Den britischen Starkoch Gordon Ramsay (58) haben viele Leute vermutlich nicht mehr so richtig „auf dem Schirm“ – zumindest nicht was Spitzenqualitäten angeht. Mit Dutzenden von Restaurants weltweit (die Angaben schwanken da etwas) und einer TV-Präsenz, die schon Jahrzehnte andauert, mit gerne leicht prollig wirkenden Auftritten usw. usf. ist er natürlich schnell in der Schublade der übermediatisierten Köche gelandet, deren Leistungen man oft zu recht nicht besonders erwähnenswert findet. Leider schaffen die Medien gerade im kulinarischen Bereich häufig ein völlig verzerrtes Bild – projektive Trivialität nenne ich das, etwas, das es in anderen Bereichen der Kultur kaum gibt: man findet das gut, was dem eigenen Niveau entspricht….
Und nun dieses Buch von Gordon Ramsay, das groß und edel daherkommt, mit Ganzleinen-Einband, goldener Prägeschrift und auch im Innern von der Aufmachung her den Eindruck von allererster Klasse vermittelt. Da erinnert man sich an das aufgeblasene Werk von Alexander Herrmann, in dem in großem Umfang alles Mögliche inszeniert wird, der eigentliche kulinarische Teil aber eher bescheiden ausfällt – von allerlei „Entlehnungen“ in verschiedenen Richtungen dieser Selbstdarstellung einmal ganz abgesehen. Ich habe hier darüber geschrieben. Verlage können sich allein solche Bücher üblicherweise heute nicht mehr leisten – oder meinen, sich so etwas nicht mehr leisten zu können. Aber wenn jemand wie Gordon Ramsay ein ganz tolles Buch machen will, wird er das schon machen können – sagen wir es so.
Hier erst einmal der Titel:
Gordon Ramsay: Restaurant Gordon Ramsay. Un parcours d’excellence. Hachette Livres, Vanves 2024. 304 S., geb., Ganzleinen, 45 Euro (in französischer Sprache, es gibt eine englische Ausgabe,s.u.)
Das Buch ist zuerst in England 2023 bei Hodder and Stoughton erschienen, ein Verlag, der ebenfalls zu Hachette gehört.
Fotos: John Carey, Mitarbeit bei den Rezepten: Matt Abé
Die Vorurteile sind also schnell da, auch bei mir. Dann aber interessiert mich am Ende doch, was es hier zu lesen gibt. Und da bringt Ramsay (und sein Team) eine Menge auf die Waagschale.
Das Buch
Das Werk umfasst im Kern 40 Rezepte aus dem kleinen Londoner Hauptrestaurant „Restaurant Gordon Ramsay“, das vor 26 Jahren gegründet wurde und nun seit 24 Jahren drei Michelin-Sterne hat. Um diese Entwicklung und ihren Fortbestand geht es auch in der einigermaßen begrenzt umfangreichen Einleitung und in den einleitenden Kapiteln, in denen man allerlei von der Karriere des Meisters und vor allem von seiner ziemlich totalen Fixierung auf die Michelin-Sterne erfährt. Das darf man aber heutzutage nicht mißverstehen: Ja, es ging bei dieser Generation vor allem um die Michelin-Sterne. Aber – diese Fixierung war eben keine formelle im engeren Sinne, keine Fixierung darauf, welche Bilder man produzieren muss, um up-to-date zu sein oder welche kulinarischen Zeichen die richtigen sind, um als modernes Gourmetrestaurant durchzugehen. Es ging gleichzeitig immer um das Fach als solches, weil die Lehrer dieser Generation noch die klassische Schule durchgemacht haben und in allererster Linie eine handwerkliche Fixierung hatten. Dass das zu Zeiten synonym mit den Michelin-Sternen war, lag eben daran, dass die stilistische Breite der Spitzenküche sich noch sehr in Grenzen hielt. Gordon Ramsay war zum Beispiel Schüler des ähnlich cholerischen Marco Pierre White, der Roux-Brüder oder von Guy Savoy.
Und hier erschließt sich dann auch die eigentliche Spezifität dieses Buches, die mit der Teil-Überschrift „Une histoire d’excellence“ durchaus korrekt beschrieben ist. Man kommt bei der Lektüre ganz schnell auf den Punkt, an dem man feststellt, dass hier wirklich über viele Jahre optimiert und an Details gearbeitet wurde, und dass diese Küche zum Beispiel im sensorischen Bereich eine erstaunliche Modernität und Präzision besitzt. Hier wurde erkennbar viel gearbeitet und erkennbar viel über die jeweiligen Konzepte nachgedacht. Und das führt dann durchaus zu dem Eindruck einer zeitgenössischen Orientierung – um das Wort „Modernität“ nicht zu stark zu strapazieren.
