Callwey Verlag, München 2020. 288 S., geb., Hardcover, 29,95 Euro (Original: Bloomsbury. London 2018)
Normalerweise gibt es gute Gründe dafür, dass an dieser Stelle keine Bücher von Amateuren, BloggerInnen oder Prominenten besprochen werden. Für mich leisten sie oft in keiner Weise einen Beitrag zu Irgendetwas: zur Kochkunst sowieso nicht, aber auch nicht dazu, gute, einfache Rezepte zu produzieren, die man im Alltag wirklich brauchen kann. Dazu fehlt oft das Handwerk, die Übersicht und vor allem die Raffinesse. Es kommt mir oft so vor, als ob viele (oder fast alle) dieser AutorInnen sich die Tatsache zunutze machen, dass man eigentlich alle Produkte irgendwie zusammenwerfen kann und dass das Ergebnis dann irgendwie gut oder zumindest erträglich schmeckt. Auf diese Weise sind mittlerweile schon Hunderte von Büchern entstanden, die im Grunde kein Mensch braucht. Dass sie dennoch oft ein Verkaufserfolg werden, liegt wohl eher daran, dass sie die Unkenntnis der Leser entweder nutzen oder reflektieren. Es ist ein Trauerspiel, das der Kochkunst insgesamt bei weitem mehr schadet als nützt. Dass das heute hier vorgestellte Buch in Großbritannien und den Niederlanden schon sehr populär ist, hat wohl vor allem etwas damit zu tun, dass diese Länder schon seit vielen Jahren von Büchern überschwemmt werden, die die kulinarische Fummelei fördern, nicht aber einen guten Geschmack und gute Ergebnisse.
Bestätigen Ausnahmen die Regel?
Aber – „Die Geschichte beginnt mit einem Huhn“ scheint im ersten Moment etwas anders zu sein und in gewisser Weise geradezu sympathisch. Die Autorin schreibt für verschiedene Zeitungen und hat bisher noch kein Kochbuch geschrieben. Sie hatte wohl eine schwere Krise und konnte sich über die Liebe zum Kochen davon befreien (um es ganz kurz zusammenzufassen). Ihr Buch hat eine klare Besonderheit: die Autorin lässt den Leser sehr nahe an ihre Gedanken heran und schildert ihr Leben rund ums Essen in allen möglichen, oft auch „grunderschütternd ehrlichen“ (so der Verlag) Details. Es kann vermutet werden, dass sich viele Leser in dieser Form der Berichterstattung, bei der man die Arbeit in der Küche auch einmal für eine Tasse Kaffee unterbricht, wiedererkennen und schmunzelnd verfolgen, wie sich die Autorin da so durchs kulinarische Leben schlängelt.
Zitat: „Sie (Anm.: es geht um Stubenküken) sind überhaupt nicht schwierig zuzubereiten, aber für einen Abend unter der Woche ist es ziemlich aufwendig, überhaupt welche aufzutreiben, und da es unwahrscheinlich ist, dass du zufällig welche zu Hause hast, stehen sie hier. Ein Stubenküken ist eigentlich nichts anderes als ein junges Huhn, aber es klingt edel, und das ist schon die halbe Miete. Die andere Hälfte der Miete ist, glaube ich, sie gnadenlos in Harissa, Olivenöl, Sesamsamen und Meersalz zu tauchen…“
Das klingt „normal“, vernünftig, irgendwie cool, ist aber vermint. Einerseits sieht man da einen Typus von Neo-Hausfrau vor sich, wie er in immer neuen Ansammlungen von Klischees in den Medien auftaucht, andererseits deutet sich hier an, dass der kulinarische Ansatz des Ganzen problematisch ist. Das beginnt schon gleich zu Anfang des Buches mit dem titelgebenden Huhn und einem weiteren Problem bei dieser Art von AutorInnen. Zitat: „Die Geschichte beginnt also mit einem Huhn. Es ist das beste Brathuhn, das du jemals essen wirst, und ich glaube, es könnte fast perfekt sein.“ Einerseits machen sich solche AutorInnen absichtlich klein und pflegen eine Art kulinarischen Populismus, von mir zu dir, ganz unter uns, wir sind doch alle irgendwie gleich. Andererseits entwickeln sie ein absolut autoritäres Selbstbewusstsein, mit dessen Hilfe sie sich nicht scheuen, ihre fragwürdigen Rezepturen notfalls als die besten der Welt zu bezeichnen.
