Auch die neue Ausgabe des Guide Michelin für Frankreich wird nichts daran ändern, dass die Bedeutung der französischen Köche und Restaurants für den Rest der Welt stark geschrumpft ist. Den neuen/alten Drei Sterne-Koch Marc Veyrat nennen alle Meldungen, aber was er macht, und welche Bedeutung er hat, weiß kaum noch jemand. Und wer – bitte schön – ist Christophe Bacquié vom Hotel du Castellet, ein Neo-Klassiker mit einem etwas an Alléno erinnernden Stil, nun ebenfalls im Besitz von drei Sternen? Wer Takao Takano, Masafumi Hamano oder Ken Kawasaki? Den zweiten Stern für Alpin-Koch Jean Sulpice wird man bei uns noch am ehesten verstehen, weil er der neue Chef einer Traditionsadresse, der „Auberge du Père Bise“ ist. Aber wer wiederum sind Masafumi Hamano (neu 2 Sterne), Takao Takano (neu 2 Sterne) oder gar Ken Kawasaki (neu 1 Stern)?
Franzosen unter sich: Steilvorlagen für Michelin
In Frankreich war die Aufregung in diesem Jahr ganz besonders groß. In einer bei uns bisher noch nie zu beobachtenden Weise haben sich alle möglichen Medien an den Spekulationen beteiligt, wer denn nun drei Sterne bekommen könnte – nein, müsste. Da drucken Magazine wie „Thuries“ oder „3 Etoiles“ vorab gleich ganze Listen mit Kandidaten ab und es fällt nicht schwer zu erkennen, dass da die eigenen Lieblinge gepuscht werden sollen. Und die sind – keine Überraschung – oft eher auf der konservativen Seite. Es gab Köche wie etwa Éric Briffard (ehemals „Le Cinq“ im Hotel George V) den man vor einigen Jahren mit aller Macht zum dritten Stern schreiben wollte, ohne Erfolg. Es gibt Köche wie Jean Francois Piège, mit dem man das jetzt schon seit Jahren versucht, ohne Erfolg. Man scheint zu glauben, dass solche Aktionen irgendeinen Effekt haben, sieht aber nicht, dass der Effekt ein ganz anderer ist: gegen eine Flut von Vorschlägen kann sich der Guide Michelin nun prächtig als nicht beeinflussbar und unabhängig präsentieren. Wenn du nicht willst, dass ein Koch drei Sterne bekommt, brauchen nur die falschen Leute den ganzen Tag davon zu reden.
Franzosen unter sich: Namen statt Küche
Und – pardon – spielt eigentlich die Küche/der Küchenstil noch eine Rolle? Den ganzen Namenslisten folgt so gut wie nie eine Auskunft darüber, aus welchen kulinarischen Gründen man höhere Bewertungen geben sollte. Man redet nicht über kulinarische Idee oder Generationswechsel, nicht über Neuentwicklungen und Tendenzen, die vielleicht nicht in Frankreich entstanden sind. Die Überraschung ist groß, dass jetzt mit Inaki Aizpitarte vom „Le Chateaubriand“ in Paris ein Vertreter der Bistro-Kreativ-Szene einen Stern bekommen hat. Wohlgemerkt: Aizpitarte hatte Aufsehen erregt, als er vor einigen Jahren in die Top 10 der „50 Best Restaurants“ vorrückte und zeitweilig das am besten bewertete französische Restaurant war. Dass der Stern eine späte Anerkennung für eine „andere“ Küche ist, die man in Frankreich lange nicht ernst genommen hat und die viel mit der nicht eben bewunderten neuen skandinavischen Küche zu tun hat, wird kaum transparent. Wenn jetzt Mr. Ellis (der Chef der Michelin-Führer) davon redet, dass sich Chefs aus der ganzen Welt in Frankreich niedergelassen hätten, ist das eine interessante Wortwahl für eine Erscheinung, die im neuen Guide deutliche Spuren hinterlassen hat. Gemeint ist vermutlich die beträchtliche Anzahl von Japanern, die nach Ausbildung in französischen Spitzenrestaurants in aller Welt und oft auch Studien in ihrer Heimat nun nach Frankreich zurückgekehrt sind und die kreativ auffälligsten Restaurants betreiben (siehe oben), die zudem noch gut in einem weltweiten Trend liegen.
Veyrat ist cool
Ein dritter Stern für das aktuelle Restaurant eines 67-jährigen Kochs ist schon ziemlich außergewöhnlich. Aber – es handelt sich eben um Marc Veyrat, der zwar immer eine außergewöhnlich große Klappe hatte (um das einmal salopp zu formulieren), aber eben auch außergewöhnlich viele Ideen. Man sollte daran erinnern, dass er schon für zwei frühere Restaurants drei Sterne bekommen hatte, und dass er vom französischen Gault Millau zweimal mit 20 Punkten bewertet wurde. Vor allem sollte man daran erinnern, dass er mit seiner extrem naturnahen Küche und dem gleichzeitigen Faible für eine Reihe moderner Techniken schon vor vielen Jahren durchaus irgendwo zwischen spanischer Avantgarde und Nova Regio – Küche gearbeitet hat – allerdings gerade in seinen naturnahen Arbeiten etliche Jahre vor den Entwicklungen in Skandinavien. Aber – er ist eben ein etwas schwieriger Fall, der nicht nur optisch immer ein gutes Stück neben den weiß gekleideten französischen Kollegen lag. Sein „Maison des Bois“ ist dann auch gleich wieder ein Etablissement mit etwas zu viel alpinem Holzeinsatz und strammen Preisen (395 Euro für zwei der Menüs, das dritte für 295). Für Kreative ist Veyrat immer ein Thema, speziell auch in seinen diversen Büchern.
P.S. Der Fall Bras
Wie ich seinerzeit schon geschrieben habe: Warum die Aufregung? Der Verzicht auf die drei Sterne wurde akzeptiert. So kommt das Thema für Michelin am schnellsten aus der Diskussion.