Martin Klein/Ikarus-Team (Hrsg.): Die Weltköche zu Gast im Ikarus. Außergewöhnliche Rezepte und wegweisende Chefs im Porträt. Pantauro-Verlag, Salzburg 2020. 344 S., geb., Ganzleinen, Großformat, 59,95 Euro
Auch die Leute vom „Ikarus“ in Salzburg hatten natürlich schwer mit Corona zu kämpfen, weil sich ihr international aufgestelltes System von Gastköchen nicht mehr vollständig realisieren ließ. Aus der Not hat man aber eine Tugend gemacht, die dazu geführt, hat dass der jetzt erscheinende Band 7 der Reihe „Die Weltköche zu Gast im Ikarus“ keineswegs eine Notlösung, sondern eher besonders gut ist. Wie üblich ist das Buch mit viel Aufwand hergestellt, und das in vielerlei Hinsicht. Man will hier Weltklasse sein und arbeitet bei den jährlichen Sammelbänden kompromisslos und im Endeffekt dann sogar zu einem sehr moderaten Preis. Die Freunde der Spitzenküche (und vor allem die der kreativen Spitzenküche) werden diese Bände erwarten. Zusammen mit Zeitschriften wie Port Culinaire, Apicius, YAM, Thuries etc. bekommt man einen guten Überblick über nationale und internationale Trends – was für viele Köche und Gourmets ein absolut erstrebenswerter Zustand ist.
Das Buch
Mit großzügigem Platz, großzügiger Bebilderung und Spezialpapieren fällt der Band wieder ausgesprochen repräsentativ aus und bietet den Protagonisten eine prächtige Plattform. Im Buch spielt ja schließlich auch keine Rolle, wie identisch die Reproduktionen im „Ikarus“ sind, oder ob sie „Unschärfen“ haben. Wie immer gibt es eine Reihe von hochinteressanten, bei uns weitgehend unbekannten Namen wie etwa Giorgianna Hilidiaki und Nikos Roussos vom „Funky Gourmet“ in Athen, Chayawee Sutcharitchan vom „Sra Bua by Kiin Kiin“ in Bangkok, Ciccio Sultano vom „Duomo“ in Ragusa/Sizilien oder Ivan Ralston vom „Tuju“ in Sao Paulo. Dazu kommen Marco Müller vom „Rutz“ in Berlin, Paul Stradner und Jean-Georges Klein von der „Villa René Lalique“ in Wingen-Sur-Moder in Frankreich und der traditionelle Auftritt des „Ikarus“-Teams um Martin Klein. „Aufgefüllt“ hat man in diesem Jahr mit dreimal „Best of Portugal“ (Benoît Sinthon, Hans Neuner, Dieter Koschina), dreimal „Best of Österreich“ (Juan Amador, Alain Weissgerber, Konstantin Filippou) und den „Top 12 Hangar-7 Gastköchen“ (z.B. Nik Bril, Massimo Bottura, Harald Wohlfahrt, Sergio Herman, Christian Bau, Daniel Humm und – ja, tatsächlich – Eckart Witzigmann mit einem Rezept. Während die „normalen“ Gastköche das volle Feature bekommen, sind die Texte der „zusammengefassten“ Köche naturgemäß kürzer.
Ein Blick auf den Inhalt zeigt eher kleine Menügänge, und damit eine Optik, wie sie sich in den letzten Jahren weit verbreitet hat. Grundsätzlich andere Formen gibt es quasi nicht, so dass bisweilen ein Hauch von Neo-Konservativismus über dem Ganzen liegt. Man ist modern, aber nicht radikal, man arbeitet mit Inspirationen aus vielen Richtungen, setzt aber keine wirklich revolutionären Akzente. Insofern kann sich dann auch Eckart Witzigmann ohne weiteres in die Reihen einordnen. Von ihm gibt es ein absolut zeitgenössisch aussehendes Gericht namens „Beef-Tatar, Bete, Imperial-Kaviar“, das freilich mit aufwändigen Details glänzt, wie sie eine Reihe von Rezepten aus Witzigmanns Post-Restaurant-Zeit haben. Ein Consommé von Rote Bete etwa hat (inklusive der Teile zum Klären) 20 Bestandteile. Es gibt ein Störmousse und eine ausgefeilte Versammlung von Dekorationen, die ja in modernen Rezepten oft ein wenig zwischen sensorisch sinnvoll und schön, aber überflüssig pendeln. Ein ganz klein wenig stellt man sich allerdings die Frage, ob da vielleicht Martin Klein ein paar handwerkliche Tipps gegeben hat, und der Meister vor allem konzipiert und abgeschmeckt hat. Wie auch immer: man freut sich, so etwas wieder einmal zu sehen.
