Gourmets aus Deutschland und aller Welt trauern um Helmut Thieltges, Drei-Sterne-Koch vom „Waldhotel Sonnora“ in Dreis in der Nähe von Trier. Mit ihm verlieren wir einen der wichtigsten klassisch orientierten Köche, die es jemals in Deutschland gab und einen wunderbaren Menschen, der sich nicht nur kulinarisch gegen alle Trends und Moden einen glasklaren Blick auf dauerhafte Qualitäten bewahrt hatte, sondern auch einen unvergleichlich eigenwilligen und oft sehr amüsanten Charakter.
Helmut Thieltges gehörte zu den mittlerweile ganz wenigen Köchen, die in der Lage sind, ein perfekt abgestimmtes, klassisches Geschmacksbild zu produzieren. Eine solche Qualität kann man nicht lernen, man muss sie erleben, durchleben, immer wieder reflektieren und vor allem minutiös realisieren. Weil der Meister seine eigenen Leistungen und Anstrengungen gerne mit saloppen Worten und in der Sprachfärbung seiner Heimat herunterspielte, ist immer wieder unterschätzt worden, wie hartnäckig er an der Perfektion seiner Gerichte gearbeitet hat. Seine berühmten Kartoffelrösti mit Crème fraîche, Rindertatar und Kaviar durchliefen selbst dann noch immer wieder neue Varianten, als das Gericht schon als eine Klassiker des Hauses galt. Zu solchen Änderungen sagte er dann: „Oh, nichts Besonderes, man muss immer mal wieder etwas anderes damit machen. Sonst wird es langweilig“. Tatsächlich war er in seiner Reflektion hellwach und suchte gerade bei diesem Gericht eine sensorische Perfektion, die diese nicht leicht zu beherrschenden Elemente in eine unnachahmliche Balance brachten. Das Klassische schlechthin realisierte Thieltges dabei in zweierlei Hinsicht. Einmal als eine Art Transport von Geschmacksbildern durch die Zeiten, wie etwa bei der „Crêpinette von der Wachtel und gebratener Gänsestopfleber“. Dann aber immer wieder als eine Art sensible Purifizierung und Optimierung, bei der ausgezeichnete Produkte und ihre meist minimalistisch-feine Behandlung im Mittelpunkt standen. Bei ihm hatte man immer wieder das Gefühl, wirklich auf die Produkte zu treffen. Seine unglaubliche „Gewürzente“ etwa, war mit ihrer schieren Finesse anderen Zubereitungen haushoch überlegen und konnte buchstäblich jeden Gast regelrecht entzücken.
Und Helmut Thieltges hatte seine Eigenarten. TV-Auftritte und überhaupt Aktivitäten außerhalb seines Restaurants waren seine Sache nicht. Noch im letzten Jahr wollte ich ihn dazu überreden, zu einer Ehrung als „Kulinarische Institution“ zur Gala der „Lieblinge des Jahres“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Schloss Bensberg zu kommen und dort eines seiner wundervollen Gerichte zu kochen. Es war nicht möglich, ihn dazu zu bewegen, weil es für ihn Thieltges-Küche immer nur im „Sonnora“ gab. Er hatte eine gewisse Abneigung dagegen, seine Rezepte aufzuschreiben – was letztlich dazu geführt hat, dass es kein Buch und damit keine veröffentlichte Rezeptsammlung von ihm gibt. Als ich ihn dann einmal dazu bewegt hatte, wenigstens einmal drei Gänge für das Weihnachtsmenü der FAS zu machen, war dies eine wirklich schwierige Geburt. Da war er bockig, aber dabei ohne auch nur einen Hauch von Starallüren.
Thieltges hat seine Sache gemacht, hat im elterlichen Haus 1978 begonnen, ist zu höchsten Ehren gekommen (Drei Michelin-Sterne seit 1999) und zu wirtschaftlichen Erfolg „nur“ mit der Qualität seiner Arbeit und ganz ohne jeden inszenierten Pomp. Er hatte einfach erkannt, dass er ganz nah bei sich am besten war und alles andere ihn nur ablenkte.
Und dann gab es da die unvergesslichen Vier-Augen-Gespräche, immer sehr spät nach vielen Gängen und offensichtlich etwas, das er – mit beträchtlicher Kondition – sehr geschätzt hat. Man kam vom Hölzchen aufs Stöckchen, und ich habe von ihm eine Art komplexe Philosophie des Kulinarischen erfahren, die er niemals so genannt hätte und die niemals mit hochgestochenen Worten daherkam. Es war eine Mischung aus sehr gesundem, im besten Sinne sehr menschlichem Menschenverstand und einer immer wieder überraschend informierten, präzisen Sicht auf die kulinarische Entwicklung. Dabei war er ohne jede Aggression gegen Neues, schon eher wie ein Weiser, der ein wenig abgeschieden dort sitzt und genau die richtige Distanz hat, die Dinge gut zu übersehen. Und er hatte reichlich Anekdoten zu erzählen – immer in seiner leicht regional eingefärbten Sprache. Wie etwa die von hohen geistlichen Würdenträgern, die dem Weltlichen manchmal etwas näher standen und in die Abgeschiedenheit des „Waldhotels Sonnora“ auch schon mal im Ferrari anreisten.
Die Engel werden prächtiges Essen bekommen. Er wird sie vermutlich mindestens so mögen wie seine Gäste, und da soll es ihnen an nichts fehlen.
Sehr geehrter Herr Thieltges!
Ich durfte bei Ihnen ein Jahr in der Küche arbeiten!
Die Mich beruflich und menschlich sehr geprägt haben. Es war eine sehr wichtige Zeit im Sonnora….
Sie können und Ihre Familie sehr Stolz sein für das erreichte !!!
Wir werden Sie sehr vermissen…
Im respektvollen Andenken
Ihr
Hans Horberth
Super geschrieben, war selber zwei Jahre im Sonnora und er war auch menschlich immer ein ganz großer.
Eine wirklich großartige Hommage für einen großartigen Menschen und Koch!
Danke für diesen sensiblen, toll geschriebenen Bericht, Herr Dollase!
Bei meinem letzten Besuch im Sonnora habe ich Herrn Thieltges gefragt, was er denn von der
„ganz modernen“ Küche im Vergleich zur klassischen halte.
Seine Antwort war:“ Die sollen doch zuerst mal Noten lernen, bevor sie Klavier spielen….“.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Besten gehen immer zu früh…