Es wird viele Leute geben, die das Erscheinen eines solchen Buches mit einem gewissen Grummeln in der Magengegend registrieren. Gab es nicht auch schon Witzigmann und Mälzer oder Witzigmann und Biolek und hatte man nicht in beiden Fällen den Eindruck, als ob sich da Mittelmaß an einen ganz Großen „ranschmeißt“, oder jedenfalls der Eindruck entstehen muss, dass die Zusammenarbeit mit der Kochlegende die eigene Person irgendwie schmückt und/oder aufwertet?
Nun – Johann Lafer hatte schließlich auch schon einmal zwei Michelinsterne und ist insofern der Augenhöhe etwas näher. Im Buch klingt das allerdings schon etwas forcierter. Zitat: „Was vor knapp 40 Jahren als Arbeitsverhältnis im legendären Restaurant „Aubergine“ begann, reifte mit der Zeit zu einer kulinarischen Freundschaft auf Augenhöhe. Das muss gefeiert werden!“. Salopp könnte man sagen, dass bei diesem Projekt zwei verdienstvolle Köche zusammengekommen sind: der eine hat mehr Verdienste, der andere mehr Verdienst… Wie dem auch sei, es interessiert natürlich, ob dieses Buch irgendeinen Sinn macht, der über den Nutzen für die beiden Autoren hinausgeht.
Eckart Witzigmann hatte einmal eine Phase, in der er Rezepte veröffentlicht hat (im „Feinschmecker“ vor allem), die einen meisterlichen Differenzierungsgrad hatten. Die Rezepte waren aufwändig, komplex, erzeugten aber einen enormen Wohlgeschmack. In gewisser Weise erinnerten sie im Duktus an die Arbeit von Fredy Girardet, Joel Robuchon oder den frühen Ducasse. Leider wurde es in dieser Phase versäumt, ein großes Buch mit einer Sammlung solch meisterlicher Arbeiten zu veröffentlichen. Ich hatte das seinerzeit schon häufiger geschrieben und angemahnt. Man braucht für so etwas als Autor natürlich sehr viel Energie und die Rückendeckung eines Verlages, der auch Bücher produziert, die nicht primär kommerziell motiviert sind. Es wird Mitte des Jahres 2021 im Salzburger Pantauro-Verlag (wo auch die Ikarus-Bände veröffentlicht werden) eine große Witzigmann-Ausgabe in zwei Bänden erscheinen. Vielleicht gelingt es ja dort, auch Witzigmann-Rezepte mit dem erwähnten Niveau zu veröffentlichen. – Und Johann Lafer? Kann er sich aus den funktional-kommerziell angelegten Fesseln vieler seiner Rezepte auch einmal etwas befreien und zumindest versuchen, an sein früheres Niveau anzuknüpfen?
Es ist also nicht so ganz einfach mit diesem Buch. Aber – es weckt natürlich Erwartungen und zielt auf einen großen Markt und guten Umsatz. Das muss man sich dann doch einmal etwas genauer ansehen.
Die historische Abteilung – man könnte auch sagen: die nostalgische Abteilung
Der erste Teil des Buches bis Seite 61 wird mit Geschichte und Geschichten rund um Witzigmann und Lafer bestritten. Das wird sicher in erster Linie Leute interessieren, die auch zu längst vergangenen Zeiten eine Beziehung haben. Sie bekommen hier eine ganze Menge von Informationen, die glücklicherweise auch in erster Linie kulinarisch sind. Berge von Fotos der beiden Protagonisten mit Prominenten finden sich also nicht. Für jüngere Leser gibt es hier ein Bild aus etwas nostalgischen Zeiten, in denen die Verhältnisse sich langsam von klassisch-französischen Brigaden in Richtung von kooperativer angelegten Brigaden änderten. In vielen Aspekten geht es auch um das Leben mit gutem Essen und das Leben überhaupt, um ein wenig praktische Philosophie, wie sie sich aus den Biographien der beiden Köche problemlos und prall ergibt. Nostalgisch ist das insofern, als sich vor allem eine Art von klassischen Werten ergibt, die für Witzigmann sicher eine größere Rolle spielen als für Johann Lafer, der mit seiner immer wieder angepassten Arbeit eben auch für eine Art der Popularisierung sorgt, deren Substanz viel Zwiespältiges hat. Der Text ist jedenfalls kurzweilig und gut zu lesen.
