Frischluft. Vier französische Magazine im Frühjahr 2024

Bei der Beobachtung der nationalen und internationalen kulinarischen Presse fällt mehr und mehr auf, dass die Franzosen wieder vermehrt ihr eigenes Ding machen. Es gab Zeiten, da war man durch die Aktivitäten der Spanier, Franzosen und – eingeschränkt – Skandinavier (allerdings kaum jemals der Deutschen, Italiener, Niederländer oder Belgier – und schon gar nicht der Engländer oder Amerikaner…) ein klein wenig irritiert und berichtete ein klein wenig über sie. Die Texte über deutsche Restaurants wurden (und werden) hierzulande gerne gesehen und gelten immer noch als etwas Besonderes. Tatsächlich waren sie oft lieblos und unrepräsentativ gemacht, eher schwach bebildert und in der Regel ohne irgendeine größere Emphase für die kulinarischen Qualitäten. Darüber habe ich mich früher auch regelmäßig aufgeregt.

Mittlerweile sieht das Bild wieder anders aus, und ich empfinde das auch noch als Wohltat. Während deutsche Magazine – salopp gesprochen – sehr viel in der kulinarischen Weltgeschichte herumeiern und ihr zurückhaltendes Engagement für die deutsche Küche durch viele bunte Bilder aus fernen Ländern ersetzen, füllen die Franzosen ihre Magazine geradezu radikal mit den eigenen Leuten und den eigenen Produkten. Und – es ist unterhaltsam und interessant. Ich habe schon vor einiger Zeit einmal gesagt, dass man bei uns vielleicht ein Dutzend oder ein paar mehr Köche der Avantgarde zurechnen könnte, und dabei dann auch noch viele hätte, die sich stilistisch an irgendeinem internationalen Mischmasch orientieren, dass man in Frankreich aber im Prinzip über das ganze Land verteilt eine Unzahl von interessanten Köchen findet. Ich hatte damals aufgefordert, auf keinen Fall die Franzosen zu vergessen, weil sie mit ihrem massiven Interesse, einem viel größeren Gourmetpublikum als bei uns und einer nach wie vor guten Ausbildung einfach eine enorme Substanz zur Verfügung haben.

Ich jedenfalls – und deshalb schreibe ich das heute – war gerade drei Wochen eher im deutschsprachigen Raum unterwegs und habe mich wieder einmal über viele schwache kulinarische Zeitschriften und vor allem auch das völlige Fehlen von interessanten Kochbüchern aufgeregt (was so langsam zu einem echten Ärgernis wird). Und dann komme ich gestern nach Lüttich, meinem schnellsten Kontakt zu kulinarischen Quellen aus dem französischsprachigen Raum, bekomme zuverlässig in meinem Press Shop ein paar neue französische Magazine, und atme regelrecht durch: es gibt wieder Frischluft, Massen an Informationen, neue Namen, neue stilistische Tendenzen usw. usf. Natürlich gefällt mir auch nicht alles. Aber – es ist einfach eine Fülle und Konsequenz, die nicht so aussieht, als ob man sich in irgendwelchen Meetings stundenlang darüber den Kopf zerbrechen würde, was man denn nun warum und wie macht. Hier wird vor allem gesammelt und veröffentlicht. Punkt. Aus diesem Grund hier also nun vier aktuelle Hefte und ein kleiner Blick in den Inhalt.

 

YAM. Des étoiles plein les yeux. Heft 74, März/April 2024. 130 S., 9,90 Euro

Das ehemalige „Yannick Alléno Magazine“ hat sich mit den Jahren nicht nur von der engen Bindung an Alléno verbschiedet, sondern auch das Konzept etwas offener gestaltet. Geblieben ist ein Haupt-Feature mit buchreifen Bildern und Rezepten, in diesem Heft von Sébastien Vauxion

