Heiko Antoniewicz/Ludwig Maurer: Fine Dining Grill & BBQ. Dorling-Kindersley Verlag, München 2022. 240 S., geb., Hardcover, 69.90
Es geht wieder los mit den neuen Büchern. Dieses Buch aus der Hand von zwei der wichtigsten deutschen Impulsgeber aus dem „Maschinenraum“ der Kochkunst war überfällig. Nach einigen Jahren Grill-Hysterie, die als Effekt vor allem gebracht hat, dass man gefühlt alle 150 Meter eine meist männliche Person findet, die sich für eine Art Grillweltmeister hält, ist allerlei durcheinander geraten. Sicher, wir haben nun einen großen Wissensanstieg was Produktqualitäten, Geräte, Zubehör und Garzeiten angeht. Aber wenn ich mir so ansehe, was damit angestellt wird, wie viel Fleisch nach wie vor gleich im Handel mit dicken Marinaden verkauft wird und was man sich auf der anderen Seite an kulinarischer Präzision vorstellen könnte, kann man eigentlich nur abwinken. Ja, man hat den Einstieg geschafft, aber dann greifen gleich wieder Mechanismen, die man „kulinarischen Übermut“ nennen könnte: man hält sich für viel zu gut und erforscht dann viel zu wenig.
In der Spitzenküche gibt es natürlich einige internationale Spezialisten, im Grunde aber wenig wirklich entwickeltes Grill-Denken. Man scheint allgemein auch ein wenig zu befürchten, dass Grill & Co. eher etwas für Casual Fine Dining, nicht aber für das „richtige“ Fine Dining ist. Außerdem wird das Grillen auch in der Spitzenküche letztlich immer noch oft eher klischeehaft eingesetzt und nicht so, wie man es wirklich in einer individuell entwickelten Form angehen sollte. Ich hatte jedenfalls höchst selten den Eindruck, dass man die riesige Palette von Möglichkeiten wirklich ernst nimmt und als festen Bestandteil der Kochtechnik integriert. Und hier kommt nun dieses Buch ins Spiel, das natürlich von Leuten geschrieben ist, die die ganze Palette von Asador Etxebarri bis zu Rédzepi oder Frantzén kennen und wissen, dass man eine integrative Nutzung von Grill & Co. erreichen kann, also eine Nutzung, die auch feinste Nuancen kennt, die wiederum eine ganz andere Kombinatorik möglich machen. Wer mit der Brechstange Grillnoten installiert, schränkt eben seine kulinarischen Variationsmöglichkeiten eher ein als sie zu erweitern.
Das Buch
Es überrascht wenig, dass sich Antoniewicz/Maurer mit den Besten der Branche zusammengetan haben, um dieses Buch zu realisieren. Und die Besten der Branche finden sich eben in den Fachmedien, der Industrie, dem Handel oder auch der Wissenschaft. Ich weiß, dass es Leser gibt, die über die Zusammenarbeit mit der Industrie kritisch denken. Aber – es ist ja nicht so, dass es bei solchen Dingen im kulinarischen Bereich um mehr oder weniger schwache Produkte geht, die nach einer Gratiskreuzfahrt und drei Wochen in Luxushotels von den Autoren dann in den Himmel gelobt werden. Wenn also hier etwa von Florian Knecht das „Big Green Egg“ vorgestellt wird, handelt es sich um ein Kultprodukt, das jeder gute Koch hat oder haben möchte. Das Wissen vom optimalen Funktionieren und Einsatz solcher Geräte ist bei den Herstellern naturgemäß am höchsten entwickelt. Sie einzubinden hat etwas von einer inhaltlichen Logik.
Und so beginnt das Buch auch erst einmal mit einer fachlichen Darstellung von Allem, was bei diesem Thema technisch relevant ist. Es geht um „Feuer Frei“, geschrieben von Elmar Fetscher, dem Chefredakteur und Herausgeber von „Fire and Food“. Es folgt „Das Big Green Egg – Ikone, Original und Qualität von Florian Knecht, dem Chef der deutschen Dependance. Der Text zum Kapitel „Feuer – Hitze – Glut“ stammt von Marcel Speidel, ausgebildeter Asador (also Grillmaster) und Händler für bestes Fleisch in Mainz. Den Abschluss bildet präzise Theorie von Michael Podvinec, dem Molekularbiologen und Autor. Alle diese Texte sind nicht weitschweifig, aber professionell im Anspruch. Hier sollen offensichtlich die Grundlagen in allen Bereichen ohne unnötige Popularisierungen und/oder Vereinfachungen präsentiert werden. Es geht also (bei Podvinec) zum Beispiel um das berühmt-berüchtigte Acrylamid, darum, wie man Fleisch richtig vorbereitet, um „Rückwärts garen“ oder um die Fragen rund um Außen- oder Innentemperatur.
