Das Thema „Preise in der Gourmetküche/Spitzenküche“ ist ein Dauerthema und es wird wohl nie zu Ende kommen. Wegen einer Reihe von entsprechenden Kommentaren in der letzten Zeit möchte ich es wieder einmal aufnehmen und zur Diskussion stellen. Wegen der enorm vielen Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt, möchte ich meine Anmerkungen als eine geraffte Sammlung von Fragen und Thesen machen.
Für die Diskussion bitte ich um Sachlichkeit. Es ist nicht ganz klar, was viele Leute eigentlich wollen, wenn sie niedrigere Preise wünschen. Es ist nicht ganz klar, ob eine irgendwie reduzierte Gourmetküche wirklich Sinn macht, und es ist vor allem nicht klar, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, in diesem Bereich in sehr viel preisgünstigere Regionen vorzudringen. Man sollte jedenfalls Verständnis für den Wunsch haben, bestes Essen auch in weniger Gängen, nicht so mächtig und auch ohne großen zeitlichen Aufwand zu bekommen.
Hier also ein paar Punkte.
Für Leute, die über viel Geld verfügen, sind die Preise der Gourmetküche kein Thema
Es wird oft davon geredet, dass der Besuch in teuren Restaurants zur sozialen Distinktion vieler Leute gehört. Das ist so nicht ganz richtig und gilt wohl eher für eine Art obere Mittelschicht, für die die Kosten eines Spitzenrestaurants noch echte Kosten sind, und für die es sozusagen sozial wirksam ist, wenn sie von Besuchen in Gourmetrestaurants erzählen können. Für Gäste, für die ein paar Hundert Euro für ein Essen eher Kleingeld sind, wird es kaum um soziale Distinktion gehen. Im Gegenteil: ein Maitre auf Sylt sagte mir einmal: „Wenn ein Maybach vorfährt und es kommen Leute vom Golfplatz, werden wir ganz sicher nichts verdienen.“
Sind die Preise zu hoch oder ist der Eintrittspreis zu hoch?
Wenn man ein Gourmetmenü mit – sagen wir: sieben Gängen plus Snacks vorab, plus ev. mehrere Amuse Bouche, plus Vordessert, plus Petits Fours in Einzelpreise zerlegt, wird deutlich, dass die Preise für die einzelnen Zubereitungen in der Regel nicht zu hoch sind, sondern dem Wareneinsatz und dem Aufwand bei der Zubereitung entsprechen. Nur -häufig gibt es die Gerichte eben nicht einzeln, sondern immer nur als Paket, also als Menü. Der Preis für das Menü plus Wasser, Wein und Kaffee bildet in der Regel eine gegenüber Einzelgerichten meist beträchtliche Summe, die im Endeffekt so etwas wie der Eintrittspreis für die Restaurants sind. Wenn über Preise diskutiert wird, meint man in der Regel diesen Eintrittspreis, der heute in guten Restaurants schnell einige Hundert Euro erreicht.
Ein Sonderfall sind die Preise für à la Carte-Gerichte. Hier scheint mir die Kalkulation oft nicht wirklich bis in alle Details vom Aufwand gerechtfertigt zu sein, sondern eher daran orientiert, mit Vorspeise, Hauptgericht und Dessert preislich in die Nähe des Menüpreises zu kommen. Das wiederum deutet klar darauf hin, dass der Erlös des Restaurants pro Stuhl eben doch ein sehr wichtiges Ziel ist und die Vermutungen der Gäste, es handele sich bei der Spitzenküche immer um eine Art „Eintrittspreis“ gerechtfertigt sind. Betriebswirtschaftlich ist das sicher ganz klar zu begründen. Was außer Acht gelassen wird, ist der Wunsch vieler Leute, beim Besuch solcher Restaurants nicht so stark unter Zwängen zu stehen. Was viele Gastronomen dann auch völlig vergessen, ist, dass der „Eintrittspreis“ auch mit dem Zwang verbunden ist, Unmengen von Dingen zu essen – oft eben auch solche, die man nicht bestellt hat. Ich erlebe es ganz regelmäßig, dass Gäste über Snacks und Amuse und Co. nicht glücklich sind, weil sie einfach nicht soviel essen wollen. Dazu indirekt gleich noch mehr bei der Frage nach den fehlenden Formaten.
