Heute geht es um eine Reihe von weiteren Fakten und Beobachtungen, die bei den Diskussionen der letzten Zeit aufgetaucht sind. Mittlerweile ist notwendig geworden, energisch für die Spitzenküche, also den eher kulinarischen im Unterschied zum eher gastronomischen Teil von Fine Dining, einzutreten. Immer wieder werden zum Beispiel Zusammenhänge zwischen der Corona-Krise und den Problemen der Gastronomie hergestellt, die den Eindruck erwecken, als hätten die Gastronomen in der Vergangenheit etwas falsch gemacht oder wären sonstwie an ihrem Zustand schuld. Die Vorschläge, was man anders machen könnte, klingen oft wie eine Abrechnung, als ob das jetzt nicht mehr gehe, mit den Produkten aus fernen Ländern usw. usf. Da zeige sich mal wieder, dass die ganze Sache falsch aufgestellt sei. Auch ich habe Vorschläge gemacht (wie etwa die Schwachstellenanalyse in Folge 1 von „Ist Fine Dining tot?“), dies aber ausschließlich zum Zwecke der Optimierung eines wichtigen Bereiches unserer kulinarischen Kultur, der so oder so viel mehr Beachtung und Förderung verdient, und dessen Bedeutung für unsere Esskultur nach wie vor massiv unterschätzt wird. Selbstverständlich kann man über viele Details diskutieren oder ganze stilistische Ausrichtungen für problematisch halten. Die Spitzenküche als solche ist unverzichtbar.
Anmerkung: Unter „Spitzenküche“ verstehe ich im Gegensatz zu diversen anderen Restaurantformen/Küchen etc. eine Küche, in der daran gearbeitet wird, ein Maximum an kulinarischer Qualität zu erreichen. In den meisten Küchen wird an diesem Punkt relativiert oder kalkuliert oder mit Absicht kommerziell/populistisch gedacht. Spitzenküche richtet sich an den Besten des Faches aus und versucht, ähnliche Qualitäten zu erzeugen. In wie weit das gelingt, ist immer eine andere Frage.
Hier ein paar bunte Punkte zum Thema:
Vorab: Ist die Spitzenküche in den Metropolen nur etwas für die Touristen?
Nicht nur Guy Savoy (66) in Paris, sondern schon deutlich vorher auch Ferran Adrià in Barcelona haben gesagt, dass es ohne Touristen mit der Spitzengastronomie allgemein sehr schwer werden wird. Diese Befürchtung ist nachvollziehbar. Meine Beobachtungen gehen eindeutig dahin, dass in vielen Metropolen, speziell aber in Paris und Barcelona (aber auch Berlin) der Anteil der touristischen Besucher enorm hoch ist.
Zu diesem Punkt gab es immer schon merkwürdige, immer abfällig gemeinte Kommentare mit der Tendenz, dass die hochgelobten Spitzenrestaurants ja gar nicht von den Gourmets leben könnten, sondern auf oft kaum interessierte Touristen aus aller Welt angewiesen seien, die das einfach einmal ausprobieren wollen. Wenn denn gefüllte Restaurants eine Wertschätzung bedeuten, dann stamme diese Wertschätzung oft von Leuten, die eigentlich keine Ahnung gaben.
Diese Argumentation ist komplett verdreht, und man könnte sie im übrigen auch auf Oper, Konzert und Museen beziehen, in denen es ganz ähnlich zugeht. Das Gegenteil könnte dann etwa so klingen: es gelingt den Köchen in Paris, eine echte, weltweit nachgesuchte Attraktion zu schaffen, die die Gastronomie der Stadt zu einem der attraktivsten Punkte für die Besucher macht. Es zeigt sich, dass Gastronomie so interessant sein kann, dass sich eine Kultur von Hunderten guter bis hervorragender Restaurants entwickelt hat.
Volkes Stimme: Kreisklasse statt Bundesliga? Und was hat das mit Scheinintellektuellen zu tun?
