Man braucht kein Prophet zu sein um vorauszusagen, dass es mit dem Fleisch sehr bald genau so weitergehen wird wie immer. Die Krisen und Skandale kommen und gehen, die Deutschen machen weiter wie immer: Wenn eine Kamera oder ein Mikrofon in der Nähe sind, kann man sich darauf verlassen, dass sie die reinsten Bio-Heiligen sind, vorwiegend vegetarisch leben, regelmäßig beim Bauern einkaufen und heimlich an entsprechende Organisationen spenden. Wie viel? Nein, das möchte ich in der Öffentlichkeit nicht sagen…
Tatsächlich werden die Parkplätze von Aldi, Lidl und Co. dann wieder von SUVs der teureren Marken wimmeln, für deren Finanzierung man ja spielend Geld locker machen kann, weil man „clever“ einkauft und im übrigen ja jeden Tag im Fernsehen von Sterneköchen gesagt bekommt, wie gut die Produkte vom Discounter sind, und wenn sie nicht so richtig gut sind, dann doch mindestens ein sagenhaft gutes Preis-Leistungs-Verhältnis habe.
Sie alle kennen diese Geschichten und Unmengen von Beispielen. Vielleicht sollten man sich aber jetzt einmal nicht damit begnügen, von „Geiz ist geil“ und ähnlichen Dingen zureden, sondern die Gründe – nein, die Leute suchen, die durch ihr Verhalten ganz entschieden dazu beitragen, dass sich Tönnies und andere Firmen bei uns so prächtig entwickelt haben und weiter entwickeln.
Ist das kulinarische Wahlverhalten Privatsache? Nein.
Tönnies ist der Metzger sehr vieler Deutscher, er ist eine Figur, die die deutschen Konsumenten sich verdient haben. Sie sind nicht Opfer von irgendwelchen Machenschaften, sondern haben das Terrain für solche Entwicklungen bereitet. Sie sind Täter.
Ein wichtiger Ausgangspunkt für dieses Verhalten ist die Mär davon, dass Essen sozusagen Privatsache sei, ein Akt freier Entscheidungen, in die niemand hineinzureden habe. Das mag auf den Einzelnen so wirken, ist aber natürlich vollkommener Unsinn. Jedes Verhalten im kulinarischen Bereich entsteht auf der Grundlage der jeweiligen kulinarischen Sozialisation, es ist vielfältig bedingt. Die daraus folgenden Entscheidungen sind bei weitem nicht „frei“, sondern das Produkt einer oftmals ausgesprochen „krummen“, lückenhaften, psychologisch höchst verwobenen, nicht selten bizarren kulinarischen Biographie.
Und – jedes kulinarische Verhalten hat Folgen, egal ob man etwas tut oder nicht tut. Wer nichts Gutes kauft, sorgt dafür, dass das Gute verschwindet. Wer bewußtlos Billigware kauft, ist für Verhältnisse wie bei Tönnies mehr oder weniger direkt mitverantwortlich.
Schlüsselbegriff „Qualitätsbewusstsein“. Warum sehr viele Leute an diesen Entwicklungen beteiligt sind
Wer kein Bewusstsein von kulinarischer Qualität besitzt und sich unter Missachtung der Folgen seines Verhaltens nur am Preis orientiert, verhält sich im höchsten Maße unintelligent. Bei der Frage nach der Herkunft eines solchen Verhaltens muss man alle diejenigen Gründe nennen, die das, was gute Qualität ist, ständig relativieren. Das Gerede von einem „gute Preis-Leistungs-Verhältnis“ (an dem sich sehr viele Leute beteiligen) ist ein verhängnisvoller Weg, der nicht selten eine Qualitätsspirale in Gang setzt, die immer weiter nach unten führt.
Täter sind hier vor allem in vielen Medien zu finden, in denen ständig mehr oder weniger schwache Produkte getestet werden – meist von Laien, meist ohne Beteiligung wirklich guter Produkte usw. usf. Solche Tests sorgen regelmäßig für eine Erosion der Qualitätsmaßstäbe und ebnen – um es ganz klar zu sagen – solchen Verhältnissen wie in der Fleischindustrie den Weg.