Was treibt die Preise für Essen hoch?
Auf der Suche nach dem, was Gourmetküche teuer macht, findet man natürlich eine ganze Reihe von Dingen. Die komplette Kalkulation von Gerichten muss Alles berücksichtigen, was an Kosten anfällt – auch die, die ein zu kurz denkender Gast eben gar nicht auf dem Schirm hat. Wenn man etwa von Wareneinsatzquoten von ende 30% als einer so gerade noch sinnvollen Quote bei selbständigen Restaurants redet, bedeutet das eben auch, dass es rund 60% weitere Kosten gibt. Wenn dann berühmte Köche teilweise im „Schutz“ von Wareneinsatzquoten groß geworden sind, die sehr weit über den 30ern liegen, entsteht ein ganz besonderes Problem, nämlich das der Chancengleichheit. Das Verständnis von Gästen für die Kalkulationen jedenfalls sollte deutlich komplexer werden. Es ist meist einfach naiv.
Unabhängig von diesem Problem sind die preistreibenden Elemente bei den Produkten natürlich die üblichen Verdächtigen. Wer Spitzenqualität will, muss sie auch bezahlen wollen. Neben den Produkten wird meist der enorme handwerkliche Aufwand nicht gesehen – vor allem auch dann nicht, wenn nach einem größeren à la carte-Angebot gerufen wird. Das Einheitsmenü in einem immer ausgebuchten Restaurant ist – wirtschaftlich gesehen – am vernünftigsten, weil es effektiv und kalkulierbar ist und im übrigen auch Verschwendung von eingekauften, aber nicht abgerufenen Produkten verhindert. Das Gegenteil, also das reine à la carte-Restaurant mit einer großen Karte, wäre quasi nur zu sehr hohen Preisen realisierbar.
Ist Gourmetküche auch preisgünstiger zu realisieren?
Ja, selbstverständlich – immer vorausgesetzt, man versteht unter Gourmetküche nicht vor allem Steinbutt, Hummer, Foie Gras, Trüffel und Kaviar. Wenn man der Meinung ist, dass hervorragende Küche mit jedem seriösen Produkt realisierbar ist (der Meinung bin ich schon immer…), ist sie auch zu wesentlich niedrigeren Preisen realisierbar. Voraussetzung ist sicherlich ein sehr, sehr gutes Know how von Reduktionen und Lösungen ohne viel Aufwand sowohl bei den Produkten wie bei der Zubereitung. Kleine, klar formulierte Gänge sind denkbar, und das sogar in allen möglichen stilistischen Ausprägungen (und nicht nur in der Nova Regio – Küche).
Der Ruf nach „billigerer“ Gourmetküche ist der Ruf nach neuen Formaten
Wenn jener Teil der Kosten reduziert wird, der üblicherweise mit „Luxus“ umschrieben werden kann, hätte man schon andere Voraussetzungen. Es ist abzusehen, dass es in Zukunft ein wesentlich größeres Publikum geben wird, dass an blank gescheuerten Tischen in einem kahlen Industrial-Ambiente Gourmetküche höchster Qualität isst. Die ersten Beispiele gib es ja bereits. Wenn es dann noch möglich wird, auch beim „Eintrittspreis flexibel zu werden, hätte man eine deutlich andere Basis als das klassische Gourmetrestaurant. Die Frage ist, ob ein Restaurant bereit und in der Lage ist, für einen Umsatz von 50 bis 70 Euro pro Person exzellente Qualitäten zu liefern.
