Jan-Philipp Berner ist als Chefkoch im „Söl’ring Hof“ in Rantum auf Sylt von seinem Vorgänger Johannes King subtil eingeführt und aufgebaut worden. Die Verbindungen zu Sylt hat er schon lange, und mit künstlerischen Abrundungen – wie etwa einer Zeit bei Nils Henkel – hat er Fähigkeiten entwickelt, die ihn schon sehr weit gebracht haben und vielleicht auch noch weiter bringen können. Ohne Johannes King’s Leistungen in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, scheint sein Nachfolger (ab Januar übernimmt Berner den gesamten „Söl’ring Hof“) noch einen Tick mehr Finesse realisieren zu können.
Das Buch ist nicht unbedingt bescheiden tituliert. Es heißt eben nicht „Berner, Das Kochbuch“, sondern „Sylt. Das Kochbuch“, was dann schon etwas sehr selbstbewusst klingt – auch wenn „Sylt“ hier eher geographisch gemeint ist, man sich also viel mit der Insel als solcher befasst. Auch dass es gleich zu Beginn heißt „Sylt – Zuhause, Inspiration und Ort meines Schaffens“, ist eine Formulierung, die ein wenig geschwollen und auch ein wenig deutsch-verkrampft wirkt. Die Skandinavier etwa erzählen in ihren Büchern vorzugsweise aus ihrem ganz normalen Alltag, sehr offen, sehr ehrlich, sehr selbstkritisch. Dass einer von Ihnen von seinem „Schaffen“ redet, ist eher unwahrscheinlich. Sowohl Titel wie solche Sätze hätten von der Redaktion des Buches reflektiert und eigentlich korrigiert werden müssen. Sie lenken das Image in eine nicht so günstige Richtung. Aber das nur am Rande, weil man andererseits ein Buch realisiert hat, dass deutlich über die bei uns leider verbreiteten Standards hinausgeht, deutlich mehr Information bringt und auch ganz einfach „schön“ ist.
Jan-Philipp Berner war übrigens mein „Aufsteiger des Jahres“ bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Jahre 2019. Bei der Gala in Schloss Bensberg hatte damals stellvertretend Johannes King ein Gericht von Berner gekocht, der in der Südsee (o.ä.) auf Hochzeitsreise war (soweit ich mich da recht erinnere).
Das Buch
Das Buch ist nach Jahreszeiten gegliedert und durch eine Reihe von Texten aufgelockert. Zuerst fällt auf, dass man viel von der Atmosphäre der Insel wiedergeben möchte. Es gibt viele, atmosphärisch dichte Bilder, die nicht gerade die Touristen bei Gosch zeigen, sondern eher viel Natur. Die Kapitel über die Jahreszeiten zeigen (am Beispiel des Frühlings): „Produkte des Frühlings“, dann „Snack“, Brot, „Menü“ (mit 10 Rezepten), „Petit Four, Praline“, „Sonntagsküche“ und einen „Exkurs: Kräuter – ein geschmackliches Charakterbild“. Im Detail sind die Produkte natürlich weitgehend ortsbezogen. Vorgestellt werden die Spargelsorte „“Huchels Alpha“, Regenbogenforelle, Helgoländer Hummer, Steinbutt, Kalbsbries, Weidehuhn, Rhabarber und Sylter Rose. Die Exkurse sind ausführlich. Der über Kräuter und Co. stellt 65 Sorten vor, die in unterschiedlicher Länge beschrieben werden. Weitere Exkurse in den anderen Jahreszeiten befassen sich mit „Garten – eine grüne, üppige Welt“, „Sylter Royal – der wahre Geschmack von Sylt“, und „Käsehandwerk im Land zwischen den Meeren“. Ein besonderes Kapitel ist auch das mit der „Sonntagsküche“, bei dem es um ein wenig kompaktere Gerichte geht – mal mehr (im Frühjahr), mal weniger (im Winter).
Die Rezepte haben im Detail viel mit dem Sylt-Konzept des Buches zu tun. Die Kreativität ist keine frei-assoziative und auch eher selten von der avantgardistischen Nova Regio – Küche inspiriert. Berner sucht die Integration und Interpretationen, die sich aus dem Bezug auf das lokale und regionale Material ergeben. Die so entstehenden Rezepte sind dann oft an Elemente der klassischen Küche gekoppelt und entwickeln insofern eher selten ein Eigenleben, das von klassischen Prinzipien entkoppelt ist. Handwerklich sind sie Dokumente der Spitzenküche und bisweilen sehr lang und detailliert – etwa bei „Hummer hoch 5, Gurke, Emmer, Joghurt“, ein Rezept, das sich über rund 4 eng beschriebene Seiten hinzieht. Das man über die Entkoppelung von Einzelzubereitungen vom Gesamtzusammenhang trotzdem eine Menge sofort praktikabler Dinge bekomm, brauche ich hier vielleicht nicht immer wieder zu erwähnen. Es gibt also etwa „Steinbutt, Rapsknospen, grüner Spargel, Austern-Velouté“, „Steinköhler, Kamille, Aal, Felchenrogen“, „Königskrabbe mit Blumenkohl und Eigelb“, im Winter dann mit Kürbis, Malz und Mangold. Mal geht es in die Nähe des Spitzenküchen-Mainstreams („Hirschkalbrücken, Birne, Rosenkohl, Blutwurst, Kerbelknolle“), mal dominiert ganz klar eine regionale Interpretation wie beim „Salzwiesenlamm mit Bete, Senf und Sauerrahm“ – nebst u.a. Kräuterkruste, Lammzunge, Lammschulter, Lammtee, Bete-Bäckerin-Art, Rote Bete-Relish, und Senfsaat. Auffällig ist ein ausgebreiteter Dessertbereich, bei dem die regionalen Aromen immer eine wichtige Rolle spielen, also etwa bei „Quark, Apfel, Sylter Rose“, ein recht umfangreiches Dessert auf zwei Tellern.
