Jan Hartwig ist zurück. Und wie!

Eine kleine Anekdote vorab. Jan Hartwig war vor einigen Jahren mein „Koch des Jahres“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Das führte damals noch zu einem Gala-Abend im großen Ballsaal von Schloß Bensberg, bei dem fünf der geehrten Köche (wir nennen sie „Lieblinge“ des Jahres) jeweils einen Gang für ca. 150 Gäste gekocht haben. Diese Gerichte in großer Stückzahl wurden von den Köchen – sagen wir: manchmal in etwas abweichender Qualität gegenüber den Restaurantleistungen präsentiert. Als Jan Hartwig sein Hauptgericht mit Taube servierte, sagte mir ein anderer der Preisträger sinngemäß: „Das ist eben Jan Hartwig. Das ist typisch. Er hat es einfach wieder gebracht.“ Die Qualität des Gerichtes war superb und nicht einen Deut schwächer als im Restaurant. Er ist eben ein großer Profi und hat vor allem den Willen, ohne jede Einschränkung immer das Bestmögliche zu realisieren.

Als Hartwig dann im August 2021 sein Drei Sterne-Restaurant „Atelier“ im Bayerischen Hof verlies, gab es allgemein sehr erstaunte Reaktionen. Bisher war es eigentlich in der Geschichte der Kochkunst absolut undenkbar, dass man drei Michelin-Sterne hat und dann sozusagen „hinschmeißt“. Es galt immer als ausgemacht, dass man selbst bis ins hohe Alter oder selbst dann, wenn man über eine ganze Reihe von Restaurants verfügt, eben Mittel und Wege findet, seine Drei Sterne-Küche zu organisieren. Aber einfach aufhören? – Hartwig selber hat einen wesentlichen Grund für seinen Entschluss mitgeteilt. Es gehe ihm vor allem auch darum, Eigenes zu machen, und das sowohl unter wirtschaftlichen als auch unter kreativen Aspekten. Mit diesem Credo machte sich Hartwig (der fasst seine gesamte Crew mitgenommen hat) an die Realisierung seiner Pläne. Zwischenstation war dabei ein Pop-Up im Nymphenburger Schloss, bei dem er eine ganze Reihe von Dingen ausprobieren konnte: die Auseinandersetzung mit der traditionellen Kochkunst, den Produkten der Region und den regionalen Traditionen, den „großen Stücken“ und anderen Dingen, die in der oft doch recht eingeengten Spitzenküche kaum jemals Verwendung finden. All dies soll in Zukunft in einer adäquaten Form Berücksichtigung finden.

Nach etwas mehr als einem Jahr ist es nun soweit. Heute, am 25. Oktober 2022 eröffnet das Restaurant „Jan“ in der Nähe des Münchner Museumsviertels mit einem ersten Menü, dessen Gerichte ich im Folgenden zum größeren Teil vorstellen werde. Dazu kann ich auch noch zwei Beispiele aus der erwähnten regionalen und traditionellen Abteilung erwähnen. Das Restaurant ist von hellem Holz geprägt und erinnert ein ganz klein wenig an die puristischen Sushi-Restaurants in Japan oder japanischer Prägung. Es ist nicht klein, sondern hat rund 40 Plätze. Man kann von verschiedenen Plätzen etwas von der Küche sehen, die ganz offensichtlich kompromisslos konstruiert und ausgeführt wurde. Das Ganze strahlt eine Art entspannte Konzentration und irgendwie Leistungsfähigkeit aus: hier arbeitet eine sehr professionelle Mannschaft, die richtig gute Sachen machen will und das Essen und Trinken absolut in den Mittelpunkt stellt.

 

Jan Hartwig: Gerichte aus dem Eröffnungsmenü des „Jan“

Vorbemerkung: Man merkt im „Jan“ sehr deutlich, was ein wirkliches Spitzenrestaurant ausmacht. Es geht nicht nur um die Produktauswahl oder etwa die Garungen, sondern ganz klar darum, hier etwas zu erleben, was man in anderen Restaurants nicht bekommt. Eine solche Prämisse bezieht sich meist weitgehend auf zwei Dinge, nämlich den aromatischen Bereich und die sensorische Struktur. Einfacher – aber auch ungenauer – formuliert auf den Geschmack und die Finesse der Komposition. In diesen beiden, entscheidenden Bereichen hat Jan Hartwig enorme Qualitäten zu bieten, die jeden Bissen von seinen Gerichten zu einem großen Genuss machen.

