Martin Klein/Ikarus Team (Hrsg.): Die Weltköche zu Gast im Ikarus. Außergewöhnliche Rezepte und wegweisende Chefs im Porträt. Band 9. Pantaura/Benevento Publishing, Salzburg und München 2023. 368 S., geb., Hardcover mit Prägung, 69.95 Euro
Nein, man sollte nicht davon reden, dass schon wieder ein Band aus dem Ikarus erschienen ist, so, wie das schon viele Jahre geht. Man kann sich ganz im Gegenteil mehr und mehr wundern, mit welcher Konstanz das Konzept durchgehalten wird und dass man es schafft – gerade in den letzten 9 Jahren mit diesem runderneuerten Buchformat – Jahr für Jahr ein so aufwändiges und gutes Buch herauszubringen. Die Landschaft für Kochbücher in Print-Format ist mittlerweile noch unschöner geworden. Viele hochinteressante Köche haben noch nie ein Buch veröffentlichen können und das, obwohl sie teilweise das gesamte Material druckfähig vorliegen haben. In der Folge bleibt nur das Internet mit seinen Bildern, unsortiert, unbewertet, nicht eingeordnet und damit weitgehend ohne die vielen positiven Folgen, die veröffentlichtes Wissen in Buchform haben kann. Viele Verlage haben auch offensichtlich nicht mehr die Perspektive, sich immer wieder auch einmal ein potentielles Monument der Buchkunst zu leisten, sondern veröffentlichen lieber das, was noch verkauft werden kann, notfalls mit zusammengewürfelten Inhalten, ohne Spaß, ohne Zufriedenheit über die verlegerische Leistung, man könnte auch Toilettenpapier verkaufen.
Und dann die wunderbare Souveränität und Großzügigkeit der Ikarus- Jahresbände, für die man – darauf muss ich immer wieder hinweisen – rund ums Jahr zügig arbeiten muss. Natürlich haben die Bände inhaltlich ihre Schwankungen. Ich habe das zu Corona-Zeiten gemerkt und kritisiert. Die Auswahl der Köche ist immer ein Knackpunkt und diskutierfähig, nicht alles eignet sich, nicht alle Köche wollen. Und trotzdem kann man das Programm natürlich – sagen wir: mehr oder auch weniger kreativ anschärfen, mehr in Richtung Mainstream oder mehr in Richtung Avantgarde denken. Um es vorwegzunehmen: in diesem Jahr steckt wieder allerlei Interessantes im Buch.
Das Buch
Das Format der Ikarus-Bücher ist einfach üppig, sinnlich und schön. Es ist für jeden beteiligten Koch ein strammes Feature, und weil dies so ist, ist es auch eine Stellungnahme gegenüber der Wertigkeit der Köche allgemein. Hier sind sie internationale Stars, die durch die Beteiligung am Ikarus-Projekt spätestens in dieser Buchform in die Hände der wichtigsten Meinungsmacher und des passenden Publikums kommen.
Sie werden auf jeweils rund 30 Seiten (mal mehr, mal etwas weniger) vorgestellt. Dabei folgt man einem klaren, nie abgenutzt wirkenden Schema. Den Beginn macht ein Porträt des Kochs. Es folgt die Vorstellung des Kochs, des Restaurants, des Konzeptes und/oder der Ideen. Abgeschlossen wird dieser Part mit einem Statement des Kochs und – in diesem Jahr – einem ganzseitigen Bild der Hände (ich sagte es ja: man tut auch etwas für die Bilder). Dann geht es an den Teil „Zu Gast im Ikarus“. Auf der ersten Seite gibt es jeweils das „Motto des Tages“ („Jedes Gericht hat eine Geschichte zu erzählen“/die Beispiele sind bei Jon Bowring vom „Dinner by Heston Blumenthal“ in London entnommen), die „Herausforderung des Monats“ („Das Hühnerleberparfait muss in seiner Hülle aus Mandarinengelee aussehen wie eine absolut echte Mandarine, nicht zu matt und nicht zu glänzend“) und das „Geschmackserlebnis des Monats“ („der Rohkaffee verleiht der grünen Sauce eine unvergleichliche Geschmackstiefe“). Es folgen Bilder der gemeinsamen Arbeit, das Menü und dann einzelne Gerichte.
Das Programm für Band 9 ist wieder deutlich interessanter als im letzten Jahr. Am Start waren: Arjan Speelman vom „Ciel Bleu“ in Amsterdam, Grégoire Berger vom „Ossiano“ in Dubai („Gebrannter Lauch, Herz & Messermuschel, Yuzu, Brioche“), natürlich das Ikarus-Team von Martin Klein (mit sehr filigranen und leichten Kompositionen wie etwa ein „Tafelspitz mit Wurzelgemüse, Spinat und Apfelkren“, der nun wirklich nicht so aussieht, wie man glauben könnte), Peter Hagen-Wiest vom „Ammolite“ in Rust, Johannes Nuding und Pierre Gagnaire vom „Restaurant Pierre Gagnaire“ in Paris („Muscheln, Alge, Beurre blanc, Weisskohl, Gänseleber, Kapuzinerkresse“), Jon Bowring vom „Dinner by Heston Blumenthal“ in London (der ein Menü aus bearbeiteten historischen Rezepten zwischen 1440 und 1830 servierte), Yusuke Takada vom „La Cime“ in Osaka („Kagoshima Wagyu, Spinat, Aal, Sansho“), Christophe Bacquié vom gleichnamigen Restaurant in Le Castellet („Taube ‚Excellence Miéral‘, Gewürzsalztteig, Chutney, Pomme soufflé“), Cyxril Molard vom „Ma LÖangue Sourit“ in Moutfort/Luxemburg („Kohl-Millefeuille, Zander, Haselnuss, Kürbis, Pinienkerne“), Erlantz Gorostiza vom „M.B. The Ritz Carlton“ auf Teneriffa („Quisquilla-Garnele, Orange, Olivenöl, falsche Olive“), Kai Ho vom „Tairroir“ in Taipei City/Taiwan („Bresse-Taube, Roter Hefereis, Ingwer, Buchweizen, Morchel“) und Eric Kragh vom „Jordnaer“ in Kopenhagen („Lederholz-Honig, Milch, Lavendel“).
Fazit
In Band 9 gibt es ein kurzweiliges Programm mit mehr Evolution als Revolution, das aber auf einem hohen, fast immer sehr interessanten Niveau. Was die Rezepte angeht, sollte man – im positiven Sinne – immer daran denken, dass sie einmal durch die Mühle des Ikarus-Teams gegangen sind, womit ich nicht meine, dass sie irgendwie abgeschliffen sind, sondern dass sie so gestaltet und präzisiert worden sind, dass sie auch realisierbar werden. In dem Verfahren herrscht eine eingespielte Routine von ausgesprochenen Spezialisten für die Reproduktion. Das macht den Inhalt sehr nützlich, er ist eine sichere Inspiration oder ein sicherer Schlüssel zur Orientierung. Immer zu empfehlen, dieses Jahr noch mehr als im letzten.
Bilder im Buch: Helge Kirchberger Photography