Täter sind auch alle Leute, die darauf beharren, dass schwache Qualitäten nicht als solche benannt werden, sondern mehr oder weniger „normal“ sind. Die Freunde industrieller Produkte wie vieler Systemgastronomie gehören ebenso dazu wie viele „Scheinintellektuelle“ aus dem Bildungsbürgertum, die oft eine präzise Hierarchisierung von Qualitätsmaßstäben mißachten oder sogar mit Spott überziehen. Wer zum Beispiel gute Restaurants und handwerkliche Erzeuger, die sich oft seit Jahrzehnten und ohne kommerziell-manipulative Hintergedanken um Qualität bemühen, als „Schickimicki“ o.ä. abtut, bereitet ebenfalls den Weg für die Dominanz der industriellen Billigware.
Wider die Anti-Produkt-Politik industrieller Geschmacksbilder
Ein großer Teil der käuflichen Produkte in unseren Supermärkten zeichnet sich durch stark überwürzte Geschmacksbilder ist, bei denen die Qualität der zugrunde liegenden Produkte keine Rolle spielt. Das gilt auch für viele vegetarische, vegane oder sogar Bio-Produkte. Diese Tarnung des eigentlichen Produktgeschmacks lässt auch die Verwendung schwacher Produkte, Reste aller Art oder ansonsten kaum verkäuflicher Teile zu. Je „abstrakter“ Gerichte, Tütensuppen oder viele andere Produkte schmecken, desto weniger braucht man sich um die eigentliche Produktqualität zu kümmern. Gleichzeitig schafft man es, die Reizschwelle, die Intensität für einen „guten Geschmack“ so hoch anzusetzen, dass sie von natürlichen Produkten nicht mehr erreicht werden kann. Damit ist der Kreis geschlossen und die Kundschaft gewöhnt sich an Geschmacksbilder, für die als Basis Produkte aus industrieller Massenproduktion ohne weiteres ausreichen.
Leider finden sich solche, von der Abhängigkeit an industrielle, „gedopte“ Geschmacksbilder bestimmte Produkte mittlerweile auch an vielen Stellen außerhalb der Industrie. Von Hamburgern bis zu asiatischen Küchen gibt es viele Formen von Gastronomie, die mit schwachen Produkten ihr Geschäft machen können, weil es bei ihnen auf die Qualität der Produkte nicht mehr ankommt. Selbst in der von vielen Gästen fetischisierten Regionalküche/Brauhausküche haben sich längst Geschmacksbilder etabliert, die ohne weiteres mit schwachen Produktqualitäten realisiert werden können. Dieser Virus sitzt längst tief und reicht bisweilen bis in die avancierte Küche.
Ein kulinarisches Konsumverhalten, das die Basis für Entwicklungen wie im Tönnies-Fall liefert, ist längst ein Problem, für das weite Teile der Bevölkerung bis hin zum Bildungsbürgertum die Basis liefern. Die Rolle des Opfers industrieller Machenschaften wird zwar gerne genutzt, entspricht aber nicht der Realität. Solche Entwicklung sind verschuldet. Wir alle haben mehr oder weniger damit zu tun.
Man sollte ein solches kulinarisches Wahlverhalten aggressiver kritisieren. Immer wieder und ohne den Einzelnen ständig in Watte zu packen.
Schlecht essen ist wie sich nicht waschen.
hi
was hört ihr gourmets eigentlich so für musik den ganzen tag? beethovens grosse fuge bdur, oder eine frühe klavierarbeit von boulez oder aleatorisches von cage? nee? vielleicht eher fetten blues, ’n harten rock oder ein schmalzschlagerlein? oder gar commoden jazz? wo blüht das musikalische herz auf?
blues ist wie tütensuppe, jazz wie convenient etc. – typische, meist überwürzte hör/geschmacksbilder. mit niedrigem harmonischen bewußtsein, vielen floskeln und vielen einheitsgeschackshervorbringenden vorhersehbarkeiten. echt lecker!!!
„Ist das musikalische Wahlverhalten Privatsache? Ja.“
gruss
andreas ullrich
Warum es bald wieder so weiter geht, bzw. weiter gehen wird!