Die kulinarische Abteilung, oder: Ist es ein Mehrwert, wenn ein berühmter Koch schreibt, man solle das Kalbskotelett in einer heißen Pfanne anbraten und dann im Ofen in 15–20 Minuten rosa garen?
Was bekommt man in einem Buch, das ein TV-Koch, der schon lange nicht mehr an vorderster Restaurantfront arbeitet, mit seinem Lehrmeister geschrieben hat, der ebenfalls seit 1994 nicht mehr Küchenchef im engeren Sinne ist. Die Frage ist interessant, weil beide eben immer wieder und vor allem an Projekten mitgewirkt haben, bei denen nicht ihre maximalen kulinarischen Fähigkeiten gefragt waren, sondern eine Art Kanalisierung unter Aspekten wie Zielgruppenspezifität und/oder Kommerzialität. Haben sie überhaupt noch einen persönlichen State-of-the-Art, also Maximalrezepte, bei denen sie ohne links und rechts zu schauen nur das ihrer Meinung nach kulinarisch Beste realisieren wollen? Oder – anders ausgedrückt – haben sie überhaupt noch eine kulinarisch brennende Seele, die nur Eines will, nämlich die ganz großen Momente herbeizuzaubern?
Die Rezepte des Buches sind weitgehend frei von Einflüssen des 21. Jahrhunderts und haben weitgehend die Ausstrahlung einer Küche, die noch sehr viele klassische Grundlagen und Geschmacksbilder pflegt. Es gibt z.B. gleich zu Beginn eine „Rahmsuppe von Erbsen und Zuckerschoten mit Minze“ (EW), und danach eine „Zitronengrasessenz mit Garnelen-Wan-Tans“ (JL), die daran erinnert, dass Lafer einmal ein früher Fusion-Koch war. Von Witzigmann stammt die „Makkaroni-Spirale mit gefüllten Spitzmorcheln“ und einer Foie gras-Scheibe, von Lafer der „Rosa gegarte Lammrücken im knusprigen Kartoffelmantel auf Balsamico-Zwiebeln und gebratenem Zitronen-Spargel“. Dann die „Geflügelterrine im Pancettamantel mit Madeira-Portwein-Gelee“ (EW), “Gegrillter Fisch im Ganzen auf chinesische Art“ (JL), „St.Petersfisch mit Pulpo, Oliven und Fenchel“ (EW) oder den „St. Petersfisch in würzigem Kokossud pochiert mit marinierten Möhren-Glasnudeln“ (JL). – Die Kochtechnik ist – siehe oben in der Überschrift – vor allem bei Lafer nicht unbedingt spezifiziert und detailliert, so dass nachkochende Leser mangels Detailinformationen wieder einmal mehr oder weniger auf sich allein gestellt bleiben werden. Bei den Witzigmann-Rezepten sieht es etwas detaillierter aus, wobei man aber immer den Eindruck hat, es gehe hier um – sagen wir es positiv – eher entspannte, nicht zu komplexe Fassungen und nicht allzu sehr in die geschmacklichen Tiefen gehenden Kreationen und nicht um Rezepte, die in irgendeiner Weise staunen machen. Das ist – siehe oben – schade, weil besonders bei Witzigmann öfter einmal ein Stückchen Energie zu fehlen scheint. Andererseits wird so natürlich die Verkäuflichkeit erhöht. Man bekommt eine kulinarische Teilhabe, aber nicht das, was vielleicht (so ganz kann man das ja nie sagen) möglich wäre.
