Ist noch irgendwo Platz für ein Blättchen? Clare Smyth und die Grenzen der Dekoration

Die neue britische Drei Sterne-Köchin Clare Smyth vom „Core“ (deutsch: Kern) in London hat als Köchin eine Karriere hinter sich, die im Nachhinein sehr klar in Richtung von drei Sternen ging. Das „Core“ eröffnete sie im Alter von 39 Jahren als erstes eigenes Restaurant. Vorher war sie bei zum Beispiel bei Gordon Ramsay in London, bei Ducasse im „Louis XV“ in Monaco und in der „French Laundry“ bei Thomas Keller in Kalifornien. Im „Core“ bekam sie schon 2018 den zweiten und 2021 den dritten Stern. Preislich hält sich das Restaurant übrigens im Rahmen. Neben den Menüs gibt es auch ein dreigängiges à la Carte-Menü mit je 4 Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts und ohne Zuzahlung für kostspieligere Produkte. Sie ist die erste Drei Sterne-Köchin in Großbritannien und entsprechend mediatisiert. Nun gibt es ein großes Buch von ihr:

Clare Smyth: Core. Phaidon Press, London 2022. 256 S., geb., Ganzleinen, Goldschnitt, ca. 38,99 Euro (in englischer Sprache)

Fotos: Nathan Snoddon

Der erste Eindruck vom Buch erinnert an einen alten Standard-Satz aus dem Guide Michelin. Es hieß dort, dass man einen Stern in einem Luxushotel oder – restaurant nicht mit einem Stern irgendwo in einem ganz normalen Umfeld vergleichen könne. Ein Drei Sterne-Restaurant mitten in London ist ein Restaurant mit ganz viel Adrenalin, ganz edel, mit Besuchern aus der Abteilung reich, berühmt oder schön usw. usf. Darüber redet man, darüber wird geredet, massenhaft. Und das kann ganz schnell auch auf das Essen abfärben. Wir sind hier nicht in Kopenhagen und im „Noma“, wo sich ein Revoluzzer durchgesetzt hat, sondern in der Edel-Abteilung einer Köchin, die in der Edel-Abteilung groß geworden ist.

Das Buch

Beim Suchen nach den bibliographischen Angaben am Ende des Buches traf ich zufällig auf ein paar Angaben zu den verwendeten Grundprodukten etc. So etwas findet man häufiger. Hier fallen die ersten zwei Sätze auf, weil sie von den üblichen Standards der Spitzenküche abweichen. Man erfährt: „Alle Butter ist gesalzen, außer wenn es ausdrücklich anders gesagt wird“ und „Alles Salz ist feines Meersalz, außer es ist anders spezifiziert.“ Nichts also mit der klassisch ungesalzenen Butter und nichts mit Maldon Sea Salt oder Fleur de Sel. Das wollte ich nur eben vorab erwähnen, weil es am Ende der gerade dieser Rezension fast zwangsläufig darum geht, wie das Ganze denn nun eigentlich geschmacklich einzuordnen ist.

Es fällt einfach gewaltig auf, dass Clare Smyth nicht etwa ihre Zubereitungen anrichtet, sondern ihre Gerichte auf dem Teller regelrecht dekoriert. Das geht so weit und ist bei den Gerichten im Buch so weit verbreitet, dass man sich unweigerlich fragt, ob diese Köchin nicht will, dass ihr Essen wie Essen aussieht. Es scheint fast so, als ob sie danach sucht, noch irgendwo ein Blättchen platzieren zu können, um ihren „Stil“ auch immer und jederzeit glasklar präsent zu haben. Man kann sich bei den vielen, ja durchaus spektakulären Präsentationen gut vorstellen, dass sie in die Abteilung „Internet – Bilder“ fallen, dass man irgendwann einmal überlegt hat, was man machen kann, um diese Küche als Marke zu entwickeln. Man kann sich gleichzeitig vorstellen, dass – ich unterstelle das hier einmal glatt – vor allem Damen der Gesellschaft und ganz allgemein Frauen so etwas ganz entzückend finden und schon völlig aus dem Häuschen sind, bevor das Essen noch angefangen hat. Meine jahrelange Erfahrung auch in Restaurants, bei denen die Optik eine ähnlich dominante Rolle spielt, muss mich einfach zu solchen Überlegungen bringen. Es sind jedenfalls dann oft diejenigen Gerichte, die ein gestandener männlicher Profikoch irgendwie für lächerlich hält. Das ist so, und das wird auch wohl noch eine zeitlang so bleiben. (Kleine Anmerkung am Rande: ich habe einmal salopp geschrieben, dass in der Spitzenküche die Männer eigentlich anrichten wie man sich das – klischeehaft – von Frauen vorstellt).

Andererseits bin ich natürlich um Analyse und Objektivität bemüht, immer wieder um das Verstehen dessen, was Köche machen, und nicht darum, Klischees auszupacken und als Keule gegen Abweichendes einzusetzen.

Zuerst aber noch einige Sätze zur Struktur des Buches. Nach einem Vorwort von Gordon Ramsay geht es um die „Drei Sterne-Küche“, um das „Core-Team und seine Werte“, um „Britisches Fine Dining“, um „Unsere Produzenten, Lieferanten und Gärtner“, um „Informellen Luxus“ (es ist ein wenig der Luxus, den man auch schon mal „alternativen“ Luxus nennt, Exquisites, das so tut, als ob es ganz „down to earth“ wäre“). Ab Seite 43 gibt es die Rezeptbilder mit oft interessanten Erläuterungen dazu – meist zu den verwendeten Produkten. Die eigentlichen Rezepte kommen dann ab Seite 176.

