INFORMATION
Rasmus Kofoed vom „Geranium“ in Kopenhagen und Esben Holmboe Bang vom „Maaemo“ in Oslo waren im Jahre 2016 die ersten skandinavischen Köche, die mit drei Michelinsternen ausgezeichnet wurden. Kofoed war aber schon vorher „aufgefallen“, weil er sich tatsächlich dreimal den Mühen des „Bocus d’Or“-Wettbewerbs unterzogen hat und dort Bronze, Silber und schließlich Gold holte. Sein neues „Geranium“ liegt seit 2014 im Gebäude des nationalen Fußballstadions „Telia Parken“ und ist ein großzügiger Komplex mit einer Reihe von Räumen, sehr viel Personal, strammen Preisen (das Degustationsmenü kostet ca. 300 Euro) und alles in allem das Ergebnis einer höchst konsequenten und engagierten Arbeit an exakt der Stelle, wo die Kochkunst am spannendsten ist, nämlich am Schnittpunkt von bestem klassischen Verständnis und Handwerk und einer avantgardistischen, befreiten Sicht auf ihre Möglichkeiten.
DEGUSTATION
THE GERANIUM SUMMER UNIVERSE APPETIZERS
Hummer, Saft von fermentierten Karotten und Sanddorn
Das Menü beginnt mit sechs zügig hintereinander servierten „Appetizers“. Zuerst eine rötliche Flüssigkeit mit einem Stück Hummer und einigen Ölaugen, eine exzellent ausbalancierte Kombination aus Krustentierjus, dem fermentierten Karottensaft und Sanddornöl. Anders als bei den oft süßlichen Krustentier-Karotten-Kombinationen sorgt die Fermentierung für eine Tick Herzhaftigkeit, die mit der ebenfalls nicht wirklich süßen Frucht ein sehr feines, originelles Bild ergibt. Der Hummer ist lokalen Ursprungs und hat ein deutlich anderes, etwas dunkleres Jod-Spektrum als etwa bretonischer.
Topinambur-Blätter, Haselnuss-Öl und Roggenessig
Serviert werden aus Zucker und Topinambur hergestellte nachgeahmte Blätter, die in einer Art Beet von Blüten stecken. Man nimmt die Blätter und benutzt eine Emulsion/Mayonnaise von Haselnuss-Öl und Roggen-Essig als Dip (o. Abb). Der Geschmack ist von einigen Röstnoten bestimmt, die durch den Zucker dezent ausbalanciert werden. Mit der Mayonnaise zusammen schmeckt es sehr gut, weil Nuss und Roggen eine passende Weiterführung des Topinambur-Aromas sind.
Schwertmuschel mit Mineralien und Sauerrahm
Auch diese Schwertmuscheln sind „nachgebaut“, schmecken aber wegen der exzellenten Füllung besser als Schwertmuscheln normalerweise schmecken. Der Mix mit Sauerrahm bringt eine elegante Säure. Kofoed sieht diese „Trompe l’oeil“ – Arbeiten unbedingt als einen leichten, eher spielerischen Auftakt zum Menü, als eine Art, verschiedene Sinne anzusprechen und eine entsprechende Aufmerksamkeit zu erzielen.
Tomatenwasser, Schinkenfett und aromatische Kräuter
Spätestens mit dieser unscheinbaren Kleinigkeit wird klar, dass man hier Weltklassearomen bei Saucen und Flüssigkeiten aller Art erwarten darf. Das Tomatenwasser als eines der stärksten natürlichen Aromen ist ja mittlerweile in der Spitzenküche immer wieder zu finden. In dieses Wasser werden hier Tropfen einer zähflüssigen Substanz gegeben, die unter dem Einfluss der Säure zu einem deutlich festeren Gelee wird. Es handelt sich um hocharomatisches Schinkenfett von einer lokalen Schweinerasse. Der Akkord ist hervorragend – auch in dieser Form schon. Dazu werden dann auf einem Löffel verschiedene kleine Blüten serviert, die man über die Flüssigkeit streuen soll. Beim Essen liefern sie wunderbar natürliche, vegetabile Aromenpunkte vor diesem substantiellen Hintergrund. Eine prächtige Kombination.