vom „La Table du Kilimandjaro“ in Courchevel. Es gibt immer ein gutes Interview und andere Informationen, danach weiß man wirklich deutlich mehr. Dass er als „einziger Patissier mit einem Stern“ bezeichnet wird, muss man da aus deutscher Sicht einmal unter den Tisch fallen lassen. Außerhalb von Frankreich gibt es ja keine Küche – oder so ähnlich… Das geht bis Seite 52. Es folgt der Bereich „Inspirations“ mit u.a. dem neuen/alten Lafayette’s, Wein aus Savoyen, alpinen Käsesorten und etwas über eine Porzellanmanufaktur. Dann ein Treffen mit Stéphane Jégo vom „Chez L’Ami Jean“ in Paris, einem der Hauptvertreter der Bistronomie – auch das mit Interview und einigen Gerichten, die stilistisch klar auf dem bei uns nicht richtig durchgestarteten Bistronomie-Kurs liegen (..ich habe den Eindruck, das man bei uns nie eine gute Rustikalität hinbekommt…).

 

Thuries. Le Magazine de la Gastronomie. Heft 356, April 2024. 106 S., 9,90 Euro

Dieser mittlerweile große Klassiker unter den französischen Gourmetzeitschriften erscheint seit Urzeiten quasi in unveränderter Form. Es beginnt mit diversen Infos aus der Szene. Dann kommt schon ein Klassiker, das „L’Album de Chef“, in dieser Folge mit Jean-Louis Nomicos, einem bei uns vergleichsweise wenig bekannten Meister, Chef von drei Restaurants, dem „Nomicos“, dem „Lasserre“ und dem „Le Franck“, dem Louis Vuitton-Restaurant im Bois de Boulogne. Es gibt jeweils ein Interview über die ganze Biographie und ein Beispielrezept („Dos de Saint-Pierre, Voilé de Poutargue en Oursinade“). Es folgt ein „Carnet de Recettes“ mit Nicolas Masse vom „Les Sources de Caudalie“ in Martillac nebst seinem Patissier Anthony Chenox. Die Mischung aus Bio und Beispielrezepten sind nie marktschreierisch und überdreht, sondern eher sachlich und informativ. Man bekommt ein Bild von Restaurant, Koch und Küche, und ich kann zum Beispiel auf einer guten Basis überlegen, wie wesentlich ein Besuch dort wäre. In dieser Art geht es weiter mit Mathieu Pérou, Raphael Rego und einer Neueröffnung in Paris („Oka“), neuen Büchern, dem „Album de Chef“ von Patissier Guillaume Mabilleau, neue Patisserie von Antony Prunet („Thuries“ war immer zu einem wichtigen Teil ein Patisserie-Magazin) und weiteren Informationen in Kurzform.

 

3 Étoiles. L’Universe des Restaurants, Bistrots, Haute Gastronomie, Hôtels d’Exception. Heft 80, Frühjahr 2024, 120 S., 12 Euro

3 Étoiles ist seit seiner Gründung deutlich anders geworden. Am Anfang gab es wirklich sagenhaft luxuriöse und gute Geschichten inklusive Speisekarten-Facsimiles. Das ließ sich natürlich nicht durchhalten, weil es so viele Drei Sterne-Restaurants auch nicht gibt (die weltweite Ausweitung war ja noch weit entfernt…). Heute geht es mehr in Richtung „Feinschmecker“ (was jetzt nicht als Lob gedacht ist), also vor allem viel Getue um Luxuriöses, angeführt von Herausgeber Maurice Beaudoin, einem einschlägig bekannten, fachlich eher begrenzt gebildeten kulinarischen Wichtigtuer. Immerhin gibt es auch hier viele Informationen – ein wenig immer unter der Überschrift: die französische Küche ist auf jeden Fall die beste der Welt. Hauptthema ist dann auch „Balade dans le jardin de la France“, also die Region Centre-Val-de-Loire mit verschiedenen Texten zu verschiedenen Protagonisten, darunter „Der unwiderstehliche Aufstieg des Christophe Hay“ (da wird niemand widersprechen..) oder etwas über die Altstars Charles Barrier und Jean Bardet. Im „Universe des bonnes Tables“ geht es u.a. um Daniel Boulud in New York oder Christophe Cussac in Monaco. Es folgt das „Universe des bonnes Choses und das der belles Bouteilles. Ein aus deutscher Sicht merkwürdiger, aus französischer aber wohl selbstverständlicher Text geht über den „Weltmeister der Pâté-Croûte 2023“. Das Podium ist in diesem Jahr wieder rein französisch, was man hier natürlich für selbstverständlich hält. Die Gourmet-Vereinsmeierei der Franzosen wird ja mittlerweile auch bei uns mit einer Unzahl von Köchen des Jahres und anderen Auszeichnungen kopiert. Das merkwürdige an dieser ist natürlich, dass wir gerade zum Beispiel in München mit Jan Hartwig und auch dem Tantris DNA intensive Bemühungen in dieser Richtung haben. Und hat nicht Jan Hartwig gerade ein ganz wesentliches Problem der Pâté en croûte gelöst? (Darüber später an anderer Stelle mehr).