Die unter Umständen guten Aspekte, die dann aber zunehmend wieder zugeschüttet werden
Wenn man das Buch etwas länger auf sich wirken lässt, bekommen erst einmal die positiven Aspekte mehr Gewicht. In der Regel kann man ja immer wieder Kochbücher beklagen, in denen es außer Bildern von den Gerichten und mehr oder weniger ungenauen Rezepten sonst kaum etwas gibt. Das „Huhn“ ist da ganz anders. Es gibt jede Menge Details – darunter auch nicht-kulinarische – es ist eben ein Bericht mitten aus dem Leben. Und weil diese Berichte auch noch vergleichsweise klein gedruckt sind, bekommt man ein recht umfangreiches kulinarisches Lesebuch. Im Grunde ist es sogar eher ein Lesebuch als ein Kochbuch, weil man doch immer wieder über geschmackliche und/oder technische Schwächen stolpert, die ein wirklich gutes Kochbuch nicht haben sollte.
Formal geht es um „In der Küche“ mit allerlei Hinweisen zu Materialien und Praxis, dann „Frühstück“, „Suppe & Brot“, „Picknicks & Pack-ups“, „Vorratsschrankgerichte & Mitternachtsgelage“, „Wochenendküche“, „Süße Sachen“ und „Brühe gut, alles gut“. Dahinter verbergen sich Abschnitte wie: „Ungehörige Beeren-Crumble-Muffins mit gebräunter Butter“, „Böse-Stiefmutter-Schwarzbrot“, „Rauchige Rote Bete-Pistazien-Suppe“. Der Leser ahnt: da baut sich etwas auf, das die kulinarischen Aspekte deutlich überlagert. Dazu ein Zitat: „Eines Abends saß ich auf dem Fenstersims der winzigen Wohnung, atmete die Novemberluft ein und verspürte auf einmal das Bedürfnis, diese rauchige Funkenfeueratmosphäre (Anm.: aus der Kindheit) noch einmal zu erleben, und meine kalten Hände sehnten sich nach Suppe.“ So etwas (und davon gibt es sehr viel) muss man dann schon mögen. Zitat vom Beginn eines Abschnittes mit dem Titel „Carbonara für Caroline“: „In ‚How to Eat‘ sagt Nigella Lawson, dass sie wie im Film für ihre Liebhaber Carbonara kocht und Letztere damit mit zurück ins Bett nimmt. Ich koche Carbonara für meine beste Freundin, wenn wir lange aufbleiben, wenn die Männer fort sind, wenn wir um Mitternacht schlechte Filme gucken und die Läden zu sind und wir etwas Herzhaftes und Salziges und Gutes brauchen“. Wie gesagt: das klingt doch sehr nach einer sehr spezifischen Zielgruppe.
So geht es weiter, mit ganzen Bergen von Worten und Rezepten, die – wie die Autorin an einer Stelle sagt – natürlich nicht authentisch sind. Da wird munter gematscht und ein Geschmack erzeugt, den kein Purist jemals gut finden wird, der aber natürlich der beste der Welt ist. Je länger es geht, desto penetranter wird die Sache, wie eine zu stark reduzierte Sauce, wie zu dichte Teriyaki, wie von allem zuviel, zu dick, zu überladen, und das eben nicht nur kulinarisch. Von den verschnatterten Wortbergen bekommt man schlechte Laune und wünscht sich dringend ein einfaches Landbrot mit kalter, ungesalzener Rohmilchbutter und einem passenden Stück Käse – wenn Sie wissen, was ich meine.
Und so wirkt das „Huhn“ trotz der – sagen wir: bodenständig-realistischen kulinarischen Erlebnisse – am Ende ein wenig zu sehr wie ein Buch für Freunde reichlich überzogener Nischenexistenzen, die vor lauter Egozentrik meinen, im Mittelpunkt der Welt zu stehen und kulinarisch selbstverständlich den kompletten Durchblick haben.
Die eher kulinarischen Aspekte können wegen der vielen Details ein grünes B bekommen, der Rest nicht.
Fotos © Callwey Verlag
Hier wird viel zu viel von einem Kochbuch erwartet. Viel Gequassel über persönliche Befindlichkeiten ist meine Sache nicht und gehört nicht in Kochbücher. Aber das ist meine Meinung. Wenn’s anderen gefällt? Dies ist ein freies Land. Mein Motto ist: wenn 1! Rezept in einem Kochbuch für mich relevant wird, dann hat es sich für mich schon gelohnt. Oder wenn das Buch etwas in meinem Denken über Kochen verändert, mir eine neue Richtung gibt. Fehlerfreie und durchgehend präzise Kochbücher kenne ich überhaupt nicht. Auch bei guten Büchern gibt es reichlich zu meckern. Darauf kommt es nicht an. Manche Menschen empfinden vielleicht ähnlich wie die Autorin und kommen so zum Kochen. Angesichts der vielen Fertigkost–Verzehrer wäre das doch schon ein Gewinn.
kulinarischer kuschelrock, bei dem das penetrant-geschwätzige schaffen einer bestimmten atmosphäre wichtiger ist als das resultat selbst.