Den kennen Sie vielleicht schon aus dem Fernsehen: Was ist das, wenn irgendwo zehn Wohnmobile und ein Foodtruck stehen? Natürlich ein Corona-Restaurant. Im Truck wird gekocht, die Gäste sitzen in ihren Wohnmobilen und bekommen frisches Essen serviert. Man könnte sich also theoretisch irgendwo an einem schönen Platz treffen, theoretisch auch auf dem Parkplatz eines Hotels oder Restaurants, Auflagen braucht man quasi keine zu beachten und die Gäste sind vielleicht noch besonders glücklich, weil sie sich in ihren geliebten vier Wänden aufhalten. Die Qualität des Essens könnte außerdem deutlich höher als bei einem Liefer- oder Versandservice sein, weil transportbedingte Qualitätsverluste kaum eine Rolle spielen.
Es hilft nichts, wir müssen noch einmal ran und die Möglichkeiten durchdenken, weil sich abzeichnet, dass es noch eine stramme Zeit des Lockdowns für die Gastronomie geben wird/geben kann. Und weil man sich in der besseren Küche mittelfristig nicht nur mit Gänsen und problemlos zu konservierenden Schmorgerichten oder Suppen befassen kann, sondern sein eigenes Profil auch unter diesen Umständen wenigstens einigermaßen beibehalten sollte, muss noch einmal der Blick für die Schwachstellen und die Perspektiven geschärft werden.
Um 19.30 kommt der Foodtruck
Lassen wir erst einmal der Phantasie etwas Spielraum. Wenn die Gäste nicht ins Restaurant kommen können, muss das Restaurant zu den Gästen kommen. Weil die Köche aber nicht in die Häuser dürfen, müssen sie vor dem Haus stehen bleiben. Da könnte es also eine mobile Küche geben, die in der Lage ist, Gerichte auf quasi dem gleichen Niveau wie im Restaurant zu präsentieren. Sie kann auch Kurzgebratenes einsetzen und so anrichten, dass es exakt der üblichen Anrichteform entspricht. Die Gäste bestellen vor und zahlen vor und vereinbaren einen Termin, an dem die mobile Küche vor ihrem Haus erscheint, für einen begrenzten Zeitraum dort bleibt (selbstverständliche ohne Wartezeiten), die Gerichte fertigstellt, abliefert und zum nächsten Termin fährt. Es gäbe da natürlich noch eine Menge an Details zu klären, aber es wäre ein Weg, auch Spitzenküche weiter zugänglich zu halten. Das wird seinen Preis haben müssen, aber das ist dann wiederum für viele Gäste der Spitzenküche nicht das oberste Problem. Was würde man an einem Tag schaffen? Zwanzig, dreißig, vierzig Gäste? Oder – wenn denn kleinere häusliche Geselligkeiten möglich wären – auch mehr? Würde vielleicht ein erster PKW vorher kommen und Amuse Bouche, die Foie gras oder den Lachs oder Tatar oder Carpaccio schon mal bringen und der Meister dann nur noch für ein warmes Zwischengericht und den Hauptgang erscheinen?
Schwachstellen im Liefer-/Versandservice
Das Bild von einer mobilen Küche dieser Art ist erst einmal perspektivisch gedacht. Die Motivation zu solchen Überlegungen entstammt allerdings einem beträchtlichen Problem, das mit der Arbeit von Lieferservice und Co. verbunden ist. Es gibt einfach zu viele kulinarische Schwachstellen, die immer wieder dazu führen, dass es schwerfällt, die normale Restaurantarbeit mit den Qualitäten eines Lieferservice‘ zu vergleichen. Das fängt mit dem Feuchtigkeitsproblem bestimmter Verpackungen an. Dinge, die warm und fertig angerichtet in Alufolie verpackt werden, bekommen ein Durchfeuchtungsproblem, das kulinarisch kontraproduktiv ist. Das gilt auch für den Versuch, etwa Kräuter o.ä. frisch und in Packpapier eingewickelt zu versenden. Es bleibt dann zwar einerseits Feuchtigkeit erhalten, andererseits kommt es aber ebenfalls zu einem Feuchtigkeitsaustausch mit der Verpackung, der mangels Frischluft die Produkte erschlaffen lässt. Das Feuchtigkeitsproblem kann aber auch bei vakuumierten Produkten eine Rolle spielen, wenn bestimmte Teile im Vakuum noch weiter Feuchtigkeit ziehen. Die notwendige Regenerierung durch den Kunden verweist auf eines der ersten Probleme, die durch die Notwendigkeit von Eigentätigkeit der Kunden entstehen. Schon der Zusatz von etwas Flüssigkeit kann Probleme bringen, wenn nicht gleichzeitig der Vorgang des Erwärmens der Zubereitung präzise erledigt wird – also etwa durch vorsichtiges Umrühren und aufgelegten Deckel (bei Regenerierung im Topf). Schon die Vorstellung davon, wie das regenerierte Endprodukt aussehen sollte, fehlt den Kunden bisweilen. Ganz allgemein wird von den Versendern/Lieferanten immer noch überschätzt, zu welchen Aktionen die Kunden in der Lage sind. Die bisweilen notwendige Herstellung von ganzen Gerichten mit mehreren, gut koordinierten Aktionen ist von einem Kunden mit geringer Kenntnis nicht zu leisten.