Die Griechen präsentieren z.B. anspruchsvoll erarbeitete „Schnecken, erdige Aromen, weisse Alba-Trüffel“ und mit dem „Schweigen der Lämmer“ das wohl speziellste Rezept des Bandes. Es handelt sich um eine Art Lammhirn-Variation mit pochiertem Lammhirn, glasiertem Lammhirn und einer Lammhirn-Buttermilch-Sauce. Ciccio Sultano aus Sizilien mag zwar nicht unbedingt in Richtung Avantgarde gehen, gefällt aber mit einem äußert kompakten, klaren und selbstbewußt inszenierten Stil, bei dem sich einmal wieder zeigt, wie scheinbar mühelos italienische Köche ihre kulinarischen Traditionen aufarbeiten. Ein anderer Koch, der seine Umgebung und die Traditionen intensiv reflektiert, ist natürlich unser neuer Drei Sterne-Koch Marco Müller. Seine Arbeiten gehen allerdings deutlich mehr in Richtung Avantgarde. Es gab von ihm z.B. „Pfifferlinge, Hühnerhaut, Kirsche“, die extrem minimalistische Ochsenherztomate mit Garum und grünem Wacholder, das „Salzwiesenlamm mit Dashi und Junglauch“ oder das „Lärchenholz mit Himbeere und Gurke“. Der Beitrag von Martin Klein und dem Ikarus-Team zeigt die Tendenz zu einem der in Zukunft wohl wichtigsten Zweige der absoluten Spitzenküche, einer State-of-the-Art-Küche mit vielen modernen Elementen, aber einem exzellenten, süffigen Geschmack, der die Sprödigkeit vieler Avantgarde-Küchen deutlich meidet (bestes Beispiel für dieses Süffigkeit ist da vielleicht die Arbeit von Jan Hartwig). Last not least glänzen dann auch noch Konstatin Filippou mit seiner „Wiener Schnecke mit Herzmuscheln, Sellerie und Roggen“, Alain Weissgerber mit einer minimalistischen Kombination von Flusskrebsen und Tomaten und ein kaum weniger konzentrierter Juan Amador mit „Taube, Mango, Kokos, Purple Curry“.
Fazit
Man hat angesichts der Krise ein prächtiges Buch zusammenbekommen, das eine Menge an hochinteressantem Material aus der Spitzenküche präsentiert. Und dennoch fragt man sich natürlich, ob es Tendenzen gibt, die vielleicht nicht so recht erfasst werden, weil sie nicht in das Programm passen, oder man fragt sich, ob es ein Programm gibt, das im Laufe der Jahre weniger artistisch (oder eben avantgardistisch) geworden ist. Mir fällt zum Beispiel auf, dass der Blick nach Frankreich ein eher zurückhaltender ist, obwohl es dort mittlerweile eine große Menge von interessanten – und oft jungen – Köchen gibt. Wie dem auch sei: das soll die Qualität des Buches nicht schmälern. Weihnachten kommt, so etwas gehört auf den Gabentisch.
Das Buch bekommt 3 grüne BBB
Fotos © Pantauro-Verlag
In diesem Zusammenhang ist noch interessant, welche Gastköche geplant waren, aber aufgrund der Verhältnisse nicht kommen konnten:
April 2020 – Onno Kokmeijer (Ciel Bleu, Amsterdam)
Mai 2020 – Tim Boury (Boury, Roeselare/Belgien)
Juni 2020 – James Gaag (La Colombe, Cape Town)
September 2020 – Christophe Bacquié (Restaurant Christophe Bacquié, Le Castellet)
Für ihn ist Jean-Georges Klein mit seinem Partner und Nachfolger Paul Stradner eingesprungen.
Oktober 2020 – Daniel Berlin (Daniel Berlin Krog, Schweden)
Erst für den Band des nächsten Jahres:
Im November konnte Andreas Caminada (Igniv by Andreas Caminada)noch an zwei Tagen sein Menü vorstellen,
und im Dezember ist Ángel León (Aponiente, Cadiz) ausgefallen.