Normalerweise würde ich über die Veränderungen beim deutschen Gault&Millau nicht schreiben. Dass man Promotion für die neue Konstellation macht, mag verständlich sein, ist aber eigentlich kaum eine Meldung. Ich wollte also warten, bis der neue Führer erschienen ist und man sehen kann, ob sich etwas geändert hat. Nun hat aber der neue Chefredakteur Christoph Wirtz in einem Exklusiv-Interview mit den GOURMETWELTEN einige so merkwürdige Dinge von sich gegeben, dass ich dann doch nicht darüber hinweggehen möchte. Dass er noch neu auf diesem Posten ist, merkt man deutlich. Seine Äußerungen wirken teilweise unüberlegt.
Der angekündigte Selbstrausschmiss
Wirtz kennt anscheinend die vielen Geschichten rund um die „alten“ Gault Millau – Tester, die sich – wenn man den Erzählungen der Köche glaubt – nicht selten wie Provinzfürsten aufgeführt haben und entsprechend behandelt werden wollten. Von „Anonymität“ der Tester und Testessen wurde immer schon geredet. Mein Eindruck war immer ganz anders. Soweit ich das übersehe, kannten sehr viele Köche „ihren“ Tester und konnten auf Nachfrage auch immer ganz genau berichten, wieso es gegebenenfalls Probleme mit den Bewertungen gab. Und nun kommt Wirtz. Zitat:
„Mir ist aber nicht entgangen, dass manches einer Überprüfung bedurfte. Wir haben ein paar glasklare Regeln, und die stehen auch so in jedem Tester-Vertrag. Wir testen anonym, zahlen unsere Rechnung und folgen journalistischen Standards. Wer sich als Gault&Millau-Tester zu erkennen gibt, der ist entweder keiner – oder er ist es die längste Zeit gewesen, sofern ich davon Kenntnis erhalte.“
Wow! Wie gesagt, so ähnlich hat man es ja immer schon veröffentlicht. Aber nun kommt abermals Wirtz und schießt ein glasklares Selbsttor. Kurz vor diesem Zitat hat er auf die Frage, „Verkosten Sie eigentlich selbst oder überlassen Sie das Ihrem Team?“, geantwortet: „Selbstverständlich! Ich bin jeden Tag quer durch die Republik unterwegs, teste und höre den Köchen zu.“
Müsste er sich jetzt nicht selber rausschmeißen? Schafft er nicht ganz offensichtlich eine beträchtliche Basis der zu bewertenden Restaurants selber, nicht anonym, sondern als „public ass“, als bekanntes Gesicht, dessen Bilder auch noch im Zusammenhang mit der Neuaufstellung des Gault Millau bundesweit publiziert wurden?
Wie man Probleme umgeht
Wirtz kündigt an, dass man sich im neuen Führer – anders als bisher – auf die besten 500 Restaurants beschränken will und weitere 500 ohne Wertung/Punkte empfehlen wolle, weil – sinngemäß – die Punkteverteilung in den unteren Rängen etwas arg in Richtung Erbsenzählerei ginge und außerdem mittlerweile 12 oder 13 Gault&Millau – Punkte nicht mehr unbedingt als eine Ehre angesehen würden. Abgesehen davon, dass er da offensichtlich eine der typischen Gourmet-Schicki-Micki-Positionen bezieht, bei der alles außer der Spitze nichts wert ist, sieht das sehr danach aus, als ob man ein seit langem schwelendes Problem nicht lösen kann und deshalb umschifft.
Es geht um das Problem, was eigentlich hervorragende Gerichte der Regionalküche oder der bürgerlichen Küche oder Ethno-Küche wert sind, die man eigentlich kaum besser machen kann und die in ihrer Art absolute Spitzenklasse darstellen. Es sieht so aus, als ob man nach wie vor kein System gefunden hat, um auch diese exzellenten kulinarischen Arbeiten zu bewerten. Statt dessen wird wohl eine klassische, althergebrachte Vorstellung von Spitzenrestaurant und Spitzenküche im Vordergrund stehen. Wie immer. Kein Fortschritt also, keine Revision, die Furore machen könnte. Und wieder kann man Widersprüchliches zitieren: „Wir wollen zuverlässige Lotsen sein“, heißt es in der Überschrift des Textes bei den GOURMETWELTEN. Das klingt gut, soll aber inhaltlich offensichtlich nicht gefüllt werden.
Die Folgen für die Gastronomen können böse sein
Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal im Zusammenhang mit einer „Feinschmecker“ – Maßnahme darauf hingewiesen, wie man Köchen schadet, wenn man sie – warum auch immer – für eine begrenzte Zeit aus der Wertung nimmt. Die Folge ist, dass der betroffene Koch in den Summen-Rankings (etwa das Hornstein-Ranking) keine Bewertung hat und viele Plätze einbüßt. Ganz Ähnliches wird passieren, wenn viele Restaurants plötzlich im Gault&Millau keine Wertung mehr bekommen. Es fehlen die Gault&Millau-Punkte (und seien es „nur“ 12 oder 13) und man sackt in den Listen ab. Ich habe schon häufig gesehen, dass auch Restaurants mit vergleichsweise niedrigen Platzierungen in diesen Listen trotzdem stolz Werbung damit machen. Wenn man nur noch die TOP 500 bewertet, schadet man also den anderen unter Umständen ganz erheblich.
Fazit
Es sieht so aus, als ob man bei Gault&Millau noch nicht genügend nachgedacht hätte. Man sammelt alles auf, was man als Restaurantführer vorbringen kann, um vernünftig zu wirken, hat aber offensichtlich noch kein Konzept, das trägt. Bedauerlich. Man hatte mit mehr gerechnet.
Wenn Christoph Wirtz geschwiegen hätte, wäre es besser gewesen.
Bei Sigmund Freud war das so: als der Analysant sagte: „es ist nicht die Mutter“, da wusste Sigmund Freud: es ist die Mutter. Wenn Dolasse schreibt: er würde normalerweise! nicht über die Veränderungen beim deutschen Gault Millau schreiben, dann weiß man: er wollte schreiben. Und so ist auch geworden: Kindergarten und Eifersucht
Es geht hier nicht um die „überschaubare Truppe“ von Testern, liebe(r) Duni, sondern darum, dass so manche GM-Tester ihre Restaurants jahrelang nicht einmal besuchten, sondern sich selbst abschrieben (in meiner Region dabei sogar schon mal die Restaurants verwechselten), und im übrigen oft auch einfach die sensorische Qualifikation fehlte.
liest man sich das so durch, entsteht schnell der eindruck, dass der GM an seine grenzen gekommen ist und mit den angekündigten massnahmen gegensteuern möchte. „richtig getestet“ werden nur noch 500 restaurants, der rest wird erwähnt, aber bleibt ohne wertung. das dürfte bugetfreundlicher sein, mit einer überschaubaren truppe von testern zu bewältigen und benötigt keine spezialkenntnisse zur einschätzung von küchen jenseits des mainstreams. erkauft wird diese kurzfristige einsparung von ressourcen durch einen noch stärkeren verlust an glaubwürdigkeit und einer weiteren einschränkung des nutzwertes , der es törichterweise nicht mehr für nötig hält, sich mit der gastronomischen breite auseinanderzusetzen.