Gusto 2021/2022

Der Gusto-Restaurantführer ist jetzt auch in Buchform erschienen. Ob das angesichts der Online-Präsenz der Führer Sinn macht, muss man hier nicht diskutieren. Die erste Ausgabe im neuen Verlag Zabert Sandmann ist jedenfalls ein überraschend dickes Buch mit sehr viel Text geworden. Nur zur Erinnerung: Gusto ist derjenige Führer, bei dem man eine Art Mitgliedsbeitrag zahlen muss, um eine ausführliche Kritik/einen ausführlichen Bericht zu bekommen. Zahlt man nicht, wird man trotzdem erwähnt – allerdings kürzer und nur dann, wenn die Redaktion meint, dass das Restaurant wegen seiner Qualität in den Führer gehört. Das gilt dann auch für die zahlenden Adressen, die sich mit einer Zahlung nicht etwa grundsätzlich Einlass zum Führer verschaffen können. Überspitzt gesagt: Es soll also nicht möglich sein, dass irgendeine Abhol-Pizzeria einen großen Text bekommt. Der „Mitgliedsbeitrag“ beträgt zur zeit 329 Euro. Das klingt vielleicht viel, hält sich aber in Grenzen. Die Kosten eines Restaurantbesuchs zwecks Kritik o.ä. setzen sich eben aus den Kosten für Essen und Trinken, Hotel, Fahrtkosten und Honorar zusammen.

Mit rund 950 Seiten ist der Führer massiv gewachsen. Dazu zwei Anmerkungen. Als sich im Herbst 2019 der Zabert Sandmann Verlag vom Gault Millau trennte und statt dessen eine Zusammenarbeit mit dem Gusto-Führer ankündigte, hat das viel Aufmerksamkeit erregt. Es musste der Eindruck entstehen, als ob sich Gault Millau auf dem absteigenden, Gusto aber auf dem aufsteigenden Ast befindet. Wegen der wirren Politik beim Gault Millau, der nun zwar bei einem großen Verlag (Burda) untergekommen ist, aber immer noch irgendwie keine Linie findet, war dieser Schritt nachvollziehbar. Beim Gusto hatte sich Chef Markus Oberhäußer über Jahre bemüht, eine seriöse Arbeit abzuliefern, nach Optimierungen zu suchen und das Standing des Gusto gegenüber den anderen Führern zu verbessern. Vielleicht haben wegen der neuen Verlags-Situation besonders viele Restaurants auf die neue Entwicklung gesetzt, den Beitrag bezahlt und den Führer auf diese Weise anschwellen lassen. Ein Nebeneffekt ist dann natürlich, dass es viel Text auch da gibt, wo er nicht unbedingt nötig wäre. Da ist man in eine Zwickmühle geraten und kann nur hoffen, dass die Zahl der Restaurants mit gekauftem, langen Text nicht ins Unermessliche wächst. Für die Häuser mit langem Text bedeutet natürlich andererseits ein so umfangreiches Feedback (wie sie es möglicherweise noch nie bekommen haben) auch so etwas wie ein Coaching… Man wird sehen.

Ich möchte mich heute auf zwei Aspekte konzentrieren, und zwar die Kriterien anhand eines Beispiels und die neuen Rankings zu Beginn des Führers.

Gusto: Kriterien an zwei Beispielen
Für die Kategorien zehn Pfannen und zehn Pfannen mit Pfeil nach oben (die beiden höchsten) gelten zum Beispiel folgende Kriterien (meine Anmerkungen finden sich unterhalb der Kriterien):

– Perfektion in allen Bereichen, keine Qualitätsschwankungen
So etwa existiert nicht, zumindest nicht bei einem einzelnen Koch. In meinem Kopf als langjähriger Kritiker gibt es so etwas wie ein „virtuelles Menü“, das aus den besten Gerichten besteht, die ich probiert habe. Kein einzelner Koch wäre in der Lage, diese Qualitäten in einem Menü zusammenzufassen. Auch Köche, deren Menüs sehr, sehr gut sind, haben Qualitätsschwankungen zwischen den Gerichten. Man würde hier besser von internationaler Spitzenqualität o.ä. statt von Perfektion reden.

– eigener, unverwechselbarer Stil
Die große Schwäche vieler deutscher Köche. Nein, wenn dieses Kriterium gilt, müsste die Zahl der Köche mit 10 und mehr Pfannen deutlich geringer als 18 sein. Es nützt auch nichts, wenn man mit einer Art Hypersensibilität Stil ermittelt, wo er nicht wirklich evident, das heißt: ganz offensichtlich ist. Der bei uns weit verbreitete Mainstream, bei dem nun wirklich viele Gerichte unserer besten Köche kaum auseinanderzuhalten sind, müsste dann eigentlich zu Abwertungen führen.