Ein ganz wesentlicher Aspekt des Buches ist, dass Jan-Philipp Berner das entwickelt hat, was vielen deutschen Spitzenköchen fehlt, nämlich eine eigene Stilistik. Sie ist noch nicht so ausgeprägt, wie das bei dem ein oder anderen nationalen oder internationalen Kollegen der Fall ist, scheint aber auf dem Weg dorthin zu sein. Berner befasst sich mit Sylt und den Produkten, die hier eine Rolle spielen – auch wenn die Anlandung von Fisch hier eigentlich kaum eine Rolle spielt. Aber – Dänemark und seine exzellenten Ressourcen sind nah, man kommt also schnell an wirklich tagesfrische Ware. Darüber hinaus verwendet Berner aber Alles, was auf Sylt zu bekommen ist und versucht erfolgreich, der Insel ein kulinarisches Gesicht zu geben, das über die ewig norddeutsche „gutbürgerliche“ Küstenküche weit hinausgeht. Insofern könnte dieses Buch auch zu einem Teil wie ein Rollenmodell wirken: auch wenn man die klassischen Pfade der Spitzenküche nicht in Richtung Nova Regio und Co. verlassen will, kann man eine Küche entwickeln, die Authentizität hat.
Fazit
Das Buch gefällt mit einem etwas umfangreicheren Ansatz, der zu einem guten Zeitpunkt kommt. Jan-Philipp Berner ist kein wortreicher Erzähler, der – siehe oben – jedes Detail aus seinem Leben präsent hat. Seine Sprache ist die seiner Küche, und dort hat er sich eine große Breite und vor allem auch geschmackliche Tiefe erarbeitet, die ein solches, recht großes Buch problemlos füllt. Auch wenn zu Beginn etwas verquollen von „Schaffen“ die Rede ist, hat das Buch also insofern einen Werkcharakter, als seine Arbeit mittlerweile eine adäquate Komplexität erreicht hat. Mir gefällt vor allem die klare Auseinandersetzung mit der Region. Sylt soll nach Sylt schmecken, es wäre schön, wenn man das an anderen Stellen in Deutschland von unserer Spitzenküche etwas häufiger sagen könnte. Es macht insofern Spaß, hier zu erleben, wie sich Berner in allen verfügbaren Details mit der Region befasst.
Das Buch bekommt 2 grüne BB mit einer Tendenz nach oben (zur Erinnerung: nach meinem Bewertungssystem sind die 3 BBB besonders kreativen oder absolut überragenden klassischen etc. Werken vorbehalten).
Fotos © Ydo Sol / Südwest Verlag
manches an diesem buch,an seinen formulierungen mag arg prätentiös wirken und an manchen stellen hätte man es unangestrengter angehen lassen, aber vergleicht man berners syltbuch mit den publikationen anderer local heros wie bodendorf oder den sansibar-kochbüchern, fallen schnell wichtige qualitätsunterschiede auf. berner setzt sich mit einer region und ihren spezifischen produkten auseinander, statt eine schicki-micki-urlaubswelt und -küche zu beschwören, die mit sylt wenig bis nichts zu tun hat und genau so auf st.moritz-skihütten oder ibiza-partylocations stattfinden könnte. das ist schon mal wohltuend. dass berner seine küche nicht bei nova regio verortet, sondern eher klassisch einfasst, sehe ich als weiteres plus an, weil es indivuduellen handlungsspielraum eröffnet statt kopistentum zu frönen.
Ist Ihre Kritik positiv oder doch wie mir scheint, nicht ganz so gut ??
Zwei BB passen nicht so recht zu Ihrem Text. Helgoländer Hummer ist bekanntlich ausgestorben und so viel ich weiß, nicht käuflich zu erwerben.
Grüße aus Hamburg
Lieber Herr Viehhauser,
doch, die Kritik ist positiv und zwei BB sind eine sehr positive Bewertung. Für 3 bräuchte es nach meinen zu Beginn der Serie veröffentlichten Kriterien Weltklasse-Klassik oder stark innovative Konzepte. Meine Art der Kritik ist immer sehr offen, d.h. es gibt auch immer wieder kritische Anmerkungen oder Tendenzen. Es kann vorkommen, dass ich Details kritisiere, aber damit nicht das Ganze meine. Außerdem kenne ich die Küche und finde sie exakt so, wie ich es beschrieben habe, also einen Tick feiner als Johannes King, aber vielleicht noch nicht ganz da, wo man über drei Sterne nachdenkt.
Gruß an die Elbe, ich fahre in wenigen Minuten ab nach Hamburg….