Fazit
Das Buch hat natürlich ein gutes Niveau und zehrt insofern durchaus davon, dass hier eben nicht Witzigmann plus Mälzer am Start sind, sondern zwei gute Köche. Im Prinzip könnte man sich allerdings auch älterer Bücher der Beiden bedienen und wäre da durchaus bisweilen etwas besser beraten. Vermutlich wird der Band auch deshalb Erfolg haben, weil viele der älteren Bücher nicht mehr zu bekommen sind. Aus den lernenden Koch-Fanatikern von einst sind Köche geworden, die auf ein langes Berufsleben und viele Erlebnisse zurückgreifen können. Das machte die Sache beruhigend ausgereift und – im besseren Sinne – konventionell.
Und – ist Lafer nun auf Augenhöhe mit Witzigmann/Abteilung Alterswerk, wie es vorne im Buch heißt? Nun ja, „Der Alte“ hat definitiv immer noch seine Vorteile in der Kombination von Originalität und Finesse…
B’s möchte ich nicht verteilen. Für mich ist das Buch ein wenig „Außer Konkurrenz“.
Fotos © Gräfe und Unzer Verlag, abfotografiert von Jürgen Dollase
Lieber JD,
ich weiß gar nicht, was Sie mit Tim Mälzer für ein Problem haben, schließlich ist er der beste Koch Deutschlands (das glaubt er jedenfalls selbst) und seit neuestem das Sprachrohr der deutschen Gastronomie in der Bldzeitung. Er ist zusammen mit Alfred E. Biolek der legitime Nachfolger von Clemens Wilmenrod und damit unantastbar.
Eckart Witzigmann war natürlich unbestritten die Ikone – der Jahrhundertkoch – und damit Vorbild für mehrere Generationen von Köchen. Allerdings ist dieses Jahrhundert seit zwanzig Jahren vorbei und man muß eben auch mal Platz machen für die Jungen. Das gilt in gleichem Maß auch für andere Ikonen wie Harald Wohlfahrt oder Heinz Winkler (der, wie man hört, seit neuestem wieder am Paß steht – hoffentlich ohne Rollator). Zur Erklärung empfehle ich, eine Reportage des Bayerischen Fernsehens aus dem Jahre 1984 auf Youtube anzusehen (https://www.youtube.com/watch?v=r_rUTqGPGag). Ecki und sein Assistent – der nur „Hans“ genannt wird [ ! ] – kochen ein Menü, das es heutzutage nicht mal mehr in einer Dorfwirtschaft geben würde. Tempi passati.
Wenn nun die Herren Witzigmann und sein ehemaliger Patissier Lafer einen Verlag gefunden haben, der alte Rezepte per Copy and paste aufwärmt, dann ist das wie die Gulasch- und Sauerkrautmethode. Soll ja aufgewärmt auch besser sein. Ich werde es nicht kaufen, wenn ich ein Fachbuch kaufen, will ich was Neues sehen.
Danke für diese Besprechung – einige der Fragen stellte ich mir auch schon. Jedenfalls: An Witzigmann bewunderte ich immer die Fähigkeit, seine Spitzenküche gewissermaßen auch für den mehr oder weniger ambitionierten Laien „herunterzubrechen“. Wobei ja auch andere Spitzenköche oft überraschend „simpel“ kochen, man denke an einige Rezepte aus dem großen Dieter Müller-Buch (nicht zuletzt an die Suppen und Beilagen). Witzigmanns Rezepte aus dem Feinschmecker habe ich mir immer herausgerissen, ebenso seine oftmals exzellenten Rezepte für die wöchentliche Reihe im SZ-Magazin (mit schönen Weinpairings von Paula Bosch). Wobei es aus beiden Verlagen ja auch Bücher mit gesammelten Rezepten gibt, beim Feinschmecker sogar 3 oder 4 davon.
Schade finde ich, dass Witzigmann sehr oft seine Rezepte recycelt – sprich: sie tauchen immer wieder in verschiedenen Büchern oder Heften auf. Die oben erwähnte Erbsensuppe z.B. erschien ja erstmals in seinem Buch „Junges Gemüse“ (und später dann auch im Buch mit Biolek, glaube ich). Deshalb wäge ich den Kauf seiner neuen Bücher immer ab – denn am Ende hat man die meisten Rezepte bereits… Dabei hätte er doch bestimmt genug anderes „auf Lager“.