Bei den Angaben in den Sendungen fehlt zudem oft ein Hinweis darauf, wie das Endprodukt aussehen soll.
Die Lösung: Staffelung je nach kochtechnischen Fähigkeiten der Kunden
Wohlgemerkt: was jetzt noch wie zu viel Aufwand für ein zeitlich begrenztes Phänomen klingt, kann bald zu einem ernsthaften Versuch werden, im Liefer- und Versandservice eine Unterscheidung zwischen mehr oder weniger normaler bürgerlicher Küche und Gourmetküche zu schaffen. Mittelfristig kann es auch keine Lösung sein, alle Zubereitungen komplett zu konservieren, weil sich ansonsten viel zu große Einschränkungen ergeben. Es muss also weiter gehen, und zwar in Richtung eines Essens, das Koch und Kunde gemeinsam zu einem guten Niveau bringen. Am besten wäre es, wenn man das Angebot in eine „Basis“-Version und eine „Premium-Version“ aufteilt. Die Basic-Version würde die Eigentätigkeit der Kunden so knapp wie möglich halten, also eine Regenerierung per Mikrowelle, Wasserbad, im Ofen oder langsam im Topf. Dazu könnten natürlich gegebenenfalls Hinweise zur Assemblage oder auch zu kleinen Ergänzungen kommen („falls vorhanden können Sie das Ragout mit frischen Majoran- und Liebstöckelblättern bestreuen“). Im Angebot müsste kommuniziert werden, was an Eigentätigkeit notwendig ist. Eine solche Basis-Version stößt natürlich schnell an Grenzen und ist letztlich – bis vielleicht auf einige Ausnahmen bei extrem kreativen Küchen – nicht befriedigend und ohne große Perspektive. Sie ist eine Notlösung. Es kann aber sein, dass man nach Lösungen suchen muss, die mehr Genuss und Vergnügen bringen.
Für solche Lösungen, die deutlich mehr mit den Restaurantleistungen zu tun haben, sollte man sich eine Premium-Version einfallen lassen. Kernpunkt wäre, dass der Kunde bestimmte Zubereitungen frisch macht, um einen Sektor der Küche aufzuschließen, der mit vorfabrizierten Produkten nicht erreichbar ist. Es müsste vom Fertiggericht (also letztlich einer Varianten der industriellen Fertiggerichte) zu einem Gericht gehen, das prinzipiell der Restaurantküche entspricht. Für eine Premium-Version wäre es ganz besonders wichtig, die Anforderungen an den Kunden zu kommunizieren. Er dürfte im Prinzip ein großes Interesse daran haben, mit exakt den gleichen, zur Garung vorbereiteten Produkten wie das Restaurant zu arbeiten, dazu dann aber die Saucen, Ragouts o.ä. fertig zu bekommen, dazu spezielle Restaurantprodukte wie getrocknete Elemente, Würzmischungen, Öle usw. usf., die das Gericht abrunden und auch optisch ansprechend machen. Die Erweiterung um „kurze“ Zubereitungen ist von großer Bedeutung und ein Schlüssel für eine Qualität, die wirklich Niveau hat. Insgesamt würde eine Premium-Version etwas von einem Baukasten-System haben, wobei die Zusammensetzung einfach bleibt, die Garung aber die Fähigkeiten entsprechend disponierter Kunden nutzt. Da ist viel Platz für gute Lösungen. Außerdem dürfte sich der Kunde durchaus ernst genommen fühlen. Der Transport von Frischeprodukten ist heute kein Problem, einen Tag Reise kann man gut einplanen.
Sehr geehrter Herr Dollase,
herzlichen Dank für Ihre interessanten Überlegungen unter der Überschrift „Gourmet.Mobil“. Ich gebe Ihnen recht, dass es wohl noch eine Weile dauern kann, bis ein „normaler“ Betrieb oder zumindest eine Öffnung der Gastronomie unter bereits erlebten Restriktionen in Bezug auf COVID-19 möglich ist. Bereits im ersten Lockdown im Frühjahr war es erstaunlich zu sehen, wie schnell und kreativ viele Gastronomiebetriebe, darunter auch solche aus dem gehobenen Spektrum, auf die Krise reagiert und neue Angebotsformen erdacht haben.