Typische Rezepte sind zum Beispiel „Käse und Zwiebeln“, „Über Holzfeuer gerösteter Sellerie mit schwarzen Trüffeln und Haselnuss“, eine „Geröstete Buchweizen-Tarte mit Pfifferlingen und jungen Mandeln“, „Reh mit ‚Haggis‘, Perlzwiebeln und Lagavulin-Whisky“, der berühmte (Fake-)„Core-Apfel“, „Dexter Short Rib mit Ochsenschwanz und Markknochen“, ein „Core Caesars Salad“ (der nun gar nicht so aussieht) oder ein „Crispy geräucherter Chicken Wing mit Bier, Honig und Thymian“. Es sieht alles – auch bei den Details der Rezepte – nach einem gemäßigt bodenständigen, handwerklich sehr hochwertigen Modern-Mainstream-Konzept aus, das sich gut essen lässt, das einen zuverlässig intensiven assoziativen Kontext bedient, bei dem also kein Gast fürchten muss, dass es irgendwie abenteuerlich schmeckt. Es ist eine Großstadtküche, in die aromatisch Regionales und Nationales hineinragt und mit Augenmaß mit den Werten und Standards der internationalen Haut Cuisine verknüpft wird. So weit, so gut.

Was bleibt ist aber die Frage, was mit den vielen Deko-Elementen passiert. Ist die sensorische Struktur der Gerichte im Kern gut und wird dann, wenn es zur Präsentation geht, durch die Vielzahl von kleinen Kräutern, Blättern, Texturen usw. beschädigt oder sogar erheblich gestört? Der Verdacht liegt nahe, weil man viele der Gerichte definitiv „falsch“ essen kann, also so, dass die intensiven Aromen und Texturen von den Kräutern Fleisch, Fisch oder Gemüse überlagern können. Die Wirkung von Blättchen und Co. wird oft sensorisch unterschätzt. Es gibt manchmal einen initialen Biss, der dominant ausfallen kann, manchmal ein nachhaltiges Aroma, das ebenfalls dominant ausfallen kann. Im Mund beschäftigt man sich dann oft mit solchen Dingen, während das eigentliche Hauptprodukt irgendwo durchläuft und nicht voll glänzen kann. Das Problem existiert, die schöne Optik wird – wohl meist unbewußt – mit einer problematischen sensorischen Struktur sozusagen bezahlt.

 

Fazit

Natürlich gehören Bücher von Drei Sterne-KöchInnen in jede etwas erweiterte Sammlung, und natürlich haben sie Alle gewisse individuelle Stilmerkmale. Dieses Buch wird man wegen der im Grunde recht extremen Anrichteweise mit Aufmerksamkeit lesen können. Bei den Rezepturen wird man nicht viel Neues, sondern eher dezent individualisierte Zusammenstellungen antreffen.

Insofern gibt es zwei grüne BB, aber nicht unbedingt am oberen Rand dieser Kategorie.

11 Gedanken zu „Ist noch irgendwo Platz für ein Blättchen? Clare Smyth und die Grenzen der Dekoration“

  1. Globe Telecom

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  2. Keine andere Köchin mit 3 Sternen hat so polarisiert, wie auch werden kritische und harsche Kritik an Ihr gemacht. Aber seien wir ehrlich. Toll gemachtes Buch, aber auch so kocht sie im Restaurant.
    Keine andere wie Sie hat so viel Details und filigrane Kunstwerke. Die einen zum heulen bringen, weil man Sie dann auch ehrfürchtig ist. Aber auch die Zutaten, die Gerichte einem zu Staunen bringt.
    Zeigen Sie mir eine andere Köchin, die sogar viele Kollegen in Ihrem Level zum Staunen bringt!!!
    Ich bin völlig begeistert, und kann nur jedem empfehlen, das auch live zu erleben.

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    • genau das habe ich mich auch gefragt…

      bei solchen Gerichten frage ich mich immer „Was will der Künstler damit sagen, ist das schon Kunst oder kann das weggegessen werden?“ und ob es jetzt das Deko-Element ist oder doch schon der nächste Gang?

      Und beim Herumprobieren irgendwo im Hinterkopf die Befürchtung, daß ich etwas falsch kombiniere und mir damit das Gericht „versaue“; manche Kombinationen können toxisch wirken.

      Auch wenn es schön aussieht, wünsch ich mir bei meinen Restaurant-Besuchen in der letzten Zeit immer öfter ein „back to the roots“, zurück zum einfachen, ein „Löffel rein, glücklich sein“ und glaube nicht, damit allein zu sein.

      In diesem Sinne – viele Grüße & einen schönen Abend noch,

      Jörg

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  3. ich werd jetzt auch mal salopp- das ist die kritik eines alten mannes, der einer ***-sterneköchin unterstellt, über mainstream und dekokram nicht hinauszukommen.

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  4. Diese Kritik ist ein wenig unsubtil, eine KochIn, der einmal „scharf links“ abbiegt und anders als der Mainstream kocht, geht irgendwie nicht. Es ist eine klare Signatur, ja mag der Mensch oder auch nicht. Nur, auch wenn „ich unterstelle…“, da steht, ist es eine etwas Macho, mäßige Aussage der irgendwie gebrodelt hat. Solche Food Bildern sind mal wieder interessant für die Augen.

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