Die immer wieder zu findenden Aussagen darüber, dass die Deutschen keine besondere Wertschätzung für kulinarische Qualitäten hätten, kann man mit einem schönen Beispiel füllen. Dass sie ihr Geld für andere Dinge wie Häuser oder Autos ausgeben, ist eigentlich kein gutes Bild. Mit gefällt am besten das Bild, dass man bei uns beim Fußball die Bundesliga schätzt, beim Essen aber bestenfalls die Kreisklasse. Und – diese Angewohnheit haben nicht nur die eher normalen Mitbürger, sondern auch auffällig viele Angehörige der Medien und – noch merkwürdiger – auffällig viele Angehörige aus dem Lager der Bildungsbürger. Da gibt es viele Vertreter dieser Zunft, die sich jederzeit abfällig über den Mangel an Bildung bei anderen Leuten äußern und Leute bei weitem nicht ernst nehmen, die gerade nicht wissen, welche Ausstellungen in München, Berlin oder Köln laufen. Wenn es aber ans Essen geht, sind sie um keinen Deut anders als die Geschmähten. Und wenn man dann zurückschmäht und zum Beispiel klar macht, dass die Art, wie sie essen doch ziemlich banal und unreflektiert und bildungsfern sei, bekommen sie sehr, sehr schlechte Laune.
Ich habe für diese Gattung von Leuten, die besonders in Deutschland sehr verbreitet ist, schon häufig den Ausdruck „Scheinintellektuelle“ benutzt. Als „Intellektuelle“ lassen sich viele Bildungsbürger gerne bezeichnen und kokettieren sogar oft mit einer solchen Zuordnung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand, der wirklich Alles und Jedes gut und präzise durchdenkt, vor dem Essen und erst recht der Kochkunst halt macht. Für mich ist ein Mensch, der die Ernährung und Kochkunst nicht auf einem ähnlich hohen Niveau durchdenkt wie andere ästhetische Fächer, nicht wert, „intellektuell“ genannt zu werden.
Hütet Euch vor falschen Propheten!
In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass es eine beträchtliche Anzahl von – auch kulinarischen – Journalisten gibt, die eher dem scheinintellektuellen Lager angehören und beim Essen eigentlich nur „lecker essen“ wollen und an den Spitzen von Kochkunst und Handwerk im Grunde gar kein Interesse haben. Tendenzen in dieser Richtung finden sich fast überall, vor allem da, wo die Spitze der Kochkunst als eine Art Exzess, als ein Zuviel gesehen wird, das im Gegensatz zum „gesunden Menschenverstand“ stehe. Es gibt eine große, konservative bis reaktionäre Schicht rund um die Gourmandise, die sich auf alles stürzt, was „Casual“ ist, und dies scheinbar aus tiefster Seele. Vorsicht vor falschen Propheten, die ein Weltbild haben, in dem Kreatives unter Generalverdacht steht und jede Abweichung vom Mainstream als mehr oder weniger unnatürlich gesehen wird.
Die Entwicklung von Spitzenküche ist ganz normal und logisch
Jeder, der ein Handwerk erlernt, in dem es leuchtende Vorbilder gibt, geht einen ganz normalen Weg, wenn er diese Vorbilder nachahmt. Das war und ist in der Kochkunst gottseidank immer so gewesen. Die Geschichten der Werdegänge vieler hervorragender Köche sind voll von einem enormen Einsatz, von enormem Aufwand, um die Meister studieren zu können, von durchgefahrenen Nächten und dem letzten Pfennig, der für Besuche bei den Vorbildern gespart wurde. Dass immer wieder hervorragende Talente aufbrechen und in die Fußstapfen der großen Könner treten und treten wollen, ist ein sehr gutes Zeichen, ist eine sehr gesunde Entwicklung. Das Ausfüllen mehr oder weniger funktionaler Posten in mit Absicht schwächer gehaltenen Gastronomien ist bei weitem nicht so normal.
Es ist auch ganz normal und natürlich, dass sich Leute, die sich für gutes Essen interessieren, „nach oben“ essen. Wer so sensibel ist, dass ihn hervorragende kulinarische Leistungen elektrisieren, wird ganz automatisch versuchen, den gleichen Weg wie die Köche selber einzuschlagen und nach dem Besten und dem Kreativsten suchen. Mir ist es so gegangen und vielen Leuten, die ich kenne, ebenfalls. Ohne Schickimicki, ohne den Hang zur Distinktion, nur aus Interesse am guten Essen. Ganz normal.