Wachtelei – Zwiebel, geräucherte Spinatcreme, Mandeln, Parmesan & schwarze Limone

 

 

Eine wichtige Rolle bei der Aromenstruktur spielt hier immer der „Umami – Faktor“, den Jan Hartwig aber auf eine markante eigene Weise berücksichtigt. Er beschränkt sich nicht auf eine gewisse Kräftigkeit, sondern schafft aus entsprechenden Elementen eine weitere, sozusagen zusammengesetzte Umami-Ebene. Der Titel dieses Gerichtes nennt gleich mehrere umamihaltige Realien, die hier aber nicht zu einer penentranten Verdichtung zusammenkommen, sondern die als Aspekt eines Gesamtgeschmacks voller Tiefe, Feinheit und Leichtigkeit (das ist natürlich ebenfalls mit Umami möglich…) genutzt werden. Diese Zusammensetzung zu einem neuen aromatischen Bild ist hier und bei allen Gerichten hervorragend und ein klares Stilmerkmal. Hartwig neigt auch nicht zur Vereinzelung von Elementen, sondern richtet seine Aufmerksamkeit mehr auf ein schillerndes, beim Essen immer leicht variierendes Bild. Eine besondere Finesse in der Sensorik findet sich hier bei dem Wachtelei mit einem flüssigem Eigelb. Es ist auch in diesem Umfeld so gehalten, dass man tatsächlich das Eigelb schmeckt. Allein sso etwas ist schon von der Garung, aber auch von der Integration in das Geschmacksbild her ein Kunststück. Unnötig zu erwähnen, dass die Croutons präzise so eingestellt sind, dass sie eine klar definierte Wirkung haben.

N25 Kaviar „Selektion Jan“ – Chawanmushi, Haselnüsse, Rosinen & Lauchöl

Die Auflistung liest sich eventuell für den ein oder anderen Leser etwas „bunt“, ist es aber überhaupt nicht. Bei seiner Kaviar-Selektion denkt Hartwig kulinarisch, er geht hier mehr auf den aromatischen Körper des Kaviar-Geschmacks, der dann ruhig einen Salzanteil haben darf. Der Kaviar soll und muss mitspielen können, er braucht Substanz. Die wiederum entwickelt sich hier in einer verführerischen Breite, bei der die Rosinen eher fruchtig als süß wirken und die Haselnüsse sehr jung sind und eher eine wenig aggressive Textur haben. Insofern wirken sie dann auch stärker als Aroma, das dann wiederum besser an den Kaviar ankoppelt. Beim Essen hat man hier zusätzlich den Eindruck, als ob der Kaviar außergewöhnlich gut „freigestellt“ wird. Man nimmt ihn quasi parallel zu den anderen Elementen wahr und dazu noch in einem Geschmacksbild, das über einen klaren zeitlichen Ablauf verfügt.

Bayerische Forelle – Champignons, Linsen, Rapsöl, Molke & Gartenkräuter

Die Forelle ist bei Hartwig eng an einen aromatischen Sud gekoppelt. Sie ist ausgesprochen butterweich in der Garung und vermischt sich zu einem wunderbar feinen, aber immer auch süffigen Geschmacksbild (womit hier explizit gemeint ist, dass man sich bei einem solchen Geschmack der Spitzenküche jederzeit vorstellen kann, dass absolut jeder Esser so etwas sensationell findet). Die leichte (Milch-)Säure der Molke ist ein wichtiges Mittel dazu, weil die Molke so mild ist, dass man sie in diesem Zusammenhang bestens nutzen kann. Eine Besonderheit ist die Behandlung der Champignons, die Hartwig – wie übrigens eine ganze Reihe großer französischer Köche – sehr liebt. Hier sind große Scheiben so minimal und intelligent behandelt, dass sich ein wunderbar frisches Pilzaroma einstellt, das eine große Finesse und eine weitere Dimension zu dem Gesamtgeschmack beiträgt. Man kann alles machen – sagt uns eine solche Komposition – wenn man nur die richtigen Mittel findet. Und – man kann auch in einem sehr feinen, geradezu transparenten Bild eine Menge an Aromen und Differenziertheit unterbringen.