„Dillstone“ – Makrele, Meerrettich und gefrorener Saft von eingelegtem Dill
Der nächste Höhepunkt folgt auf dem Fuß und lässt erst einmal darüber staunen, was hier schon bei den Appetizern präsentiert wird. Es handelt sich wieder um eine Umformung der drei Elemente Makrele, Meerrettich und Dill, also einem sehr nordischen Akkord. Er ist hier so in den Texturen und Temperaturen verändert, dass sich eine optimale Wirkung der Dekonstruktion ergibt: Die – leicht weichen – Dillsteine mit Makrelenfüllung nimmt man auf den Löffel und kombiniert sie mit dem gefrorenen Dillsaft und einer Meerrettichcreme zu einem exzellenten, hochfeinen Aroma. Es wird hier glasklar, dass Produkte, die man oft in einem eher rustikalen Zusammenhang erlebt, über ein tieferes Verständnis der sensorischen Zusammenhänge in erheblicher Weise an Qualität gewinnen können.
Nesseln, geräucherter Käse und getrocknete Austern
Der letzte Appetizer ist ein reines Akkordgericht, bei dem die Elemente schnell verschmelzen, und einen innovativen Mischgeschmack erzeugen. Es geht nicht um die Identifikation der einzelnen Elemente, die man eigentlich auch gar nicht erst suchen sollte. Hier wird Neues geschaffen, profund im Aroma, erkennbar in der Tradition guter französischer Saucen etc. und mit einer substantiellen Würze, die sich aus Reduktionen und Konzentrationen ergibt.
DISHES
Gelbe Bete, aromatische Samen, Joghurt-Saft und Öl von Strandpflanzen
Der Unterschied von den „Appetizern“ zu den „Dishes“ ist von der Menge her nicht besonders groß. Kofoed startet mit einem genialen Gericht, das sofort vergessen lässt, wie schwach und einfallslos die beliebten Bete in vielen Restaurants eingesetzt werden. Der Haupteffekt in diesem wiederum innovativ schmeckenden Gericht kommt von aromatischen Samen (wie etwa Kardamom), der über Scheiben von durchgegarter Gelber Bete gestreut wird. Zusammen mit dem Hintergrund von klarem Joghurt-Saft und einem im positiven Sinne diffus vegetabil schmeckenden Öl von Strandpflanzen ergibt sich hier gleichzeitig Finesse, Differenziertheit und eine Art neue Süffigkeit. Schon zu diesem Zeitpunkt ist „normales“ Essen einer üblichen Spitzenküche weit entfernt – zumindest dann, wenn man sich wirklich auf die Informationen seiner Sinne einlassen kann.
Broccoli-Sprossen und gegrillter Broccoli, getrocknete Forelle und Austernkraut
Nein, man sieht keine getrocknete Forelle, weil die Hauptaromen bei Kofoed aus sensorischen Gründen oft in cremigen Zubereitungen oder im Zusammenhang mit solchen Zubereitungen eingesetzt werden. Sie bekommen im Zusammenhang eine andere Präsenz und dies speziell in Beziehung zu einzelnen Elementen wie hier den Broccolisprossen und den Kräutern. Man schmeckt sie immer vor dem Hintergrund des Hauptaromas und hat so klare Beziehungen.
Gesalzener Seehecht, Petersilienstängel und Caviar in Buttermilch
Für das Bild von diesem Gericht habe ich extra noch einmal die „Unterlage“, ein dichtes „Marbre“ vom Seehecht, freigemacht. Diese Komposition ist vielleicht die am französischsten schmeckende des Abends. Später habe ich zu Kofoed gesagt, er sei im Moment einer der besten französischen Köche, was er ohne weiteres sofort richtig verstanden hat. Die komplexe, kräftige Würze mit einer Mischung aus Cremigkeit, Säure und Salzigkeit bekommt man in ähnlicher Form vielleicht ein wenig bei Guy Savoy oder ein paar eher klassisch arbeitenden Großmeistern. Sie wirkt im „Geranium“ wie einer der Pole dieser Küche (der andere wäre ein maximaler Naturalismus, also der Einsatz ausschließlich unbearbeiteter Naturprodukte, der hier aber in Reinkultur – anders als etwa bei Redzepi – nicht vorkommt). Es ist klar, daß man bei Michelin für solche Geschmacksbilder empfänglich ist.
Krosse Körner, Brot mit alten Kornsorten und glutenfreies Brot mit Samen
Hmmm…. man möchte nicht unhöflich sein, aber für mitteleuropäische Brotesser sind diese Umspielungen rund ums Brot hier nicht unbedingt eine Offenbarung.
