Essenz und Ausdruck

Frank Kayser: Essenz. Sterne der Rhön. Frank Kayser, Eichenzell 2022. 306 S., geb., 80 Euro (über www.frankkayser.com)

 

 

Die Bücher über gute Köche werden oft in zwei völlig unterschiedlichen Formen hergestellt. Die einen haben quasi ausschließlich Rezepte und Rezeptfotos. Sie wirken so „abgeschnitten“ von der Welt, wie es manche Köche ja tatsächlich sind. Manche kennen einfach nur ihre Küche und den Lieferwagen des Gastronomiebedarfs, der morgens die neue Ware bringt, die man abends zuvor bestellt hat. Woher die Ware kommt, spielt kaum eine Rolle. Die andere Sorte von Köchen arbeitet in einer Region und ist fest mit den regionalen Ressourcen und vor allem ihren Produzenten verbunden. Außerdem kennt man die Landschaft, reflektiert lokale Gerichte und Traditionen und sieht die eigene Arbeit weitgehend als ein Produkt dieser konkreten Grundlagen. Von letzteren sind exzellente Bücher erschienen, in denen man in der Regel so gut wie Alles über die Menschen ihre Gedanken und eben die genannten Grundlagen erfährt. Ich denke da zum Beispiel an Bücher wie das von Norbert Niederkofler („Cook the Mountain“), Esben Holmboe Bang (vom „Maemo“ in Oslo) oder auch Magnus Nilsson vom „Fäviken“. Es gibt da eine ganze Reihe in allen möglichen Ländern und allen möglichen Intensitäten, allerdings kaum jemals aus Deutschland.

 

 

Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass die Machart dieser Bücher ohne weiteres auf Deutschland übertragbar ist, und dass man nicht dem alten Vorurteil anhängen solle, bei uns gäbe es das Alles nicht und da gäbe es dann auch nichts zu berichten. Ich habe den Verlagen vorgeworfen, so etwas nicht riskieren zu wollen – selbst dann nicht, wenn ein Buch dieser Art für das Image mancher der arg in Discounternähe arbeitenden Verlage vielleicht gut wäre. Es wäre für alle Beteiligten gut, wenn wir so etwas hätten, wenn die Kochkunst und die besten Köche in einem größeren Zusammenhang gesehen werden könnten, wenn das gesamte Image einen Sprung nach vorne machen könnte. Wenn die Ästhetik einer Sache stimmt und das Richtige kommuniziert, hat man oft schon sehr viel gewonnen.

 

 

Das Buch

Nun hat sich sozusagen ein Privatmann ins Spiel gebracht, der Fotograf Frank Kayser, der mit Hilfe einiger ähnlich interessierter Grafiker und Texterinnen ein solches Buch angegangen ist. Es geht im Buch um die kulinarisch bisher nicht übermäßig in Erscheinung getretene Region „Rhön“, und der Titel „Sterne der Rhön“ kann insofern nicht auf ganze Riegen von Sterneköchen angewandt werden. Es geht also um eine Region und nicht um einen einzelnen Koch, und trotzdem sollte das Buch im Zusammenhang mit dem oben gesagten interpretiert werden. Im Mittelpunkt stehen kulinarisch aktive Protagonisten (von der Störzucht bis zu einem Fleischproduzenten und einer Natur- und Landschaftsführerin) – ein wenig willkürlich in „Feuer“, „Wasser“, „Erde“, Luft“ eingeteilt, aber immer atmosphärisch gut und mit vielen Sachinformationen angereichert beschrieben. Gegen Ende des Buchs gibt es unter der Überschrift „Immer wieder sonntags“ Rezepte von Sternekoch Björn Leist, der vorher schon als Botschafter der Rhön vorgestellt wird Im Buch gib es quasi keine Foodfotografie. Ob man Christian Steska aus Fulda („Christian&Friends) hätte einbinden können oder müssen, ist eine müßige Frage, weil es hier nicht um eine. lexikalische Darstellungen aller guten Köche geht.

 

 

Überhaupt geht es mir hier erst einmal nicht so sehr um den konkreten Inhalt wie um die auffällige Form und Präsentation des Ganzen. Das Buch hat eine Machart, die ganz offensichtlich das Thema in einem anderen ästhetischen Zusammenhang sieht, als das üblich ist. Den Beginn macht ein Titel wie aus einem Atelier, ein Rezeptentwurf auf brauner, grober Pappe gedruckt. Es folgen einige Landschaftsbilder auf einem speziellen, ebenfalls braunen Papier. Dieses andere Papier spielt immer wieder eine Rolle und insgesamt bekommt das Buch eine Art farblich gebrochenes Kolorit ohne plakative Farben. Viele Bilder haben eher handwerkliche Inhalte oder wirken wie fotografische Notizen. Kayser spielt mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher fotografischer Schwerpunkte, ohne dabei aber zu weit zu gehen. Es handelt sich eben um einen ästhetisierenden Blick, nicht aber um eine verkrampfte Stilisierung, die durchgehalten wird, ohne dass es einen inhaltlichen Zusammenhang gäbe. Und so steht am Ende nicht nur der textliche Bericht über die Rhön und ihre kulinarischen Handwerker, sondern auch eine bildnerischer Bericht, der von einer hohen Sensibilität geprägt ist. Kulinarisch Interessierte würden vielleicht an Vielem vorbeigehen, der Fotograf tut das nicht und sieht mehr Zusammenhänge.

 

 

Aus all dem ergibt sich dann jener Meta-Effekt, der mich besonders interessiert. Mit diesem Blick auf einen Koch, auf Produzenten, auf Produkte und auf eine Landschaft kann man in ganz Deutschland arbeiten und über jeden Koch ein sehr gutes Buch machen. Vielleicht ist es die Absicht von Frank Kayser, mit diesem Buch über die nicht übermäßig spektakuläre Rhön ein Muster zu schaffen, ein Angebot für ähnlich aufgebaute Darstellungen mit anderen Protagonisten im Mittelpunkt, mit allen möglichen Regionen, mit Köchen und ihren Produzenten usw. usf. Kayser legt vor, er zeigt in einer Privatinitiative, wie es aussehen kann und dass es bei uns genau so gut aussehen kann, wie etwa bei Köchen, die wir in einer privilegierten Landschaft wähnen. Mit einem veränderten Blick auf Regionales können wir eben die Dinge auch anders verstehen und – immer sehr wichtig – auch ihre ästhetische Qualität erkennen. Wie sagte es René Redzepi einmal sinngemäß auf dem „Chefsache“ – Kongress auf meine Frage, was er denn in Sachen neuer Regionalität deutschen Köchen raten könne: „Es ist alles kein Problem, ihr habt doch alles, von der See bis zu den Alpen, ihr habt eine ungeheure Vielfalt und müsst sie nur sehen und nutzen.“

 

 

In diesem Zusammenhang gesehen ist „Essenz“ ein sehr interessantes Buch, ein Eintauchen in eine kulinarisch durchzogene Welt, in der wir längst leben (oder immer noch leben), die wir aber vielleicht noch nicht richtig begriffen haben.

Dies ist natürlich kein Kochbuch im engeren Sinne und es steht insofern noch ein wenig aus, was Kayser bei der Foodfotografie leisten könnte. Das Buchkonzept ist jedenfalls schon einmal ein strammes Statement.

Fotos: Frank Kayser

 

 

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