicht gerade sichere Verbündete, wenn es darum geht, dem Kulinarischen in der Gesellschaft den richtigen Platz zu verschaffen. In der Akademie kamen also für ein paar Jahre einige sehr interessante Leute zusammen – von Spitzenköchen mit Eckart Witzigmann an der Spitze bis zu Wissenschaftlern, die in erster Linie aus dem Bereich der kulturwissenschaftlichen Forschung stammten (auch die jetzige Slow Food – Vorsitzende Ursula Hudson war darunter) bis zu einer Reihe von weiteren Fachleuten (darunter auch ich). Leider konnte man sich nicht wirklich auf eine konsequente Arbeit verständigen, was auch an den kaum zu überbrückenden Unterschieden in der Denkweise lag.
Es wurde ruhig und es passierte nichts mehr – bis auf eine wichtige Aktivität von Vincent Klink. Der hatte im Jahre 2005 das „Journal Culinaire“ gegründet und dafür viel Unterstützung bekannter Autoren bekommen. Ich habe damals übrigens den ersten Text des Heftes mit dem Titel „Kleine Dekonstruktion des Geschmacksurteils“ geschrieben. Das Journal wurde dann ab Ausgabe 6 von Martin Wurzer-Berger und Thomas Vilgis (der von Anfang an dabei war) weitergeführt – immer mit Hilfe einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern, Köchen und Spezialisten.
„Hühner und ihre Eier“: Was es nicht alles gibt!
Das aktuelle Heft hat – wie so oft – einen Titel, der den Inhalt ein wenig untertreibend und zurückhaltend wiedergibt. Um das Spektrum des Inhalts zu begreifen, braucht man allerdings nur ein paar der Artikel und ihre Autoren benennen. Dann wird schnell klar, dass man es hier einerseits ernst meint und den Sachen auf den Grund geht, andererseits einen exzellenten Praxisbezug realisiert.
Es beginnt mit dem „Haushuhn und seiner Abstammung“, gefolgt vom wahrlich unvermeidlichen „Tierwohl in der Geflügelhaltung“ (von Prof. Dr. Dr. HC Werner Bessei, um einmal einen Namen zu droppen). Unter „Huhn und Ei“ liefert Christian Graf von Waldersdorf u.a. ein Rezept mit dem Titel „Gebackenes Gockerl mit Feldsalat und Kernölmayonnaise, Hühnerlebercreme und Traubenconfit“, dem eines der besten Hühnerrezepte der Avantgarde folgt, nämlich der „Broiler mit Eigelb und Bärlauchtabak“ von Andreas Rieger vom „Einsunternull“ in Berlin. Rieger liefert nicht nur das Rezept, sondern schreibt auch seine grundlegenden Gedanken. Im Rezept selber wird klar, wie hoch entwickelt moderne Küche heute ist, und wie man mit kochtechnischer Intelligenz und Brillanz auch scheinbar simple Rezepte des traditionellen Speiseplans in unglaubliche Delikatessen verwandeln kann.
Weiter geht es mit der Frage „Eier köpfen oder nicht?“ und der Annäherung an die Qualitätsbestimmung von Eiern über wissenschaftliche Kriterien (von Prof. Dr. Michael A. Grashorn). Thomas Vilgis, der deutsche Guru der wissenschaftlichen Untersuchung von Essen und Co. befasst sich mit der Schälbarkeit von Eiern, bevor Eric Menchon vom „Le Moissonnier“ in Köln ganz einfach und ganz klar und gut seine „Oeufs en meurette“ erläutert. Patissier Pierre Lingelser ist ebenfalls dabei und schreibt davon, wie unverzichtbar Eier in der Küche sind. Dann gibt es wieder Vilgis pur mit einer Strecke über die Eier als „Physikalische Texturmodulatoren par excellence“. Nach einigen weiteren kleinen Texten geht es auch noch gegen „Die Milch-Bashing-Mode“, also gegen die angeblich so unausweichlichen Allergien und Unverträglichkeiten. Die Buchbesprechung geht in diesem Heft über „Miso“ von Mariele Oosting, der Dame, die die deutsche Küche mit unglaublich feinen japanischen Spezialitäten versorgt – nein, inspiriert.
Fazit
Abonnieren Sie das „Journal Culinaire“! Das muss drin sein. Sie können auch gut ein Abonnement verschenken oder es bei einer ihrer Veranstaltungen verlosen oder als Preis aussetzen. Sie können es jedem Ihrer Kunden zu Weihnachten schenken – was natürlich auch für den Namensvetter, das superbe Magazin „Port Culinaire“ gilt. Das „Journal Culinaire“ gehört ebenfalls in die Szene, es ist hochinteressant und geradezu wichtig. Mit der Kultur könnte man thematisch natürlich noch etwas weiter gehen, aber – das hängt eben auch davon ab, wer sich bereit erklärt, an diesem Non-Profit-Projekt mitzuwirken.
Das Buch bekommt 3 grüne BBB