Joel Robuchon (1945 – 2018)

Ein Nachruf von Jürgen Dollase

Einer der ganz Großen der Kochgeschichte ist viel zu früh verstorben. Die Kochwelt trauert, und die, die ihn und seine Arbeit schon seit längerer Zeit begleitet haben, werden schon nach ganz kurzer Zeit der Besinnung erahnen, dass dieser Verlust wahrlich immens ist. Gestatten Sie mir bitte einen auch persönlich eingefärbten Nachruf. Mein Leben mit der Gourmandise ist einfach ganz entscheidend von Joel Robuchon geprägt worden.

Robuchon als Koch

Ich werde jetzt allerdings nicht mit seinem berühmten Kartoffelpüree beginnen. Erstens ist das etwas für Leute, die seine Arbeit nicht kennen, aber von seinem wundervollen Püree gehört haben, und zweitens handelt es sich nicht um ein Kartoffelpüree, sondern um die Demonstration, wie viel Butter man in einem Püree unterbringen kann. Nach Kartoffel hat es dann eher wenig geschmeckt. Nein, Robuchon mag mit dem Püree einen Nebeneffekt produziert haben, wesentlicher ist, was er für die Kochtechnik und vor allem für die Vorstellung von Präzision und ihre Bedeutung bei der Realisierung eines superben Geschmacksbildes getan hat. Kurz und gut:Wer beim Kochen denken gelernt hat wie Robuchon und sich daran hält, kann eigentlich keine schlechte Küche mehr produzieren. Robuchon hat das gemacht, was in den tumultartigen Kochorgien, die heute per TV das Bild vom Kochen bestimmen, nie vorkommt: Er hat gezeigt, dass die wirklich gute Qualität aus der ruhigen, konzentrierten und immer reflektierenden Begegnung mit den Produkten herrührt. Er hat – ein wenig übertrieben ausgedrückt – in unaufgeregter Weise gezeigt, dass es einen Unterschied macht, ob man drei oder vier Fleur de Sel-Körner auf ein Stück Fisch gibt, und dass man beim Kochen an Unmengen von Details denken muss, um wirklich das Beste aus den Produkten zu machen. Insofern passt natürlich auch das Püree ins Bild. Man kann das Kartoffelpüree mit drei oder vier Arbeitsschritten machen, man kann aber auch über jedes denkbare Detail reflektieren, danach handeln und so die Qualität oft exorbitant erhöhen. Als ich in den 1980er Jahren zum ersten Mal seine Rezepte in die Hand bekam, war ich fasziniert von der höchst beeindruckenden Genauigkeit, von der Nähe zum Produkt, von der Logik seiner Schritte und durchaus auch von kreativen Folgen, die seine Arbeit hatte. Tabasco in eine Tomatensuppe zu geben, erschien früher vielen Köchen als eine Art Sakrileg. Robuchon dachte anders. Er hat überlegt, was den Geschmack einer Tomate ausmacht und was an ihn „andocken“ kann, um ein besonders faszinierendes Ergebnis zu bekommen.

Mit seinen Sensibilitäten und seiner enormen Genauigkeit musste er da ankommen, wo er hingekommen ist und die vielen Details entdecken, die er entdeckt hat. Man denke nur an seine hinreißenden „Törtchen“ mit hauchdünnen Teigplättchen als leicht krosser Textur oder an Garungen die wirklich noch „von Hand“ liefen und laufen mussten, weil natürlich jedes Stück eine andere Beschaffenheit hat. Die Liste ist riesig, und auch Köche wie z.B. Alain Ducasse mit seinen festgelegten Kerntemperaturen haben sie nicht ersetzen können. Wer immer und in welchem Stil ein guter Koch werden will, kommt an Robuchon nicht vorbei.