Wir haben einen Mangel an intelligenten Gastronomie-Formaten
Wir haben nach wie vor einen Mangel an wirklich interessanten Format für Gourmetrestaurants. Casual Fine Dining gibt es ja mittlerweile überall, aber leider ist der Fine Dining-Asspekt meist nicht wirklich erfüllt. Robuchon hat damals mit seinem „Atelier“ für eine Revolution gesorgt, die aber zum größeren Teil im Sande verlaufen ist. Es gab u.a. ein einzelnes Lammkotelett mit einem Thymianzweig und Jus und einige ähnliche Dinge, eigentlich nicht billig, aber im Vergleich zu den üblichen Pariser Preisen eine ganz andere Welt. – Im „Tickets“ in Barcelona fing man mit winzigen Tapas an (ich hoffe, es geht dort demnächst weiter…) und hat dann die komplette Freiheit, wie man und ob man weitermacht.
Als Dieter Müller vor fast 25 Jahren sein berühmtes Amuse Bouche-Menü machte, habe ich den Vorschlag gemacht, das Material nicht nur mittags, sondern immer anzubieten, an einer Art Theke, die einen direkten Zugang zur Küche hat. Die Produkte und Zubereitungen waren vorrätig, es wäre ein leichtes gewesen, so etwas zu probieren. Oder: im gleichen Zusammenhang hatte ich vorgeschlagen (wie gesagt: vor 20 Jahren o.ä.) in der Ehrenstrasse in Köln einen Gourmet-Snack zu realisieren: Suppen, Terrinen wie Foie gras, extrem Kurzgebratenes (Foie Gras, Thunfisch, Jakobsmuscheln etc.), vorbereitete Gerichte, die nur noch in wenigen Sekunden beendet werden müssten.
Es würde sicher nicht schaden, wenn die Gourmetküche auf ganz unterschiedliche Weise neues Publikum gewinnt und überzeugt. Der Preis wird dabei immer eine Rolle spielen.
Hallo Herr Dollasse, Sie sprechen mir aus der Seele, ebenso stimme ich Herrn Betz zu – genau diese Erfahrung habe ich vor kurzem bei einem Dreisterner gemacht. An diesen Abend habe ich gedacht, als ich Ihren Artikel und den Kommentar dazu gelesen habe. Es war ein tolles Menu, viele gute Sachen aus aller Welt und am Ende wußte ich nicht mehr so richtig, was ich eigentlich gegessen habe und wie genau es mir geschmeckt hat, trotz „Spickzettel“, also das Menu ausgedruckt und mitbekommen. Hier wäre für mich weniger mehr gewesen, weniger Gänge, dafür die Zutaten akzentuierter eingesetzt, vielleicht nach Thoreau „simplify simplify“? So weiß ich nicht so recht, ob ich dieses Restaurant noch einmal besuchen werde, diese Erfahrung möchte ich so nicht noch einmal machen. Kleinere Portionen und Flexibilität wäre vielleicht ein guter Ansatz, in diesem Sinne, viele Grüße aus Köln,
In der Topgastronomie mit Sternen, Hauben, Pfannen etc. ist der Wareneinsatz im Schnitt bei max. 30% (JRE). Auf Tischdecken und aufwändige Gestecke wird oft verzichtet und das ist auch gut so!
Die Portionen sind in den meisten Läden „seniorengerecht“ und ich kann auswählen, ob ich 5 oder viel mehr Gänge essen möchte. Die Preise sind hoch, ja aber bei der meist gezeigten hohen Qualität an Vorprodukten gerechtfertigt. Es muss wirklich nicht das Filet oder die Stopfleber sein, denn es gibt einfachere Produkte, die in hoher Qualität angeboten werden.
In diesen Restaurants verkehren meist nicht die Reichen und Schönen, sondern oft Menschen, die es sich mal gut gehen lassen und genießen wollen. Dazu zählt ein sehr guter Service. Gäbe es die blöde Querfinanzierung über den Wein (Wasser) nicht, der Trinkgenuss wäre größer, aber das Essen teurer.