Glasiertes Kalbsbries – Rauchfischbrühe, Safran, Petersilienwurzel, Sonnenblumenkerne & Staudensellerie

Hier musste ich schmunzeln, weil ich ganz schnell eine Assoziation bekam, die ich im Zusammenhang mit Bries kaum jemals angetroffen. habe. Es ist sozusagen das Bries als Sonntagsbraten – ich nehme an, Sie verstehen, was ich meine. Grund ist ein Stück, das eine ausgesprochen kräftige Bratkruste bekommen hat, ansonsten aber natürlich völlig zart ist. Hartwig hat erkannt, dass man beim Bries die Kruste sehr viel besser nutzen kann, als das oft der Fall ist – immer vorausgesetzt, man hat die Proportionen im Griff. Dazu kommt dann eine aromatische Inszenierung, die bodenständige Aromen nutzt, aber eben nicht „rustikal“ verwendet. Mit den feinen Fäden Staudensellerie obenauf wird nicht abgerundet, sondern begonnen: man nimm sie bei jedem Schnitt mit und hat – auch und gerade über diese initiale Frische – einen Hauch von frischer Salatbegleitung. Das Bild zeigt wiederum an, dass die Proportionen klar zugunsten des Bries-Stückes gehen, dass keine texturelle Konkurrenz als größeres Stück existiert, dass weitere Texturen in Mikro-Form daherkommen und dass die Basis changierend ist. Mit diesen klaren Determinanten wird daraus ganz große Küche – was selbstverständlich für alle Gerichte gilt.

Makrele – Fermentierter Knoblauch, Couscous, Joghurt & Dashi-Butter

Es sieht nicht nach dem aus, was es ist, und – ist man ist geneigt zu sagen – das Ergebnis ist auch von geradezu revolutionärer Andersartigkeit für ein Makrelen-Gericht. Jan Hartwigs Analyse von existierenden Produkten und Gerichten führt oft zu einer ganz individuellen Lösung, die dann aber so gut wird, dass sie sich immer irgendwie an die Spitze der Bewegung setzt. Die Analyse der Makrele kann ganz allgemein zu dem Schluß kommen, dass es sich um ein sehr intensives, dominantes Produkt handelt, das mit seinem spezifischen Aroma gerne alles andere in den Hintergrund drängt. Eine Begleitung, die wirklich Mitspieler sucht, muss dann üblicherweise ebenfalls von der kräftigen Art sein. Hartwigs Schluß ist, dass diese Begleitung von einer anderen Art sein muss. Und genau das bringt hier die „Verpackung“ in Joghurt, verbunden mit Fäden einer Creme von fermentiertem Knoblauch (die ein wenig den aggressiveren Bereich der Makrelenaromen im Zaum hält) und einer Dashi-Butter, die in Form einer Art variierten Beurre blanc daherkommt. Der erste Eindruck kommt von der leichten Säure, die der Makrele einen Moment Zeit lässt. Dann blendet sie auf, aber in einer Verpackung, die eben das Beste der Makrele „durchlässt“. Die Säure kann man übrigens – so meine Folgerung – je nach Makrelenqualität und – herkunft einstellen. Besonders kräftige Stücke brauchen mehr Säure, die kleineren mit Schwanz weniger Säure.