Das wird es und wenn nicht in Deutschland wird die Produktion ausgelagert wie in der Textilindustrie damit wir es nicht mehr sehen.
Die Punkte die Sie ausführlich ansprechen, stimme ich zu.
Ist der Grund der Entwicklung nicht vielleicht viel älter und begründet in unserer gesamten Kultur. Wir sind nun mal keine Italiener, Franzosen oder Spanier die kulturell einen anderen Bezug zum essen haben, auch die Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder nicht zu vergessen. Die Frage ist, sind wir in unserer Gesellschaft in Deutschland überhaupt daran interessiert Essen , Körper,Kultur, Kunst in Beziehung zu setzen? Oder ist essen nur reine Nahrungsaufnahme damit wir nicht verhungern und arbeitsfähig sind, und nur zu großen Anlässen wie runde Geburtstage und Hochzeiten wo man möglichst viel und reichlich Essen präsentiert um seinen Status zu zeigen?
Ob intellektuelle Menschen oder nicht intellektuelle, ob Handwerker oder Lehrer durch alle Schichten, hat das tägliche Essen in der deutschen Kultur nur den Zweck satt zu werden und daher nie den Stellenwert bekommen, sowie in andere Länder wie Frankreich z.B. wo die Küche ein Kulturgut ist.
Es wird einfach so weiter gehen, welche Vertreter saßen bei Frau Klöckner am runden Tisch, Schwäbisch Hällische Erzeugergemeinschaft , Feinheimisch , bäuerliche Betriebe, ein Spitzenkoch mit Bundesverdienstkreuz, die Wissen wie Qualitätssicherung ökologisch und wirtschaftlich funktioniert und jeder seinen Lebensunterhalt verdienen kann!?
Die Politik hört denen zu die in ihren Büros vorsprechen, und das sind die die organisiert sind.
Sind wir organisiert?
Auch die Entfremdung vom Land, und das Stadtleben spielt eine große Rolle, Kinder haben keinen Bezug mehr zur Lebensmittel Produktion und das schon seit Jahrzehnten wie sollen Menschen die in der 2 und 3 Generation in der Stadt leben die Qualität von Lebensmittel beurteilen. Ich bin von der 1-4 Klasse in den Schulgarten gegangen zum graben, pflanzen und ernten, den Schulgarten gibt es jedoch schon 20 Jahre nicht mehr. Schule muss hier ausgleichen.
Da stimme ich vollkommen zu! Billige Lebensmittel aus industrieller Produktion sind oft hygienisch einwandfrei. Auch in Hinsicht auf weitere messbare Parameter wie Scherkraft (zart oder zäh), Verfügbarkeit, optische Erscheinung etc sind Billigprodukte den gut und nachhaltig erzeugten Vergleichsprodukten oftmals sogar überlegen. Denn darauf und auf ihren niedrigen Preis sind sie schließlich optimiert. Doch die ganzheitliche Beurteilung von Lebensmitteln verlangt Fachkompetenz, sie ist komplex und manchmal gibt es auch Widersprüche. Es ist ein tägliches Ringen um das beste Produkt, ein digitales richtig./.falsch gibt es oft genug nicht. Gute und praktikable Lösungen für Endkunden kann es nur geben, indem das Handwerk gestärkt und Vertrauen wieder hergestellt wird. Das muss aber wirklich gewollt sein und reine Lippenbekenntnisse genügen dafür nicht.
was ist denn das beste produkt? wie wird bewertet, wie wird gewertet-vieles liegt im auge und im gaumen des betrachters. das ahndwerk gestärkt? wo denn? das bäckerhandwerk mit den kettenbäckereien? das augenmekr liegt dann oft in der gestaltung des verkaufbereiches, modern , hell, einheistbrei, wo ist der bäcjker um die ecke der noch 2 bäckergesellen in der backstube hat? war alles zu teuer, kleine brötchen tec. dann kann seiner zeit herr kamps , mit seinen einheitsbackwaren, und viele fanden es toll, wo sind sie gebliben, die metgerein, bäckereien, der kleien bioladen ? dem konsum zum opfer gefallen, so wie der geschmack!!