Drei-Sterne-Koch Joachim Wissler vom „Vendôme“ im Schlosshotel Bensberg hat sich immer wieder kulinarisch wie gastronomisch in Bewegung gehalten. Wer also vor ein paar Jahren zum letzten Male bei ihm gegessen hat, wird sicher die Handschrift oder einige Details wiedererkennen, aber auch deutliche Veränderungen vorfinden. So ist zum Beispiel die Zeit der Riesen-Degustations-Menüs mit über 20 Gängen vorbei, und auch die Gänge selber werden im Moment nicht mehr grundsätzlich mit mehreren Satellitentellern serviert. Das ist für den ein oder anderen Gast, der einfach hervorragend essen, aber nicht unbedingt eine Höchstleistung an Nahrungsaufnahme vollbringen will, sicher eine gute Nachricht.
Auch stilistisch haben sich eine Reihe von Dingen geändert. Es geht nicht mehr so sehr darum, eine Art plakative, sofort ersichtliche Kreativität zu präsentieren, die die Zugehörigkeit zur internationalen Avantgarde und ihren Anrichtemoden signalisiert. Es geht auch nicht mehr darum, bestechend gute Gerichte von der Karte zu entfernen, nur weil sie schon vor ein paar Jahren entstanden sind. Ich habe immer bedauert, dass manche Restaurants solche Gerichte von ihren Karten entfernen, nur weil sie unbedingt immer wieder neue Gerichte auf die Karte bringen wollen und anscheinend kein Vertrauen in frühere Erfindungen haben. Wissler sieht das deutlich entspannter (etwa bei seinem hinreißend klassischen Landei mit weißen Trüffeln) und mehr im Sinne der Gäste. Insgesamt kann man den Eindruck gewinnen (Stand: Januar 2019), dass die Küche zwei Stränge verfolgt. Einmal ist dies eine Art Oberfläche, die sehr harmonisch ist, keinen Gast verschrecken wird und insofern absolut mehrheitsfähig ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Gast die Wissler-Kreationen nicht gerne isst. Und dann sind da immer wieder absolut ausgebuffte kulinarische Details, die oft mit einer sehr hoch entwickelten sensorischen Struktur zu tun haben und die jeden Feinstschmecker überzeugen werden. Man kann in vielen seiner Gerichte so viel finden, wie man finden kann oder finden möchte. Wenn man so will könnte man auch sagen: die Kreativität kommt in erster Linie über den Geschmack und nicht über die Optik (auch wenn die Bilder selbstverständlich immer exzellent sind…). Die Kombination aus Mehrheitsfähigkeit und anspruchsvollen Details, die ein Mix aus kulinarischen und gastronomischen Aspekten ist, sorgt dann auch dafür, dass das „Vendôme“ in der Regel sehr gut besucht ist und im Jahr 2018 ein Rekordergebnis erzielt hat.
Hier ein aktuelles Gericht, das neu auf die Karte gekommen ist:
Joachim Wissler: Gegrilltes Kalbsherz mit Meerrettich-Kräutercrème, Kalbsschultervinaigrette und Sauerklee (2019)
Mit dieser Komposition, die im Prinzip auf bodenständigen Aromen beruht und sie zu höchster Finesse bringt, zeigt Joachim Wissler deutlich, wie weit er mit seinem Ansatz gekommen ist. Trotz einer gewissen Kleinteiligkeit und einer optisch schönen Wirkung wird im Grunde schnell klar, wie kompakt und zusammenhängend dieses Gericht aufgebaut ist. Der geschmackliche Eindruck ist nicht in erster Linie von der sensorischen Struktur, sondern von einer Aromatik bestimmt, die äußerst raffiniert und fein ist und so schmeckt, wie man sich eine absolute Spitzenküche mit klassischen Grundlagen vorstellt: sie ist neuartig im Zusammenspiel der Aromen und verrät die hoch entwickelte geschmackliche Vorstellung eines Kochs, der in vielen Jahren intensiver Arbeit einfach mehr in den Produkten sieht, als andere Köche.
Beim Kalbsherz arbeitet Wissler nicht mit einem dominanten Aroma plus Begleitung, sondern einer vielfältig verwobenen Struktur zwischen bratösen und vegetabilen Aromen, die hier vom frischen (und durchaus wirksamen) Sauerklee über die Kräutercrème und den gegarten Spargel bis zu den getrockneten Pilzen ein ausgesprochen breites Spektrum haben. Texturelle Spitzen im engeren Sinne gibt es nicht, eher eine dezente texturelle Breite, die aber die aromatische Struktur nicht stören soll. Der Eindruck einer kräftigen, aber nie banalen Würze entsteht durch die aromatische Dichte in Kombination mit einer leichten Säure. Das Kalbsherz-Aroma ist Teil des Ganzen und nicht Hauptprodukt im engeren Sinne. Wenn man das Herz probieren will, muss man sich schon einen oder zwei der Würfel pur nehmen.