 

Fou de Cuisine. Culture Chef-fe Nummer 35, März, April, Mai 2024. 130 S. 7,50 Euro

 

Dieses Heft wird seinem Titel vollkommen gerecht. Es ist eine wilde Ansammlung von Neuigkeiten aller Art, hier ganz auffällig ohne Lifestyle-Getue und ohne Vereinsmeierei, aber auch ohne Foodie-Gehabe, das sich ja meist durch eine naive Sicht aus der Perspektive der staunenden aber nichtsdestotrotz überaus selbstbewußten Nichtwisser auszeichnet. Nein, hier weiß man, was gut und neu ist und liefert es ohne Punkt und Komma ab. Auf die vielen Seiten mit Neuigkeiten aus allen möglichen Bereichen will ich nicht weiter eingehen. Größere Features gibt es für das Bresse-Huhn und seine Erzeuger. Ab Seite 41 folgen die Köche und Köchinnen. Es gibt ein Text zu Paul Pairet, der jetzt auch in Paris vertreten ist (mit einem bemerkenswerten Poulet au Gril), eine Strecke mit diversen Thunfisch-Rezepten, einen Artikel über den Hummer à la nage und mit Citronelle der beiden MOFs vom Restaurant Paul Bocuse (mit Step-by-Step-Bildern) und einen großen Text – auch hier – über Christophe Hay mit div. Rezepten (die ausführlichen Rezepte finden sich alle am Ende des Heftes). Es folgen weitere kleinere Features mit jungen Köchen, Neueröffnungen oder neuen Formaten.

 

Soweit der kleine Überblick. Es fehlt noch das neue Gault Millau-Heft und Cuisine A+D, ein ebenfalls ganz auf Köche ausgerichtetes Magazin. Was grundsätzlich auffällt, ist, dass irgendwelche Hobbyköche/Blogger in diesen Magazinen nicht vertreten sind. Da hält man sich in Frankreich eher an alte Handwerker-Regeln. Was natürlich nicht bedeutet, dass es nicht auch in Frankreich genügend Medien gibt, in denen Blogger-Rezepte veröffentlicht werden – auffällig häufig übrigens dort, wo Journalistinnen am Werk sind. Deren projektive Trivialität in der Sicht auf Kulinarisches (oder kulinarischer Populismus) führt dann offensichtlich häufig zu einer Abneigung/Ablehnung in Richtung professioneller Köche. Man will eben nicht lernen durch Staunen über tolle Sachen, sondern machen und dann behaupten, das habe Qualität….sozusagen.

 

 

 

6 Gedanken zu „Frischluft. Vier französische Magazine im Frühjahr 2024“

    • Alles klar. Unter „projektiver Trivialität“ (ein von mir schon vor vielen Jahren in diesem Zusammenhang eingeführter Begriff) verstehe ich, dass man Sachen oft so beurteilt, wie das eigene Niveau ist. Und da hat man dann oft Leute, die nur wenig wissen und können und dann nur Sachen gut finden (können), die ihrem Niveau entsprechen. Im kulinarischen Bereich finden wir das sehr häufig und eben oft bei JournalistInnen und Bloggerinnen, bisweilen aber zum Beispiel auch bei bekannten Feuilleton-Redakteuren, die aus ihrem eigenen trivialen Erleben verallgemeinernde Folgerungen über das Fach ziehen.

