Der Professor hat wieder zugeschlagen. Die Rolle von Heiko Antoniewicz in der deutschen Gourmandise wird immer klarer. Nehmen wir an, es gäbe eine „Deutsche Hochschule für Kochkunst“ (den Entwurf dazu finden Sie ebenfalls hier bei www.eat-drink-think.de). Dann wäre er Direktor der Abteilung für Kochtechnik und außerdem Leiter des „International Institute for Advanced Culinary Studies“. Wie kein anderer Koch in Deutschland hat sich Antoniewicz nicht nur auf die Entwicklung von Kochtechniken spezialisiert, sondern liefert auch gleich die Rezept-Beispiele dazu. Außerdem verraten diese Beispiele nicht nur, dass er eine Ausbildung in der Spitzenküche genossen hat, sondern sie haben längst eine eigene, unverkennbare Stilistik erreicht, die auf seinen großen Erfahrungen mit der Entwicklung neuer Konzepte und Techniken beruht. Dabei ist er mit seinen Veröffentlichungen sehr konsequent: Seine Zielgruppe sind kreative Köche, die ihrerseits großen Einfluss auf die Verbreitung neuer Ideen im Lande haben. Er ist quasi der kulinarische Influencer der kulinarischen Influencer. Das ist schon was.
Noch etwas zu der Verlagssituation. Ich hatte bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die deutschen Verlage bis auf wenige Ausnahmen kaum noch jemals Bücher von Spitzenköchen veröffentlichen. Um so besser ist es, dass die Leute von Port Culinaire mit diesem Buch die Sache wieder selber in die Hand genommen haben. Man merkt es dem Buch an, dass hier alles aus einer Hand kommt und keine Meetings der Art stattgefunden haben, bei denen am Schluss jeder Elefant zu einer Mücke schrumpft. Das Buch strahlt in seinem Inhalt und seiner Gestaltung einfach Freiheit und Freude an der Sache aus.
Das Buch
Beim Thema „Asche, Glut und Feuer“ kommen wie sonst bei kaum einem Thema Archaisches und Avantgarde zusammen. Es ist in den letzten Jahren klar geworden, dass man die üblichen Röstnoten der verfeinerten Küche deutlich in Richtung sehr kräftiger Röstnoten, echter Feuerspuren an den Produkten und in Richtung Verzehr verbrannter bzw. zu Asche transformierter Produkte ausweiten kann. Es öffnet sich ein großes Feld – vorausgesetzt, man weiß, wie man die entsprechenden Techniken einsetzen kann.
Und so beginnt das Buch auch mit einer klaren Darstellung all dessen, was man technisch-wissenschaftlich-kochtechnisch zum Thema wissen muss – auch unter Beteiligung des Biologen Michael Podvinec. Da heißt es dann „Asche, Kohle – worum geht es da?“, „Was Holzkohle mit dem Lebensmittel macht“ oder „Das Spektrum der Asche: Temperaturen und Verfahren“. Der weitere Verlauf des Buches ist – bis auf eine kurze Vorstellung des Monolith-Grills – ausschließlich den 49 Rezepten gewidmet. Im Prinzip sind die Rezepte alle sehr originell, weil die Arbeit mit dieser Technik nach wie vor eher selten vorkommt. Die Titel der Rezepte – und nicht nur die Titel – leben von einer grundlegend kreativen Arbeit, nutzen also zusätzlich zu Asche und Co. auch ungewöhnliche Kombinationen und andere neue Techniken.
Es gibt z.B. „Calamares mit Senfblattasche, Klebreis und Birne“, oder „Oktopus, verbrannte Shiitake, Fenchel-Süßkartoffelsalat“. Zitat: „Verbrannte Shiitake: Den Monolith auf 160 °C erhitzen. Die Shiitakes bei 160 °C auf dem Grillrost verbrennen lassen. Bei 120 °C auf dem Deflektorstein austrocknen lassen. Die verbrannten Shiitakes mörsern und mit der geraspelten Kokosnuss vermischen.“ Manchmal ist der Zugriff heftig, manchmal eher dezent (aber wirkungsvoll), wie etwa bei dem eingelegten Hering mit wilder Meerrettich-Blätter-Asche und Palmlilienherzen“, und in der Regel geht es sensorisch mit klar getrennten Texturen, Temperaturen und Aromen ausgesprochen transparent zu. Wilde Feuerberge mit unkontrollierten Massen an Teer- und Röstnoten sind nicht die Sache dieses Konzeptes, es geht immer um einen kontrollierten, überlegten Einsatz, der kulinarisch Sinn macht – auch für Leser, für die solche Ideen erst einmal weit außerhalb ihrer Vorstellung sind. Besonders interessant sind natürlich die Fleischrezepte, weil hier Asche und Co. wie eine Verlängerung der Röstnoten beim Fleisch wirken und das Spektrum – ich muss da immer an einige Dinge bei Björn Frantzén denken – faszinierend erweitern können. Hier gibt es zum Beispiel Kalbsbries mit verbrannter Kaki und einem Salat von Knoblauchstangen und Spitzpaprika, „Rinderrippchen mit Walnussschalenasche und Walnusscreme“ oder eine Taube mit abgeflämmten Hagebutten und Steinpilzen.
Ein Wort noch zur Gestaltung. Das Buch ist schön (Gestaltung: Petra Gril), weil der meist dunkle Hintergrund ohne den Einsatz von Tellern etc. prächtig mit der Farbigkeit der Rezepte korrespondiert. Im Grunde möchte man solche Gerichte auch in einer solchen Form, mit einer angepassten, eigenen Ästhetik serviert bekommen. Manchmal denkt man an alte, gebrauchte Steine, dann an Vulkanasche, immer aber mit einer ästhetisierenden Distanz, die nie den Fehler macht, zu dick aufzutragen.
Und dann ist Fotograf und Autor Thomas Ruhl auch noch etwas Spezielles gelungen: Es könnte sein, das er eine Art Ikone geschaffen hat – ähnlich dem Bild von René Redzepi mit den Ameisen im Gesicht. Es gibt vorne im Buch die Bilder von Antoniewicz und seinem Mitstreiter Hurnungee, dunkel und mit Asche bedeckt. Das wird dann wohl öfter die Runde machen…
Fazit
Das Buch ist natürlich kein Discounter-Kochbuch für den täglichen Bedarf an möglichst einfachen Gerichten. Hier geht es um die Kochkunst und das, was sie in einem modernen Verständnis leisten kann. Dass Antoniewicz Avantgarde ist, bedeutet aber nicht den Ausschluss von Verwendbarkeit für jede Art von an Kreativität interessierten Köchen. Die klare, knappe Formulierung seiner Ideen ermöglicht eine vielfältige Nutzung – auch von Details, auch von Akkorden und Techniken.
Für die Beurteilung muss man ganz klar sehen, wieviel Neues hier präsentiert wird, und auf welchem Niveau es stattfindet. Ein sehr schönes, sehr gutes Buch von einem Meister seines Faches, der mit viel Augenmaß arbeitet.
Das Buch bekommt 3 grüne BBB
Fotos © Thomas Ruhl / Edition Port Culinaire