Langustinen mit Wacholder-Aroma, „Ingrid Marie“ – Reduktion und braune Butter
Bei diesem Gang wird man sofort an den Hummer bei Alexandre Gauthier von „La Grenouillère“ in Montreuil-sur-mer in Nordfrankreich erinnert. Auch Kofoed legt die Langustinen auf ein Büschel Wacholder und flämmt den Wacholder an. Präsentiert werden die Schwänze dann aber pur in einem Mix aus einer Apfelreduktion der Sorte „Ingrid Marie“ und brauner Butter. Es ergibt sich ein feines, wieder enges aromatisches Bild ohne Wacholder-Penetranz, bei dem hier der Schwerpunkt auf einem exzellenten Produkt mit einer exzellenten Garung liegt, das am Gaumen die größer Länge gegenüber der Begleitung hat und deshalb immer dominant bleibt. Der Mix von Wacholder, Fruchtsäure und Nussigkeit von der Butter sorgen wieder für eine beträchtliche Originalität. Kofoed hat diese Originalität buchstäblich in jedem Gang – auch dann, wenn sich wie hier teilweise Vergleiche zu anderen Köchen ergeben.
Leicht gesalzener Steinbutt, grüne Kräuter, Sellerie und eingelegte Pinien
So auch beim Steinbutt, den man in dieser Form quasi nie bekommt. Weil Kofoed aber als Koch eine so überragende Qualität hat, schafft er es, daß seine Interpretationen/Zusammenstellungen tragen, dass sie es also als neue Idee mit erprobten Weltklasse-Konzepten aufnehmen können. Im Grunde ist dies die Voraussetzung, die „Eintrittskarte“ für kreative Küche: das Handwerk beherrschen und auch bei neuen Ideen nie den Überblick verlieren. Der Steinbutt ist knapp gegart und so gesalzen, dass man das Salz als Gewürz und nicht als abstrakter „Geschmacksverstärker“ wahrnimmt. Durch die knappe Garung und die Verwendung diverser roher Elemente entsteht – trotz leichter Wärme bei Fisch und Sauce – eine Küche mit eher roher Anmutung, wobei „roh“ hier unbedingt auch „Natürlichkeit“ meint. Der Gegensatz dieses Stils zu einer weitgehend durchgegarten und gekochten Fischküche mit einem festen Fisch, einer klassischen Sauce und durchgegarten Beilagen ist sehr groß.
Törtchen mit Fjord-Shrimps, Söl und eingelegten Holunderbeeren
Und wieder eines dieser kleinen Meisterwerke, in diesem Falle mit komplett gerösteten Fjord-Shrimps, Lappentang, Honig, Blüten und eingelegten Holunderbeeren. Durch die sensorische breite Verteilung ergibt sich ein exzellenter zeitlicher Verlauf der geschmacklichen Wahrnehmung, in dem alle Teile ihren Platz haben und erst im Hintergrund zu einem aromatischen Bild verschmelzen. Die in etwa ausgeglichene Mischung aus rohen und zubereiteten Elementen ohne auch nur einen Hauch von Klischees schafft eine andere kulinarische Welt, in der es fast automatisch mehr um die Dinge selbst geht. Man ist als Esser mit solchen Gerichten natürlich wesentlich intensiver beschäftigt als mit dem, was man mehr oder weniger kennt.
Kohlsprossen, Huhn und Heu-Bier
Fleisch als Hauptgericht spielt in dieser Küche keine Rolle, weil hier jedes Produkt, ob groß oder klein, ob roh oder zubereitet, seinen Platz hat. Bei dieser Komposition kann man natürlich ein wenig an die neuen Restaurants der Berliner Szene denken, die teilweise an ähnlichen Dingen arbeiten. Rasmus Kofoed ist schon ein Stückchen weiter, weil er noch mehr Finesse/noch bessere Proportionen bei seinem „Grünzeug“ realisiert und zudem mit dem Heu-Bier einen prächtigen Katalysator im Hintergrund hat, der für Zusammenhalt und Individualität sorgt. Es isst sich einfach nie spröde, sondern wie ein hervorragender Salat.
DESSERTS
Rote Bete, schwarze Johannisbeeren, Joghurt und Tagetes
Die Desserts kehren eher wieder zur Struktur der Appetizer zurück, sind also begrenzte Ideen mit knappen, klaren Formulierungen. Die Kombination aus Rote Bete, schwarzen Johannisbeeren und Tagetes ist frisch, schmeckt „rot“ und eröffnet einen kleinen Tick eines neuen Spektrums rund um die Bete.