Im Grunde stimme ich den Gedanken von Herrn Dollase zu. Ich möchte aber einen Aspekt noch stärker betonen: Das physiologische Aufnahmevermögen beim Essen nimmt beim Älterwerden bei vielen Menschen deutlich ab. Ich gehöre der Altersklasse des Autors an und muß mir inzwischen leider überlegen, ob ich mir zum Preise einer schlaflosen Nacht mit Völlegefühl und Sodbrennen ein umfangreiches Menü antun soll. Isst man à la carte, werden die Portionen auch meist deutlich größer, so dass es aufs Gleiche hinausläuft. Die – auch von mir früher – viel belächelten „Seniorenportionen“ sind vielleicht doch nicht so albern gewesen. Wenn dann ein Tisch natürlich einen fixen Umsatz bringen muss, gibt es hierfür keine Lösung.
wäre die Flut an unangemessenen, überflüssigen Zusatzleistungen wie amuse&co so gross und der Leidensdruck der Gäste darüber noch grösser, dann müsste es doch längst Lokale mit OHNE-menues geben, 20€ billiger- das wäre dann der Renner! oder?! Finde die ganze Diskussion darum schon sehr schrullig!
Sehr schöne differenzierte Betrachtung.
Anmerkung: Gourmet Küche verdient ihren Preis wenn der wareneinsatz stimmt. Ich habe keine Lust für sehr günstige Gerichte mit Innereien oder Ohren 35 Euro plus zu bezahlen.
Fur mich gibt es nur eine gute kuche die den Preis wert ist – und eine minderwertige Kuche die den geforderten Preis nicht wert ist. Egal ob es ein gourmetrestaurang ist och die Gaststätte mit Metzgerei.
Moin, moin Herr Dollase, hier sind wir bei einem Thema, das nicht nur die Gourmetküche sondern auch einen großen Teil der gehobenen Gastronomie betrifft. Es ist kein Geheimniss, das mittlerweile der Gastronom seine Kalkulation anders aufschlüsselt um gesund bzw erfolgreich zu arbeiten. Die Kosten für Personal, Ware, Betriebskosten etc werden mittlerweile immer öfters auf den benötigten pro Kopf Umsatz des Gastes umgelegt.
Dabei ist es eher uninteressant, ob er durch ein Menu mit Weinbegleitung oder mehrere a la carte Gerichte und 2 Flaschen Wasser zustande kommt. Unterm Strich gibt der Gast dann für seinen Restaurantbesuch einen Betrag von xy € aus. Ich kenne Betriebe, bei denen sich die Tageseinnahmen über einen ganzen Monat um maximal 20 € plus/minus differieren. Das setzt natürlich auch vor allem eine gleichbleibende Auslastung des Restaurants voraus. Wenn man unsere deutschen Spitzen-Restaurants in einen internationalen Vergleich setzten würde, wären viele ungemein preiswert für die Leistung, die sie erbringen. Die Preise sind also eher moderat und realistisch kalkuliert als überzogen teuer.
Hallo Herr Dollase, manchmal verstehe ich Ihre Probleme einfach nicht-niemand wird gezwungen, Dinge nicht zu essen, die er/sie nicht möchte.Bestellen Sie einfach schon bei der Reservierung Apero/snacks/amuse etc ab, das ist kein Problem und leicht zu bewältigen. Einen wichtigen Punkt haben Sie in Ihren Ausführungen komplett vergessen- der Weinkonsum in breiten Teilen der gehobenen Gastro stagniert bzw geht zurück. Das heisst, die Nachfrage nach alternativen Getränkebegleitungen ist da , gleichzeitig wird es immer schwieriger, Hochküche über die Getränkepreise quer zu subventionieren. Auch das hat Eindfluss auf die Preisgestaltung.
Natürlich kann man die „Snacks“ abbestellen, nur: bezahlen muss man sie ja trotzdem, das ist das Problem. Wenn Sie beispielsweise ein Auto kaufen und da sind noch 4 komplette Sätze Reifen dabei, die Sie nicht brauchen und demenstprechend nicht nehmen wollen, der Händler dann aber mit dem Preis nicht runtergeht, würden Sie das ja auch kaum akzeptieren.