Robuchon der Lehrer

Joel Robuchon hat TV-Kochsendungen gemacht, die heute wohl bei jedem unterhaltungsfixierten Sender nur noch Kopfschütteln auslösen würden. Vor wenig Dekoration, ohne irgendeinen größeren bild- oder schnitttechnischen Aufwand und mit geradezu meditativer Ruhe gab es z.B. „Cuisiner comme un chef“, eine Sendung, in der Robuchon jeweils mit einem guten Koch auftrat. Es ging nur ums Kochen und um sonst gar nichts, und das ohne Umschweife. Robuchon funktionierte dabei als eine Art fragender Assistent, der immer wieder die Köche um Details und vor allem um Präzisierungen bat. Was man bekam, waren äußerst klare Gerichte mit einem zwingend logischen Aufbau und einer so präzisen Kochtechnik, daß man wirklich etwas gelernt, verstanden und in der Hand hatte. Auch wenn die Techniken oft einfach waren – sie waren immer so, wie sie sein müssen, um Gutes zu produzieren. Und das ohne jeden Firlefanz, der ja angeblich unterhalten soll….

Diese Haltung führte letztlich auch dazu, dass Robuchon viele, sehr gute Schüler hatte, darunter auch ganze Reihen von Drei-Sterne-Köchen. Sie führte auch dazu, dass viele den Meister nicht verlassen wollten. Als er im Jahre 1996 eher unerwartet zurücktrat (als allgemein anerkannter, weltbester Koch) waren sie ratlos. Als er dann wieder anfing und sich ein weltweites Imperium aufbaute, waren sie wieder da. Dass Robuchon die meisten Sterne sammelte, lag auch daran, dass er seine Arbeit mit exquisiten Leuten realisieren konnte.

Sein Leben lang blieb er ein Lehrer ohne Dünkel, wurde also nicht jemand, der eine bestimmte Art von Küche für endgültig erklärte. Eine exzellente Kochtechnik und ein exzellenter Umgang mit Produkten macht eben jede Küche hervorragend. Er war früh in Japan tätig, setzte früh die von ihm favorisierten nordafrikanischen Gewürze ein und war stets in der Lage, auf alle die vielen neuen Umgebungen seiner Restaurants kreativ zu reagieren.

Robuchon, das Gewissen der Kochkunst

Zum Schluss eine kleine Anekdote, die mich sehr beeindruckt hat und die – sagen wir: Verhältnisse in der französischen Spitzenküche sehr deutlich machte. Ich war in Paris auf Einladung von Michelin zur Feier der 100. Ausgabe des französischen Führers. Anwesend war die größte Anzahl von Spitzenköchen und sonstigen Figuren der Kochwelt, die ich je gesehen habe. Paul Bocuse saß die ganze Zeit auf einem Sessel, lächelte milde und wurde mit immer wieder neuen Leuten fotografiert. Ducasse kam zu spät, mit einer Entourage wie ein Popstar, rauschte in die Räume, sprach kurz mit diesem und jenem und verschwand wieder. Joel Robuchon war da, wo die Scheinwerfer der vielen TV-Teams waren und gab stundenlang geduldig Interviews zum Thema Michelin und der Bedeutung des Führers für die Entwicklung der Kochkunst. Er sicherte sich die Meinungshoheit, sozusagen, er sorgte dafür, dass die Fakten stimmten und das Bild der französischen Kochkunst und ihres Führers präzise verstanden wurde.

Und noch eine kleine Geschichte. Robuchon war Freimaurer und hat einmal für seine Freunde ein Buch geschrieben, in dem er sich detailliert über alle möglichen Dinge seiner Arbeit ausließ. Unter den Details war auch die Art und Weise, wie er in seinem Restaurant seine Leute bezahlte. Am meisten bekam der Maitre, es folgten Sommelier und Küchenchef. Er selbst begnügte sich mit einem vergleichsweise bescheidenen Salär. Es war ihm wichtiger, dass das Essen gut war und von den besten, gut motivierten Leuten hergestellt und präsentiert wurde. Geld verdienen kann man immer noch. Aber man sollte erst einmal richtig gut sein. Und das ist dann heutzutage und angesichts vieler Entwicklungen in der Kochwelt wirklich revolutionär.

 

2 Gedanken zu „Joel Robuchon (1945 – 2018)“

  1. Lieber Herr Plaar,

    mit „heutiger Köchegeneration“ hat das eigentlich wenig zu tun, weil die Kochtechnik bei Robuchon immer interessant ist. Der Grund ist vor allem eine vielstufige Behandlung vieler Produkte, die auf der Basis einer enormen Detailkenntnis stattfindet. Abwehr ich weiß, was Sie meinen. – Das Buch „L’Atelier de Joel Robuchon“ ist – genau so wie der entsprechende Band von Ducasse – auch heute noch eine echte Quelle.

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