Joachim Wissler bedenkt schon seit vielen Jahren auch den assoziativen Kontext, also das, was bei seinen Gästen an Vorerfahrungen (im weitesten Sinne) in die Wahrnehmung einfließen könnte. Vielleicht ist die Dimension der Kalbsherzwürfel aus diesem Grunde begrenzt. Das ohnehin nicht sehr an Innereien erinnernde Aroma wird vielfältig gefasst, über die (gelierte) Kalbsschultervinaigrette weiter geführt und mit den gegarten Gemüseelementen gekoppelt. Der Verzicht auf „fremdartige“ Aromen und die Konzentration auf eher bekannte (wie auch der Hauch von Meerrettich) sorgen für eine versichernde, im besten Sinne unproblematische Präsentation dieser Innerei, deren Verzehr für den ein oder anderen Gast eine Novität sein dürfte. Das Kalbsherz wird also sozusagen bestens „verkauft“.
Diskussion
Eine der größten Stärken dieses Rezeptes ist auch gleichzeitig der Ansatz für einen Diskussionspunkt. Wird das Kalbsherz zu wenig gefeatured? Wäre es nicht besser, zumindest irgendeine Referenz in Form eines etwas größeren Stückes auf dem Teller zu haben, um den Geschmack deutlicher zu präsentieren? Müsste man aus Gründen der Produktnähe nicht so vorgehen? – Für eine solche Maßnahme würde zweifellos sprechen, dass das Kalbsherz auch als größere Scheibe o.ä. nicht irgendwie unangenehm, extrem oder „nach Innereien“ schmeckt. Eine stärkere Gewichtung wäre also – gerade in der Hand eines Meisterkochs von diesem Kaliber – geeignet, dieses Produkt stärker in die Sammlung sehr gut zu verarbeitender Realien zu integrieren. Wissler ist hier vorsichtig und setzt eher auf Finesse – anders, als er das früher etwa bei seinem Schweinekinn gemacht hat, das eine wesentlich direktere „Konfrontation“ mit einem Produkt brachte, das für die Gäste ungewöhnlich war und ist. Aus den genannten Gründen schlage ich immer wieder vor, irgendwie in der Komposition eine etwas klarere Referenz einzubauen, also ein wenig mehr Angebot zu machen und es dann dem Gast zu überlassen, wie pur er an ein solches Produkt herangeht. Ein wenig nach dem Motto: Wenn nicht hier, wo sollte er das dann probieren?
Sehr interessante Betrachtung und ich stimme Ihnen zu dass ein wenig ‘Mut’ zum Herz hier sicher angebracht waere um das Produkt besser zu skizzieren.
Was mich etwas befremdet ist der gruene Spargel um diese Jahreszeit (ich nehme an dass es wohl im Jaenner so praesentiert wurde dem obigen Text nach) in einem deutschen Restaurant. Das ist nicht besonders Regio 😉
Hallo Herr Dollase, finde ich prinzipiell eine gute überlegung, das produkt “ kalbsherz“ stärker zu featuren. allerdings gebe ich zu bedenken, dass dieser teller teil eines menues ist, somit nicht nur für sich selbst wirken muss, sondern auch in bezug zu den vorgängigen und folgenden gängen zu setzen ist. der spannungsbogen einer menuefolge muss mitberücksichtigt werden. daneben fällt mir noch ein weiterer aspekt ein,der den “ punktuellen“ kleinteilige einsatz von kalbsherzwürfel im vergleich zu einer grösseren kompakten scheibe etc spannend macht: dieser teller löst sich durch seine beiläufige gewichtung der fleischzutat im vergleich zu den beilagen – also jenes ordnungssystems “ hauptgericht“, das viele esser so ( hauptanteil fleisch, untergeordnete sättigungsbeilagen, sauce) oder so ähnlich immer noch für „richtiges “ essen abgespeichert haben ( obwohl dieses konzept einer vielzahl von fakten wegen schon längst auf den prüfstand steht…) . das finde ich eine positive und spannende sache; dafür sprächen auch noch weitere verfremdungseffekte, die diesen teller begleiten (“ sauce“ als gelee, „salat“ als creme).