Ab etwa Seite 50 gibt es Rezepte, die nach einem überraschenden System geordnet sind, und zwar nach der Höhe der Temperatur, die zum Einsatz kommt. So etwas macht Sinn und zeigt, dass man Grilltechniken in einem weiten Spektrum zwischen einer langsamen Garung/Aromatisierung bis zu einer extrem kurzen Flash-Garung („snackée“ sagen die Franzosen schon mal dazu) einsetzen kann, und das dabei ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden können. Es beginnt bei Gartemperaturen bis 100°, etwa Thunfisch (kaltgeräuchert) 15°, Hirsch 36°, Guacamole 60°, Kapaun 64°. Bei 100 – 200° gibt es Texas Beef Ribs (120°), Wachtel bei 120/190°, Wagyu Surf & Turf bei 180°. Bei 200 – 300° folgen zum Beispiel der Schweinebauch mit 200°, Kohlrabi mit 200°, Wagyu-Tataki mit 230°, oder BBQ King Crab mit 250°. 300 – 400° werden z.B. beim Perlhuhn (300°) oder bei der Lammzunge eingesetzt. Noch weiter oberhalb gibt es ein Austernrezept (400°), Rib Eye bei 800°, Ente oder den Lobster Thermidor bei 800°.
Im Detaiil folgen die Rezepte dem Konzept des Buches, sind also in erster Linie eine Quelle für Profis und/oder professionell orientierte Privatköche, die in den angewandten Kochtechniken (also etwa der Vakuumgarung) schon vertraut sind und für die auch die verwendeten Produkte nicht neu sind. Der Schweinebauch etwa wird mit Pulpo, Zittrone, schwarzem Gemüse und Lauchzwiebel gemacht. Die 400° – Auster hat Austern, Percebes, eine Dashivinaigrette, Algenöl und eine Austernmayonnaise. Die Ente kommt mit Kakao, weißer Schokolade, Entenjus, Kai-Lan und Zwetschgenkaviar, das Perlhuhn mit gefrostetem Ziegenkäse, orange Süsskartoffel, Geflügeljus, Süsskartoffelkompott und violetter und weißer Süsskartoffel, das Bisonfilet mit Bockshornklee, Blumenkohl, Blumenkohlpüree und Rinderjus. Wer die Arbeit von Antoniewicz und Maurer kennt, wird feststellen, dass sich ihre professionelle Orientierung durch alle Rezepte zieht. Es gibt originelle Ideen für die Akkorde, immer eine abwechslungsreiche sensorische Struktur, nicht zuviel Deko (aber dekoratives Anrichten) und einen Stil, der ein – sagen wir: pädagogisch abgefedertes Stück oberhalb des Mainstreams liegt. Man verwirklicht sich eben nicht, sondern ist vor allem pädagogisch tätig, wobei beim Kochen auf diesem Niveau natürlich der pädagogische Zeigefinger komplett fehlen kann.
Fazit
Die Frage, ob dieses Buch also wirklich Fine Dining-Versionen bringt, ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Wie in den meisten Büchern dieser Art sind die Rezepte für die Bücher gemacht und nicht solche, die sich im Alltag eines Restaurants ebenso abgeschliffen wie weiterentwickelt haben. Sie sind also eher Anregungen dazu, endgültige, individualisierte Lösungen aus der Hand sehr guter Köche zu schaffen, sie sind Vorlagen, die man übernehmen kann und soll, und sie legen dabei die Latte so hoch an, dass man sie außerhalb von Fine Dining wohl kaum antreffen wird.
So gesehen und verstanden ist das Buch wieder von sehr guter Qualität, unbedingt zu empfehlen und liegt in der. Bewertung etwa bei 2 B plus.
Fotos: Thorsten kleine Holthaus
Um es überspitzt zu sagen: Für die Rezepte in diesem Buch braucht man nicht unbedingt einen Grill. Zwingend notwendig ist aber eine Sous-Vide-Ausrüstung. Irgendwie etwas Themaverfehlung…. Spannend wäre aus meiner Sicht gewesen, wie man mit einem Grill fine dining hinbekommt, eben ohne technisch nachzuhelfen. Hier wird dann meist am Ende nur noch kurz auf den Grill gefinished.
Schön wenn man so flexibel ist. In diesem Buch wird Big Green Egg beworben und als Must-Have (laut Herrn Dollase) gepriesen und im letzten Buch des Autors zu einem ähnlichen Thema (Asche) wurde product placement mit der deutschen Firma Monolith betrieben. Von welchem der zwei Produkte ist der Koch denn jetzt überzeugt!? Oder ist am Ende jeder Kamado identisch und der Rest ist Marketing-Geschick?
Aus fachlicher Sicht würde mich interessieren wie die zwei Bücher zueinander stehen bzw. ob es hier Überschneidungen gibt. Außerdem ist mir nicht ganz klar wo genau der Mehrwert dieses Buches liegt. Wo sind die Innovationen oder Verfeinerungen versteckt? In den „Beilagen“? Denn eine Anleitung z.B. für 3-2-1-Rippchen finde ich überall im Internet kostenlos.