Eiscreme von Bienenwachs und Pollen mit intensivem Rhabarber
Dito eine knappe Formulierung mit einem eher zurückhaltenden Wachsaroma, ein eher transparenter, leichter Dessert-Geschmack.
Karamell mit gerösteten Getreidekörnern, Kamille und Brombeeren
Diese Komposition wird vom Service als das eigentliche Dessert angesagt. Auffällig sind hier exzellent ausgearbeitete Aromen, die wie eine pure Konzentration schmecken und in ihrer absoluten Klarheit zu ebenso klar aufgebauten Akkorden führen. Diese Akkorde funktionieren ein wenig nach dem kontrastierenden Prinzip, das heißt, man nimmt die Elemente getrennt wahr, bildet aber trotzdem einen Akkord. Die Integration von gerösteten Getreidekörnern eröffnet in vielen Zusammenhängen deutlich innovative Perspektiven und ist bei weitem nicht nur auf einen Textureffekt beschränkt.
The End
Dieses Dessert ist ein kleiner „punkiger“ Abschluss. Serviert wird ein großer weißer Teller, auf dem nichts anderes liegt als ein kleiner, schwarzer Totenkopf. Titel und Präsentation wirken aber hier wie bei dem ein oder anderen Appetizer vor allem spielerisch und nicht unbedingt erschreckend. Es hat allerdings schon etwas Anarchistisches, ein Spitzenküchenmenü so zu beenden… Zu allem Überfluss zerschlägt man dann den Kopf auch noch mit dem Löffel und findet eine weiße Masse in einer eher neutral schmeckenden, schwarzen Hülle. Alles zusammen schmeckt zwar nicht unbedingt nach Knochen, aber auch nicht besonders spektakulär. Aber – darum geht es hier auch nicht.
SWEETS
Karottenbaum
Kuchen mit Kürbiskernöl
Karamell, Saft von getrockneter Pflaume und aromatische Samen
Schokolade mit Hafer und Sanddorn
Marshmallow mit Hagebutte
Grünes Ei mit Pinie
DISKUSSION
Rasmus Kofoed arbeitet an der Schnittstelle von neuer skandinavischer Küche und den Traditionen, die ihre Basis in der klassisch-französischen Küche haben. Man trifft bei ihm zwar auf regionale Produkte, dies aber nicht in der Radikalität, wie man das bei René Redzepi („Noma“), Esben Holmboe Bang („Maaemo“, Oslo) oder Magnus Nilsson („Fäviken“) erleben kann. Es ist ein wenig so, als ob Kofoed den Trend mit der neuen skandinavischen Küche mit ein wenig mehr Distanz begleitet hätte, um dann für sich, seine Vorlieben und seinen kulinarischen Hintergrund zu dem Schluss zu kommen, es ein Stück anders zu machen. Am auffälligsten wird dies bei allem, was Flüssigkeiten sind, also Saucen, Suppen und auch Mischungen aus verschiedenen weichen Elementen, die ihm hervorragend gelingen und die zeigen, dass er – durchaus nach klassischer Art – ein Faible für komplexe Aromen und geschmackliche Tiefe hat.
Für die Gäste hat das klare Auswirkungen. Auch wenn die Optik und diverse Elemente an die skandinavische Avantgarde erinnern, werden sich hier auch solche Gourmets zu Hause fühlen können, die normalerweise eher die typisch internationale Spitzenküche lieben (so es denn so etwas noch gibt). Sie werden hier vor allem über die aromatischen Aspekte angesprochen. Dennoch ist dies bei weitem kein konventionelles Restaurant. Die Portionsgrößen der schnell servierten Gänge sind klein und nichts für Freunde von größeren Stücken. Das „Geranium“ ist ein Gourmetrestaurant der neuen Art, in dem Kreativität eine große Rolle spielt und insofern präzises Hinschmecken und Konzentration auf die vielen Details unverzichtbar sind.
Man geht in solche Restaurants nicht, um „lecker zu essen“, sondern um neue geschmackliche Erlebnisse zu haben. Mit seiner durchgehenden Originalität, die sich auf den genannten Grundlagen bei buchstäblich jedem Gericht einstellt, bietet Kofoed eine Feinstschmeckerküche par excellence an, die auch für bestens geschulte Gourmet-Reisende immer wieder Überraschungen birgt.
In der Originalität, Komplexität und Zuverlässigkeit seiner Küche gehört das „Geranium“ ohne Zweifel zu den besten europäischen Restaurants.