      Ich habe anders gelernt. Ich habe mir in ganz frühen Jahren, nachdem meine Frau mich im Alter von schon 35 Jahren langsam zum Gourmet gemacht hat, gesagt: ich habe keine Ahnung. Also gehe ich jetzt einmal davon aus, dass das, was Sterneköche machen, gut ist und die Geschmacksbilder so sind, dass ich sie mir einprägen sollte. Ich habe also nicht von meinem „Geschmack“ her (von dem mir klar war, dass er noch nicht entwickelt war) Dinge beurteilt, sondern gelernt, gelernt und nochmal gelernt. Aus dem Staunen über so viel Finesse bei den Besten der Zunft habe ich die Energie bezogen, auch in diese Richtung zu arbeiten. Ich unterstelle heute vielen Redakteurinnen und BloggerInnen, dass ihnen die Demut fehlt, wirklich Gutes zu erkennen und zu akzeptieren. Stattdessen versuchen sie, ihren kargen Mist (ja oft nur Assemblagen der simpelsten Art) als gut zu verkaufen. Was bleibt ihnen auch übrig…

      Gruß JD

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  1. Wenn man es andersherum sieht, bekommt man in Frankreich einfach keine Informationen über deutsche Spitzenköche und schon gar nicht über reine Dessert-Restaurants mit zwei Sternen. Ich habe zum Beispiel Christian Hümbs immer für Weltklasse gehalten. Er hat in Frankreich keine Spuren hinterlassen – oder, genauer: es wurde nicht transparent, wer sich von ihm hat inspirieren lassen.

    Die Auftritte französischer Koch-Größen im TV sind oft überraschend banal. Ich erinnere mich an diverse Sachen mit Alain Ducasse, die einfach so schlicht waren, dass man sich wundert, wieso er so gute Sachen gemacht hat.

    Bruno Versus ist ein ganz besonderer Fall. Er hat ja quasi die Seiten gewechselt und möglicherweise sogar das Zeug zu 3 Sternen.

    Gruß JD

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    • Ich stimme da in Teilen zu. Ducasse habe ich zu wenig häufig gesehen, um ein abschließendes Urteil treffen zu können, aber ich kann den ihrer These nachvollziehen. Für Gagnaire gilt das zum Teil, wobei sein grundsätzliches Fachwissen unbestritten ist. Grundsätzlich habe ich den Eindruck: es gibt in Frankreich eine klare Distinktion zwischen der alten Garde bzw den von Ihnen als „Koch -Größen“ bezeichneten Personen (wobei hier zu diskutieren wäre, ab wann man eine Koch-Größe ist) und der jüngeren Generation, die ja ganz offensichtlich einen viel intensiveren Austausch mit den Medien sucht (schon alleine aus Werbegründen) und deshalb auch in der Lage ist, deskriptive Kulinarik viel deutlicher zu artikulieren. Ein gutes Beispiel ist Jean François Piège, der früher in der Jury von Top Chef war, und den ich für einen unglaublich versierten Fachmann halte, der weiß, wovon er spricht. Ähnliches kann ich von einer Reihe weiterer Köche behaupten. Da tut sich die ältere Generation offensichtlich schwerer (Eric Frechon würde ich da fast schon zu den Jüngeren zählen).

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  2. Die (falsche) Behauptung zu Sébastien Vauxion, er wäre der einzige Patissier weltweit mit Stern (genauer: mit zwei Sternen) ist mir in Top Chef ebenfalls schon aufgefallen und zeigt das französische Selbstverständnis. Thuries finde ich ebenso eine sehr informative und mit sehr anschaulichen Rezepten (unlängst zu Arnaud Donckele) gefüllte Zeitschrift.
    Zu ihrer These, warum Blogger weniger in Zeitschriften präsent sind: aus meiner Sicht ist in Frankreich das entsprechende Rollenverständnis etwas anders definiert: das was bei uns ein „Blogger“ wäre, ist in Frankreich oft ein „Kritiker/Journalist“. Woran ich das festmache? Ein gutes Beispiel ist François-Régis Gaudry, den ich regelmäßig über seine Präsenz in Top Chef/La Brigade Cachee verfolge. So wie er auftritt und argumentiert, würde ich ihn im deutschsprachigen Raum eher als Blogger einordnen. Vorgestellt wird er im Fernsehen aber immer als Kritiker. Laut Web ist er Journalist. Bruno Verjus ist für mich ebenfalls ein Beispiel für einen solchen fließenden Übergang.

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