Inspiration aus Malle

Andreu Genestra: Mediterranean. Montagud Editores, Barcelona 2022. 256 S., geb., Hardcover, Großformat, ca. 55 Euro (zweisprachig, spanisch-englisch) Fotos: Mikel Ponce

Der Verlag Montagud Editores, dem auch die berühmte Libreria Gastronomica in Barcelona gehört, hat nach wie vor ein gutes Händchen für gute Köche und gute Themen. Der 39-jährige Andreu Genestra vom gleichnamigen Restaurant auf Mallorca hat zwar nur einen Michelin-Stern, ist für den Verlag aber zu Recht interessant genug, um ihm und seiner Arbeit ein großes Buch zu widmen. Die Titelwahl „Mediterranean“ deutet an, was die Gründe sind: es geht hier explizit um das, was sein Ex-Chef Ferran Adrià auf dem Rückcover schreibt, nämlich die besonders glückliche Verbindung von „Produkt, Terroir, Geschmack und Technik“. Und weil das genau so klingt, wie die deutsche Küche sich eigentlich entwickeln müsste, ist der Blick auf dieses Buch besonders interessant.

 

Das Buch

Man hat sich bei diesem Buch nicht an strenge Regeln in der Abfolge gehalten sondern arbeitet ein wenig diskursiv – also im Grunde so, wie der Mensch in der Regel denkt. Es geht irgendwie los, dann kommt ein anderes Thema in den Weg, dann geht man hierhin und dorthin und wieder zurück zu einem Punkt, an dem man schon einmal war. Wenn man so etwas gut macht, wirkt das locker und unterhaltsam und nicht so starr wie Rezept links, Foto rechts. Insofern wird hier erst einmal darüber nachgedacht, was die Essenz des Mediterranen ist, das sich ja nicht – wie oft als Klischee in Deutschland verbreitet – nur irgendwo zwischen Basilikum, Olivenöl und Ratatouille abspielt.

Der erste Kontakt mit den Leuten, die mit Genestra zusammenarbeiten, ist der mit der Töpferin Aitziber Esteran, deren Arbeiten oft auf eine merkwürdige Art unfertig wirken, im Zusammenhang mit der Küche aber eine ganz besondere, sehr spezifische Ausstrahlung entfalten. Wir erinnern uns, dass auch Adrià jede Saison immer wieder mit neuen Tellern eröffnete. Es folgen einige Basiszubereitungen und schon geht es an die Tradition, zum Beispiel mit der Coca de Pimientos, einer Art mallorquinischen Pizzavariante. Dass Genestra es mit der Tradition ernst meint, zeigt gleich das zweite Rezept, ein geschmortes Reisgericht, bei dem u.a. die Innereien eines Fasans, einen Stubenkükens und eines Hasen verarbeitet werden. Solche Arten von rustikalen Rezepten werden hier nicht irgendwie verkünstelt, sondern eher optimiert, also immer in Beibehaltung des grundsätzlichen Geschmacksbildes. Es folgen Snacks, dann plötzlich die Herstellung eines hauseigenen Wermuts. Einer kurzen Laudatio auf seinen ehemaligen Chef und sein Vorbild Jean-Louis Neichel, folgt dann das, was die Arbeit im Restaurant ausmacht – immer wieder von Details angereichert. Dieser Mix aus atmosphärischen Bildern, Freunden und Mitarbeitern, einigen Step-by-Step-Bildern oder etwa dem Bericht von der Langustenpresse bleibt erhalten.

Bei den Rezepten geht es bunt zu, um nicht zu sagen: sehr viel bunter und weitgefächerter als das üblicherweise der Fall ist. Da gibt es einen Salat von mallorquinischen Suppen, gereiftes Fleisch mit Melone, eine spektakulär aussehende Tomatenblume mit Wachtel und Sobrasada, Anchovis und Hase mit ihren „Pâtès“, See-Anemone mit Gurke und Seewasser, eine kryptisch betitelte Kompostion namens „Reis vom Land“ von einem speziellen „Weizenrisotto“ ausgehend, Linsen „Soccarat“ mit Langustine und Passionsfrüchten und eben die Languste aus ein Presse, die einer klassischen Entenpresse ziemlich ähnlich sieht. Die Taube wird gefüllt und mit geröstetem Pfirsich kombiniert, es gibt einen mallorquinischen Beef-Kebab, eigene Versionen von Crêpe Suzette oder dem Lièvre à la Royal oder auch ein Dessert wie „Kürbis mit Pesto“, das komplett anders angegangen wird, als das üblich ist. Man sucht bei Genestra nicht unbedingt nach Finesse (obwohl die Rezepturen oft aufwändig und differenziert sind und einen großen Kanon an Kochtechniken enthalten). Man freu sich eher auf die immer wieder neuen Ideen, die zu allem Überfluß eben auch noch oft originell aussehen.