Nun komme ich zu dem Aspekt, der mich in diesem Bezug doch auch sehr nachdenklich stimmt. Dies weniger unter dem Gesichtspunkt der Qualität des Gebotenen, sondern mehr in Bezug auf die Signalwirkung.
Natürlich verstehe ich es, wenn viele Betriebe „aus der Not heraus“ auf die Schnelle ein take-away oder gar ein delivery-Angebot erarbeiten, gerade auch unter dem Aspekt, dass die vollmundig als schnell und unkompliziert angekündigten Hilfen nach wie vor auf sich warten lassen bzw. auf Seiten der Politik inzwischen ein Streit darüber entbrannt ist, wie es nach den „großzügigen“ Hilfen der Monate November und Dezember im Jahr 2021 weitergehen soll.
Die Frage, die ich mir aber mit Sorge stelle, ist, ob mit dem schnellen Reagieren auf den abermaligen Lockdown, der ja kurz vorher noch als ausgeschlossen kommuniziert wurde, nicht ein falsches Signal bez. der Anpassungsfähigkeit gesendet wird getreu dem Motto „wir wissen uns zu helfen“. Jeder, der 1×1 zusammenzählt, wird erkennen, dass mit solchen Angeboten im besten Falle Schadensbegrenzung betrieben wird. Ein einträgliches Geschäft dürften die hastig erdachten Kochboxen u.ä. im seltensten Fall sein, wenngleich sie ein schönes Angebot an interessierte Gäste darstellen. Betrachtet man die Gastronomie, insbesondere die gehobenen Vertreter, ist es doch so, dass ein überproportional hoher Anteil der Deckungsbeiträge auf die Konsumation von Getränken entfällt, die ja bei den diversen kreativen Formen der Gästeversorgung in Corona-Zeiten wohl eher selten zum Tragen kommt bzw. wenn dann wohl i.d.R. keinesfalls mit den Aufschlägen, welche die Gastronomie bei Verzehr an Ort und Stelle durchsetzen kann und häufig auch muss. Wohlgemerkt eines bleibt für die allermeisten Betriebe unverändert: die Kostenbasis, die sich gerade in den Städten, also dort, wo ein solches Angebot vermutlich am häufigsten angenommen wird, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus hohen Pachtzahlungen zusammensetzt.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte die Bemühungen diverser Gastronomen keinesfalls schmälern, stellen sie in gewisser Weise doch auch ein wohltuendes Gegengewicht zu in der Pandemie noch weiter erstarkenden Formen der „Schnellverpflegung“ dar (gerne auch von prekär beschäftigten Fahrradkurieren ausgeliefert. Aber das ist ein anderes Thema). Dies zur wirtschaftlichen Betrachtung.
Die andere Überlegung, die mich sorgenvoll stimmt, ist die, dass wir schnell aus dem Fokus verlieren könnten, welchen hohen Anteil an einem Restaurantbesuch das „Drumherum“ sprich das Ambiente, der Service, die Interaktion mit dem Gastgeber haben. Qualitativ hochwertiges Essen ist sicherlich ein entscheidender Aspekt aber eben nicht der Einzige Grund, der Menschen ein Restaurant besuchen lässt. Vielmehr ist es auch der sprichwörtliche „Tapetenwechsel“ und sicherlich auch ein Stück weit das Beobachten, ja die Bühne, die jedes Restaurant, ob gewollt oder nicht, auch immer ist.
Ich hoffe also, dass sich mancher Gastronomiebetrieb mit seinen neuen Angeboten nicht gleich selbst überflüssig macht und wir dann eine wachsende Anzahl an „ghost kitchens“ sehen, die uns ja von einigen Zukunftsforschern, die sich mit der Entwicklung unseres Konsumverhaltens beschäftigten, als „next big thing“ propagiert werden. Teilweise in den leuchtendsten Farben und mit einer z.T. erschütternd blinden Zukunftsbegeisterung.
Hoffen wir also, dass das Kulturgut Restaurant nicht dauerhaft Schaden nimmt durch die aktuelle Situation. Wir haben es als mündige Konsumenten selbst in der Hand. Z.B. in dem wir für das nahende Weihnachtsfest Gutscheine von Restaurants kaufen, deren Erhalt uns lieb und teuer ist. Davon hat der Gastronom im Zweifelsfall am Meisten. Und ich behaupte, der Beschenkte auch.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Altmann