– entweder virtuose Kreativität, gepaart mit höchstem handwerklich-technischem Niveau, oder eine bis ins letzte Detail perfektionistisch dargebotene, höchst aufwändige klassische Küche in zeitgemäßer Ausführung
Dieses und das nächste Kriterium sind Entweder-Oder-Kriterien, die den Weg zu einer sehr guten Entwicklung öffnen, nämlich der Gleichbewertung stilistisch unterschiedlicher Küchen. Mich stört dann eigentlich nur die mangelnde Konsequenz, die dieses Kriterium nur auf die übliche Form der Kreativität und die klassische Küche bezieht. Was ist mit Länderküchen, Regionalküche und einer Kreativität, die enorm ist, aber etwa in den handwerklichen Aspekten nicht wirklich fassbar ist, weil sie einem ausgeweiteten Handwerksbegriff folgt? Was ist mit der Gefahr, dass genau solche Küchen von Testern, die für sie keine Kriterien finden, mißdeutet wird? (Magnus Ek aus Stockholm hat mir einmal auf die Frage, warum er eigentlich keine drei Sterne hat geantwortet: „Da kommen Tester aus Deutschland oder England und essen unseren Hering. Sie haben aber keine Ahnung von Hering und wissen nicht, was wir da an Produkten haben und worauf es ankommt. Wir bekommen für so etwas keine Pluspunkte, weil es nicht verstanden wird.“- Bei der klassischen Küche verhindert zum Beispiel ein Begriff wie „höchst aufwändig“ eine weitere Ausweitung: ich bin mir nicht sicher, ob es nicht auch überragende Klassik mit sehr geringem Aufwand gibt – vorausgesetzt ein Koch weiß ganz genau, was er tut?

– entweder wirken Aromentiefe, Komplexität, Spannung und Ausgewogenheit auf den Tellern eindrucksvoll zusammen, oder man hat es mit ausgefeilt puristischen Kreationen zu tun, bei denen man im Grunde nichts mehr weglassen kann, aber auch absolut nichts hinzufügen möchte
Das zum vorigen Kriterium genannte wird hier etwas zurückgenommen bzw. ergänzt – was merkwürdig ist, weil das ein oder andere sich gegenseitig ausschließt. Immerhin öffnet dieses Kriterium den Weg zum Beispiel zu minimalistischen Nova Regio – Kompositionen ebenso wie zu einer ausgefeilt strukturalistischen Küche, also einer Küche, die unter den modernsten sensorischen Aspekten komponiert ist

– es kommen hier, im nationalen Vergleich, ausschließlich die allerbesten Produkte zum Einsatz, deren Charakter dann auf den Tellern optimal zur Geltung kommt.
Hier hat man eingeschränkt, um Mainstream-Küche möglich zu machen – salopp gesprochen. Der „Nationalvergleich“ bezieht sich auf das, was man bei uns meist findet, und das ist oft der verkrampfte Versuch, mit den gleichen Produkten zu arbeiten wie die Kollegen an Ort und Stelle in Frankreich, an Spaniens Küsten oder in der Nähe japanischer Fisch-Großmärkte. Das ist keine gute Idee, hier sollte man anziehen, um den lokalen, regionalen Produkten mehr Geltung zu verschaffen.

Gusto: die Rankings
Die Bewertungen im Gusto will ich im einzelnen nicht weiter kommentieren, weil es mir wichtiger erscheint, dass hier an der Szene wirklich gearbeitet wird und man sorgfältig über jedes Restaurant nachdenkt. Tendenziell gibt es natürlich auch hier eine latente Überbewertung, die allerdings nur sehr schwer aus der Welt zu schaffen ist. Der französische Gault Millau hat vor einigen Jahren auf die Bremse getreten und ist sehr kritisch mit den Bewertungen geworden. Das Ergebnis ist heute eine mittlere Katastrophe, weil es vielen Leuten national wie international einfach schwer fällt, ein 17-Punkte-Restaurant als absolutes Spitzenrestaurant anzusehen. Man hat den Schwung aus der Sache genommen, und das macht nicht wirklich Spaß…

Beim Gusto gibt es eine sehr schöne Sache, und zwar zwölf TOP-10-Rankings unter verschiedenen Aspekten. So etwas ist interessant, weil es die Punkte-Rankings sinnvoll spezifiziert. Hier eine Auswahl:

Top 10 Individuellste Handschrift (ich nenne aus Platzgründen nicht alle Namen)
Peter- Maria Schnurr (Falco, Leipzig) vor Christian Bau und Tim Raue. Ebenfalls vertreten: Marco Müller, Sebastian Frank, Felix Schneider

Top 10 Moderne und traditionelle Klassik
Claus-Peter Lumpp vor Heinz Winkler und Torsten Michel
(ich finde den „Klassik“-Begriff hier etwas weit gefasst)

Top 10 „State-of-the-Art”: Präzision, Perfektion und Design
Kevin Fehling vor Yoshizumi Nagaya und Sven Elverfeld

Top 10 Die spannendsten Neuzugänge
Alte Liebe /Augsburg) vor Kulmeck (Heringsdorf) und Bootshaus (Bingen)

Top 10 Soulfood
Genussmanufaktur Rügen vor Genuss-Shop Johannes King (Sylt) und Dorfwirt (Unterammergau)

Top 10 Gourmet Lunch
Facil (Berlin) vor Tim Raue (Berlin) und Alois (München)

Top 10 Nachhaltigkeit
Essigbrätlein (Nürnberg) vor 100/200 /Hamburg) und Horvath (Berlin)

Top 10 Preis-Genuss-Verhältnis
Haus Stemberg Anno 1864 (Velbert) vor Hannappel (Essen) und Johanna (Waldkirchen)

Top 10 Vegetarische Spitzenküche
Andreas Krolik (Lafleur, Frankfurt) vor Paul Ivic (München) und Mike Schiller (Koblenz)

Wie immer fehlt die Regionalküche und die Wirtshäuser etc. – evtl. aufzugliedern in traditionelle Häuser und solche mit fortgeschriebener Regionalküche.

 

5 Gedanken zu „Gusto 2021/2022“

  1. ja, es fehlen die wirtshäuser! können Sie spontan ( vermutlich ja, weil profi…) ein bayerisches wirtshaus nennen, in dem wirtshaus auf hochkücheniveau gekocht wird?

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