Der Kern aber ist die Art und Weise, wie dieser Koch mit seiner Region und den Traditionen umgeht, wie frei er sich gleichzeitig der Tradition wie moderner Ideen bedient und aus diesen Zutaten eine Küche schmiedet, die sofort wieder daran denken lässt, wie man bei uns mit den Traditionen umgeht oder auch nicht, wie konventionell das oft immer noch ist und wie riesig groß die Möglichkeiten in einem Kräftefeld sind, wie Genestra es einsetzt. Das wirkt viel freier, schafft viel mehr Raum und lässt all das, was bei uns so schrecklich in Richtung Spitzenküchenmainstream geht, ganz, ganz alt aussehen.

 

Fazit

Wenn man es so versteht, ist dieses Buch eine ganz große Inspiration. Hier wird weder in Richtung Nova Regio – Küche noch in Richtung der kochenden Internationale geschielt, sondern von unten nach oben gedacht: von den Möglichkeiten her, die Andreu Genestra so offen sieht, dass sich eine Unmenge an Inspirationen ergibt – ohne einen Deckel von vorauseilendem kulinarischen Gehorsam.

Das Buch bekommt 2 grüne Sterne und ist dringend zur Lektüre unter dem genannten Aspekt empfohlen.

 

6 Gedanken zu „Inspiration aus Malle“

  1. Liebe Freunde, es ist richtig, dass man in Spanien das Gefühl haben kann, es würde nicht so gut schmecken wie etwa in der französischen, deutschen, österreichischen oder Schweizer Spitzenküche. Ich weiß auch, was Sie meinen, wenn Sie einmal zu wenig und dann wieder zuviel Würze bemerkt haben. Diese Küche ist tatsächlich oft anders aufgebaut und hat deutlich andere Schwerpunkte und Geschmacksbilder als das bei uns der Fall ist. Andererseits sind zum Beispiel spanische Spitzenköche oft sehr irritiert, wenn sie unsere Art des Geschmacks erleben….Ich persönlich habe keinerlei Probleme damit, die Register zu wechseln und anderen Schwerpunkten zu folgen. Deutsche Gäste etwa haben ja oft schon mit den typischen Garnelensaucen aus sämtlichen Innereien von Krustentieren Probleme. Für die Spanier gehört das fast immer dazu.

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    • Da stimme ich Ihnen zu. Nur wenns ungenießbar ist, muss die Crew nochmal ran. In Spitzenrestaurants ist das auch kein Thema, ein Essen nochmals besser zuzubereiten. Nur in Alltagsrestaurants gibt es Diskussionen. Ich empfehle diese Restaurant immer, wenn jemand auf Mallorca sein solle.

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  2. Dem Kommentar von WI KO kann ich so nicht zustimmen, wir fanden vor ein paar Jahren seine Gerichte durchaus schmackhaft, wenn auch ein Gang wirklich einmal ungesalzen und einmal komplett versalzen war( zwei Personen).
    In Erinnerung blieb jedoch nicht das Essen, sondern die grandiose Weinbegleitung mit ausschließlich spanischen Weißweinen. Wirklich phänomenal.

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    • Ob etwas zu viel oder zu wenig gesalzen ist, ist Einstellung- und Gewohnheitssache. In der Spitzengastronomie wird in der Regel –zu recht– mit Salz sparsam umgegangen. Wenn aber dieselben Gäste in einem Menü sowohl zu viel als auch zu wenig Salz registrieren, dann legt das für mich den Verdacht nahe, daß das nicht an den Rezepten liegt, sondern an Schwankungen (Ungenauigkeiten) bei der Zubereitung, also an Fehlern des Küchenteams, für die natürlich letztlich auch der Chef verantwortlich.

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    • Das ist sehr schön, wenn Ihr das so erlebt haben. Für mich war das das erste mal in Sternegastronomie überhaupt, und ich habe wirklich Erfahrung in verschiedenen Länder, dass ich überhaupt kein Gang erlebt hatte, der lecker war. Vielleicht hatten wir nur Pech, vielleicht aber, wie Herr Schmitt geschrieben hat, lag es an den Fehlern des Küchenteams. Das werden wir nie erfahren, wiederholen werden wir die Erfahrung wohl auch nicht.

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  3. Leider, leider, leider ist die Küche von Andreu Ginestra sehr photogen, aber überhaupt nicht lecker. Ich wollte sehr sein Restaurant auf Mallorca lieben, nun, wie bereits gesagt, waren alle Gerichte nicht schmackhaft, obwohl diese sehr gut ausgesehen haben. Alles war entweder über- oder nicht genug gewürzt und fade. In diesem Zusammenhang bin ich sehr gespannt was rauskommt, wenn man seine Rezepte nachkocht.

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