Was gibt Glanz und trägt uns? Das Alltagsleben oder die großen Momente?
Natürlich liebe ich eine professionell gemachte, sehr gut schmeckende, einfache Küche mit klaren Produkten usw. usf. Ich habe in meinen Büchern oft darüber geschrieben und zum Beispiel einmal das „Monasterio“-Format durchdacht. Aber – ganz großes „Aber“ – was das Leben mit der Kochkunst und der Liebe und dem Interesse an hervorragender und kreativer Küche am Ende des Tages ausmacht, sind die ganz großen Momente – egal ob im eher klassischen, im regionalen oder im avantgardistischen Fach. Und das ist bei fast allen Leuten so, auch wenn sie oft viele Dinge noch gar nicht kennengelernt haben. Was trägt, sind die großen Momente. Sie motivieren mich als Koch, als kulinarischer Denker, als Kritiker. Und das ist dann natürlich ein großes Plädoyer für die Spitzenküche – wie für großartige Musik, großartige Kunst, Filme oder andere ästhetische Erfahrungen.
Die Antwort ist Ja. Fine Dining ist tot.
Die Frage ist jedoch, welches fine Dinig ist tot?
Wer an einem verregneten Tag Zeit und Muse hat, möge sich einmal auf Youtube einen alten Beitrag des Bayerischen Fernsehens aus den 1970er Jahren anschauen, wo über 45 Minuten gezeigt wird, wie Eckart Witzigmann ein 13-Gänge-Menü kocht bzw. kochen lässt. So würde heute keine Dorfwirtschaft kochen, ergo – dieses fine Dining ist tot. Ebenso das fine Dining, wo das Servicepersonal mit dem Stock im A im Restaurant umherlungert. Die alte Garde der bekannten deutschen Köche, von Harald Wohlfahrt abwärts über Schuhbeck, Lafer etc. – die Jungs leben alle noch, Gott sei Dank, aber ihre Art von Dining ist so gut wie tot. Jetzt ist die junge Generation von Gastronomen gefordert, und damit meine ich nicht die Hipster, die sich ausschliesslich über ihre Vollbärte und Tattoos definieren, jedoch zu blöd sind, ein Ei zu braten, sondern die gut ausgebildeten jungen Leute, die den Beruf lieben und daraus Spitzenleistungen erzielen.
Panta rhei, lieber JD.
„Und das ist dann natürlich ein großes Plädoyer für die Spitzenküche – wie für großartige Musik, großartige Kunst, Filme oder andere ästhetische Erfahrungen.“ Aber genau das ist doch weniger und weniger erwünscht. Oder schon, es darf nur nichts kosten, weder intellektuell noch wirtschaftlich, noch im Aufwand, der dafür getrieben wird. Abgesehen von der ganzen diskutablen „Woke“-Geschichte, die uns von einem Großteil unseres kulturellen Erbes amputiert, sind Menschen, die ihr Ideal kompromisslos verfolgen, ob als Koch, Musiker oder Maler, suspekt. „Was glaubt der eigentlich, wer der ist?“… meine Standardantwort wäre eigentlich „Besser als du?“, aber es lohnt sich nicht. Der Letzte, der sich diese immanente Arroganz leisten konnte, war der wundervolle Karl Lagerfeld. Und Joop, der ist dann allerdings auch eingeknickt. Und das ganze irre Milliardengeschäft der fine art spielt sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Schade. Fine music? Dito. Zugegeben süße Mäuse aus Russland ballern auf den Blüthners rum und das zuständige Label diskutiert, ob man wirklich den GANZEN Backcatalogue von Brendel…. Und immer und immer habe ich dabei meinen damaligen CD Art im Ohr, der nach einem sensationellen Kundenessen in Travemünde mit mir aus der Tür ging und als erstes sagte: „Also jeden Tag muss ich das nicht haben.“ L´allemande par excellence.