Droht das Verschwinden der deutschen Spitzenküche aus den Top 50?
Machen wir uns nichts vor: Es ist kein Zustand, wenn mit Joachim Wissler und Tim Raue die beiden deutschen Köche in „The World’s 50 Best Restaurants“ langsam aus den besten 50 rutschen (Platz 47 und 48), und es ist auch nicht gut, wenn der deutsche Finalteilnehmer beim „Bocus d’Or“ irgendwo weit hinten landet. Gibt es Gründe für dieses schwache internationale Standing der deutschen Spitzenküche, oder ist es ein Zufall, irgendwelchen Meinungsströmen geschuldet, die typisch für die Globalisierung von Informationen sind?
Die Liste möglicher Gründe und Zusammenhänge ist natürlich lang. Ich möchte mich hier auf drei Punkte / Thesen beschränken.
1. Das aktuelle deutsche Auswahlgremium könnte effektiver arbeiten
Wenn man sich die Positionen der besten deutschen Köche in den Top 50 seit Beginn dieses Rankings ansieht, fallen ein paar Dinge auf. Unter der Leitung von Jörg Leu, Busche Verlag, waren mit Harald Wohlfahrt und Dieter Müller eher Vertreter der klassischen Spitzenküche platziert. Unter der Leitung von Thomas Ruhl ereignete sich der Höhenflug von Joachim Wissler (bis auf Platz 10), Sven Elverfeld war sechs Jahre in den Top 50 und Tim Raue kam dazu. Unter Christoph Teuner verschwand Elverfeld, und insgesamt ging es abwärts.
Die Leiter der Auswahlkommissionen sprechen Kenner der Szene an und fordern sie zur Mitarbeit auf (ich persönlich habe das von Anfang an abgelehnt, um meine journalistische Freiheit zu behalten). Das bedeutet natürlich, dass sie nicht gerade Gegner ihrer eigenen Position einladen, und es bedeutet auch, dass die Ergebnisse der deutschen Kommission letztlich von ihnen mitgeprägt werden. Und da kann man dann so oder so arbeiten. Kurz und gut: Es ist jedenfalls möglich, durch konsequentes Abstimmverhalten und auch durch eine gute Kommunikation mit den Gremien benachbarter Länder die Position der „eigenen“ Köche zu stärken. Tut man dies nicht und überlässt man alles dem Zufall, geht es bergab.
2. Einzelkämpfer haben international weniger Chancen. Die deutschen Spitzenköche müssen zusammenarbeiten
Als Journalist bekomme ich eine Menge von den internationalen Aktivitäten der besten Köche der Welt mit. Man kann feststellen, dass Köche allgemein nicht gerade zu Vereinsmeierei neigen und – wenn überhaupt – gerne ihre jeweils eigene Promotion betreiben. Man kann aber auch feststellen, dass die Zusammenhänge in anderen Ländern oft deutlich besser sind als bei uns. In Ländern wie Frankreich und Spanien gehen die Verbindungen der Köche tief in Wirtschaft und Politik und in die Medien. Man darf einfach nicht vergessen, dass die gesellschaftliche Wertschätzung der Kochkunst und ihrer besten Vertreter mindestens zwei Seiten hat. Wer nur darauf wartet, dass er – ohne eigene Aktivitäten – eine bessere Position bekommt, wird lange warten. Kurz und gut auch hier: Eine Organisation, die für die Spitzenküche sprechen kann, die sich einmischen kann, die fordern kann, die auf ihre Leistungen verweisen kann, die ein Netzwerk schaffen kann und nationale wie internationale Wirkungen erzielt, ist dringend vonnöten. Sie kann und wird Image und Position der deutschen Spitzenküche verbessern.
3. Die deutsche Spitzenküche braucht mehr kulinarisches Profil
Eine ganz einfache Frage: Welche Gründe sollten Gäste aus dem Ausland haben, in deutschen Spitzenrestaurants zu essen? Weil hier handwerklich gut gearbeitet wird – wie es immer heißt? Da könnte man auch nach Frankreich gehen, weil dort die Dichte an Spitzenrestaurants noch viel größer ist. Nein, Zuverlässigkeit mag eine sehr gute kulinarische Eigenschaft sein, aber sie ist eher etwas für kulinarische nicht uninteressierte Geschäftsreisende, die sich freuen, in einem Land problemlos gutes Essen zu bekommen. Was für kulinarisches Adrenalin, für echtes Kribbeln sorgt, ist etwas ganz anderes, nämlich eine unverwechselbare Handschrift, die Individualität einer Küche, die man sonst nirgendwo bekommt, und die ein ganz besonderes Erlebnis verspricht. Dass das „Noma“ jahrelang ausgebucht war und es jahrelang an die Spitze der Top 50 schaffte, lag vor allem an solchen Aussichten. Einen dritten Stern hat René Redzepi nie bekommen, und handwerkliche Brillanz war auch eher selten das Thema. So etwas als „Hype“ abzutun, ohne die grundlegenden kulinarischen Zusammenhänge zu begreifen, geht an der Sache komplett vorbei. Während international – Ausnahmen bestätigen die Regel – vor allem die Nova-Regio-Küche reüssiert, also eine neue, von der Avantgarde beeinflusste Sicht auf die regionalen Ressourcen der jeweiligen Länder, ist der größte Teil der deutschen Spitzenküche nach wie vor mehr oder weniger von einer Art kreativem Internationalismus geprägt, der im Prinzip überall stattfinden könnte. Ja, wir haben ein gebrochenes Verhältnis zu unseren kulinarischen Traditionen, für es viele Gründe gibt. Und nein, wir haben dieses Problem, das viele andere kulinarisch bedeutende Ländern nicht haben, noch nicht wirklich gelöst. Vielleicht schafft es erst eine neue, junge Generation von Köchen, sich erfolgreich diesem Problem zu stellen und eine Küche zu schaffen, die Produkte, Traditionen und Modernität endlich auf eine Weise zusammenbringt, die deutschen wie internationalen Gästen ein unverwechselbares Erlebnis beschert. Wenn wir dann wirklich wieder eine Reise wert sind, werden auch die Platzierungen in den Top 50 besser werden.