Soufflierte Wachtel – Amaranth, Topinambur, Lauch & Vin Jaune

Die Lösung für die Wachtel muss man deshalb „Lösung“ nennen, weil sich viele Köche in der Spitze nicht so gerne mit der Wachtel befassen. Auch deshalb sind die klassischen Crepinette-Lösungen oft die besten, und Bratversuche sind meist dem Bistrobereich überlassen. Hartwig geht hier auf ein schonendes Verfahren, das manche Gäste vielleicht aus traditionellen Gerichten wie dem soufflierten Lachs in der „Auberge de l’Ill“ kennen. Er gibt der Wachtelbrust eine Soufflé-Schicht, die hier ein prächtiges, leicht herzhaft-feines Aroma und eine gute Festigkeit hat. Die Brust wird leicht rosa, ist also optimal. Amaranth als Textur obenauf ist ebenfalls genau das richtige Mittel, um in diesem Zusammenhang ein sehr schönes Mundgefühl zu erzeugen – von der spektakulären Optik einmal ganz abgesehen. Auch bei der Begleitung beginnt Hartwig im Grunde mit klassischen Meistern und ihrem Foie gras – Wachtel – Akkord. Nur…hier ist die Inszenierung um Klassen spannender, weil die gefüllte „Praline“ mi ihren klassischen Aromen und einem kleinen Hauch von Alkohol) auch allein schon aller Ehren wert wäre. Der Zusammenhang mit dem Vin Jaune-Akkord (wieder eine der Saucenvarianten, die eigentlich Neuschöpfungen sind oder – was man durchaus vertreten kann – der klassischen Inspiration neue Höhen verleihen) ist natürlich wieder großartige „Schnittmengen-Küche“, also bei aller Kreativität absolut mehrheitsfähig. Man hört die Gäste „lecker!“ ausrufen – sozusagen.

Jan Hartwig: zwei besondere Gerichte

Jan Hartwig befasst sich zusätzlich zu seinem Startmenü auch mit Spezialitäten der traditionellen und klassischen Art. In welcher Form sie in Zukunft angeboten werden, ist noch nicht ganz klar und wird möglicherweise variieren zwischen einem Einsatz als Teil des Menüs und dem als zusätzlich bestellbarem Extra.

Man könnte sie „Jan Hartwigs Visionen von regionaler und traditioneller Küche 2.0“ nennen, ein Feld, das er als allseits gebildeter Koch äußerst interessant findet

Gulasch – Polenta & Sauerkraut

Dieses wunderbar kleinformatig und wie verspielt aussehende Gericht ist nichts weniger als die Essenz von Gulasch schlechthin. Man bekommt tatsächlich nur ein einzelnes Stück Fleisch, das dann von all dem begleitet wird, was ein Spitzengulasch ausmacht. Man glaubt es erst gar nicht und bekommt dann regelrecht einen Gulasch-Flash. Das macht Spaß und ist doch ein kleines kulinarisches Wunderwerk an Präzision. Es ist gleichzeitig ein ganz klares Spiel mit dem assoziativen Kontext: die Bilder von bestem Gulasch irgendwo nicht weit von der ungarischen Grenze sind sofort da, und man hat gleichzeitig den Eindruck, als ob sie wie mit einem Vergrößerungsglas gestaltet wären: so klar und deutlich, so fein abgestimmt hat man das noch nie erlebt.

Tourte de Pigeon – Entenleber, Spitzkohl & Sauce Albufera

 

 

 

 

 

 

 

Diese Tourte ist ein großer Klassiker der Kochkunst, von Hartwig optimiert, aber in keiner Weise irgendwie „verbogen“. Es ist ein sehr souveräner Akt, wenn sich Spitzenköche auf diese Weise mit den großen Klassikern befassen und klar machen, wie gut sie sind und welche Bedeutung sie für die Entwicklung der Kochkunst haben. Hier dominieren die Präzision in der Ausführung (vor allem der Garung), die Proportionen, natürlich die richtige Produktqualität und dazu noch – als Variante zu möglichen Trüffeln – die Morcheln und mit der Sauce Albufera eine der großen klassischen Saucen.

Was für ein Start! Jan Hartwig hat auch Mittagsöffnungen. Die Buchungen laufen erst einmal bis März. Abends muss man jetzt schon auf die Warteliste. Mittags gibt es vereinzelte Plätze. Lassen Sie sich registrieren. Das muss man erlebt haben.

 

3 Gedanken zu „Jan Hartwig ist zurück. Und wie!“

  1. Werter Herr Dollase,
    a) wäre es schön, wenn sie diesen permanenten „Sun Cellular“-Spam hier endlich mal blockieren würden
    und
    b) auf meine persönliche mail an Sie wegen ungerechter Köche-Löhne bei Sterneläden antworten würden?

    Danke & guten Appetit!

    Antworten
  2. Das macht neugierig, vielen Dank! (Die Forelle und Kaviar kenne ich noch aus dem Atelier). Leider sagen Sie nichts zu den Desserts, wie waren die denn? Kennt man den Patissier? Danke und Grüße!
    PS: Bei der Makrele hat sich einmal eine Rotbarbe in den Text verirrt, glaube ich.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar