Es machte ein klackendes Geräusch, als ich die Lampe an meinem selbstgebauten Schreibtisch einschaltete. Die Lampe ist alt, in einem Beigeton lackiert, der von der Zeit gezeichnet ist, und scheint aus dem Nachlass einer Universität oder einer Schule zu stammen. Eine gewöhnliche, althergebrachte Glühbirne befindet sich in der Fassung, die irrwitzige 60 Watt auf die Uhr bringt – nach heutigen Maßstäben beinahe undenkbar für ein einfaches Schreibtischlicht. Auch wenn ich in vielen Dingen eher vom altmodischen Schlag bin, ist meine gesamte Wohnung mit energiesparenden Lampen ausgestattet, die zugegebenermaßen mittlerweile eine sehr ausgefeilte und angenehme Lichttechnik verbaut haben. Doch als die LED-Birne ihren Geist aufgegeben hatte, fand sich nur noch ein altes und verstaubtes Modell im Schrank – Marke OSRAM. Das Licht, welches sie pflichtbewusst auf den Schreibtisch wirft, ist wundervoll und die feinen Wolframdrähte im Inneren haben etwas Hypnotisierendes, wenn ich sie etwas dunkler dimme. Wir kennen Virtual Reality, 3-D-Fernseher für das eigene Wohnzimmer und zahlen kontaktlos, ohne unseren Geldbeutel aus der Hosentasche zu holen – doch scheint es manchmal, dass uns die profansten Dinge im Leben faszinieren.
Es ist zu dunkel an meinem Schreibtisch. Wenn ich mich abends vor dem alten Macintosch wiederfinde, merke ich, dass mir immer weniger Zeit zum Schreiben bleibt, bis ich den Schalter besagter Lampe betätigen muss und zu Beginn erwähntes Klacken die Wohnung durchdringt. Wenn es sehr gut läuft mit der Arbeit an meinen Kolumnen oder dem neuen Roman, dann bemerke ich diese Tatsache zumeist erst, wenn ich im Stockfinsteren sitze. Wenn es etwas holpriger läuft, schweift öfter ein Blick aus dem Fenster. Und was gibt es da zu sehen? Tristes Wetter, Wolken und nur noch wenig Sonne. Das scheint zumindest die einhellige Meinung meiner Mitmenschen zu sein. Schade, dass der Sommer vorüber ist. Wie traurig, dass man nicht mehr guten Gewissens zum Grillen im Garten einladen kann – zumindest nicht ohne einen Plan B zu haben. Wenn ich aus dem Fenster blicke, um mich vor meiner Arbeit zu drücken, dann sehe ich etwas ganz Anderes. Eine Welt im Wandel, den spektakulären Beweis von Vergänglichkeit, ja, die Königin der Jahreszeiten, die es sich langsam gemütlich macht, um uns in den nächsten Monaten Gesellschaft zu leisten.
Wenn es um meine Kreativität einmal noch schlimmer bestellt ist und ich beim besten Willen keine Ausflüchte mehr finde (wenn also das Leergut weggebracht, die Wohnung gewischt, die Bücher abgestaubt, die Katzen gebadet und die Duschtasse neu verfugt ist…), dann stehe ich in der Küche und lehne mich an die Arbeitsplatte, mit einer Tasse Tee in der Hand und blicke auf die nie zur Ruhe kommende Nord-Süd-Fahrt, hier in Köln.
Auch wenn mein Ausblick Gegenteiliges bestätigt, so habe ich doch das Gefühl, dass sich im Herbst die Welt ein klein wenig langsamer dreht. Ein wohliger Schauer überkommt mich, wenn ich höre, wie der Regen gegen die Fensterscheibe peitscht – und ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Wir nehmen uns wieder etwas mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Das gemeinsame Essen im trockenen und gemütlichen Wohnzimmer. Das Kochen mit Freunden, dass gemächlich in einen behaglichen Plausch auf der Couch übergeht. Oder das Spazieren durch welkendes Laub, vorbei an blühenden Astern, deren eigenartigen Geruch man in sich aufsaugt, während man seinen Gedanken frönt und sich klar wird, dass die dünne Jacke die richtige Entscheidung gewesen ist.
Wir setzen wieder andere Prioritäten, sind froh, wenn wir einmal zuhause bleiben oder es uns in unserer Lieblingsbar gemütlich machen können, anstatt rauszugehen, im Park zu grillen oder um die Häuser zu ziehen. Es ist die Zeit, in der wir uns auf die ersten Maronen freuen, auf Federweißer und Zwiebelkuchen, in der wir uns verabreden, um Kürbisgesichter zu schnitzen und dabei alte Platten zu hören. Und um uns gemeinsam einen Drink zu genehmigen, weil wir genau wissen, dass im nächsten Herbst nichts mehr so ist, wie in diesem.
Für unseren Cocktail brauchen wir wieder etwas Vorbereitung. Als erstes seihen wir die Baby-Birnen ab und fangen den Sud in einer kleinen Stielkasserolle auf. In diesen Sud geben wir eine angeschlagene Kapsel Kardamom und einen Sternanis. Den Sud lassen wir einmal aufkochen und ziehen ihn dann sofort vom Herd. Wenn dieser Sirup handwarm ist, kann er in eine Flasche gesiebt und kühl gestellt werden. Jetzt kann der Spaß beginnen: Wir geben 6 cl Beefeater, 3 cl Zitronensaft, 3 cl Gewürzbirnensirup und 1 Dash Chocolate Bitters, sowie 1 BL Eiweißpulver in einen Cobblershaker ohne Eis. Für einen Dry-Shake geben wir die Strainerspirale dazu und shaken dann einige Sekunden lang kräftig und sorgfältig. Nachdem wir die Strainerspirale entnommen haben, geben wir einige Eiswürfel dazu und schütteln den Drink kalt. In ein mit Eiswürfeln gefülltes Highballglas seihen wir den Drink doppelt ab. Vorsichtig wird mit einem Schuss Sodawasser aufgegossen.
Der Plattenteller dreht sich weiter, während ich am Fenster stehe und mich vor der Arbeit drücke. „Our house, is a very, very, very fine house…“, höre ich Graham Nash aus den Boxen des Dual-Plattenspielers beteuern. „…with two cats in the yard, life used to be so hard…”, geht es bezeichnenderweise weiter, während mein Kater in der Küchentüre liegt und seinen von Purina geschwollenen Bauch leckt. Ich werfe noch einen schnellen Blick nach draußen, während es dämmert, bevor ich mich endlich wieder an die Arbeit setze, an meinen Schreibtisch – und das Licht einschalte.
Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 6 cl Beefeater Gin (Art. Nr. 39677) • 3 cl Zitronensaft (Art. Nr. 26906) • 3 cl Gewürzbirnen Sirup (hergestellt aus Art. Nr. 33429) • 1 Dash Bitter Truth Chocolate Bitters (Art. Nr. 45366) • 1 Spritzer Sodawasser • 1 BL Eiweißpulver (Art. Nr. 22452)