Im Einzelnen überzeugt zum Beispiel „Blanquette de Pintade, alliums, vin jaune, jus de viande“, also die Kombination von Perlhuhn mit Zwiebel- und Knoblaucharomen, dem Jura-Wein und einer Fleischjus. Wer sich ein wenig auskennt, wird die diversen Querverbindungen erkennen und diese Lösung gut und originell finden, vor allem aber sensorisch sinnvoll angelegt. Jeder Bissen von der Perlhuhnbrust bringt die klassische Sauce, die reduziert ist (na ja, etwas Gellan ist schon dabei), bis sie an der Brust „kleben“ bleibt („nappante“ ist) und dazu einen Hauch von einem oder mehreren der Aromen obenauf. Das ist produktnah konzentriert und begleitet und signalisiert genau das. Die kräftigeren Aromen vom Apparat an der Seite kann man dosieren wie man will – natürlich auch alleine im Wechselakkord essen. – Ähnlich konsequent ist der Aufbau beim „Côte de porc, navet, noix vertes au vinaigre, moutarde Pommery“, wo Ramsay einen Aufbau hat, der im Kern noch puristischer ist und eine der leider zu oft vergessenen Hauptregeln der guten Kochkunst glänzend demonstriert. Das Stück Fleisch wird weitgehend pur präsentiert, was bedeutet, dass man auf höchstem Niveau nicht nur ein exzellentes Produkt braucht, sondern auch eine exzellente Zubereitung. Wenn ich in Kritiken schreibe, dass etwas so gut schmeckt, dass man es ohne weiteres auch ohne jede Begleitung essen kann, ist das ein hohes Lob. Natürlich kann man in der avancierten Küche alles irgendwie alleine essen – gemeint ist hier eine Zubereitung, die so glänzend ist, dass man eigentlich gar nicht auf die Idee kommt, sie mit irgendeiner Begleitung zu „verwässern“. Das ist dann auch – nach bisher nicht widerlegten Regeln – große Kochkunst. Das Rezept verrät dann auch pure Handarbeit – kein Vakuum, aber viel aktive Handarbeit an der Pfanne und klar definierte Gar- und Ruhezeiten. Was man bei dem feinen Stück nicht sieht, ist, dass es durchaus eine kräftige Behandlung erfahren hat. Insofern sollte die Lektüre nicht nur aus der Wahrnehmung der Bilder, sondern auch der Rezeptdetails bestehen.
Gordon Ramsay hat eine Reihe überraschend feiner Zubereitungen wie etwa den „Vacherin Mont d’Or, tarte fine à l’oignon, cornichons à l’aneth, moutarde“, die mich mit dem Blätterteigboden an die Art und Weise erinnert, mit der Robuchon gerne gearbeitet hat – also krosse Teigelemente einzubauen, die einer differenzierten Oberfläche ein schönes aromatisch-texturelles Backup geben. Auch Harald Wohlfahrt hat ähnliche Degustationsringe gemacht, dort wie hier ist jeder Bissen variiert, bei Ramsay deutlich herzhafter angelegt und mit einem schönen Untergrund vom Käse, von dem man bei jedem Bissen etwas mit aufnehmen wird. Die sensorische Inszenierung spielt also abermals eine wichtige Rolle.
Fazit
Eine solche Stilistik nenne ich gerne „Großmeister-Küche“, weil sie einen Stil zeigt, bei dem es eher wenig auf die Zugehörigkeit zu irgendwelchen Trends ankommt und statt dessen eine offensichtlich über einen langen Zeitraum entwickelte Raffinesse tritt. Sie zu entwickeln, braucht Zeit und viele Erkenntnisse, einen langen Prozess, der ganz einfach bei Köchen, die noch nicht so lange auf höchstem Niveau arbeiten, kaum jemals vorkommt – Ausnahmen bestätigen die Regel. Diese ausgereiften, komplexen Zubereitungen gelingen nur dann auf höchstem Niveau, wenn die Möglichkeit besteht, die Produkte zuverlässig zur Verfügung zu haben, viele Hände, die mit großer Präzision jeden Schritt immer wieder ausführen und nicht zuletzt eine ständige Überwachung der Prozesse vom Wareneinkauf bis zum Finish. Die Anzahl der Variablen ist dabei so groß, dass sie von auch noch so talentierten Jungköchen nicht zu realisieren ist. Exakt solche Rezepte zeigt dieses Buch, und man hat den Eindruck, dass Ramsay voller Stolz auch ganz genau weiß, dass er nach wie vor in der Lage ist, so etwas zu realisieren.
Für den interessierten Leser geht es nicht darum, die Dinge zu betrachten und schnell in eine Schublade zu legen. Es geht darum, Zusammenhänge zu begreifen und die Richtung zu erkennen. Vielleicht kann man Elemente aufnehmen, Details realisieren und – bitte schön – auf keinen Fall irgendwie nur die Oberfläche kopieren. Man kann froh sein, dass Bücher dieser Art immer noch veröffentlicht werden – wie auch immer. Alle, die die ganze Lage der absoluten Spitzenküche überblicken, werden wissen, dass es nach wie vor eben nicht Unmengen von Zwei – oder Drei Sterne-Köche gibt, die alle absolute Superköche sind, sondern dass es nur eine begrenzte Zahl von Köchen gibt, die tatsächlich eine gewisse Meisterschaft erreichen. Dieses Buch zeigt die Arbeit von einem aus dieser Riege.
Alle Fotos: John Carey
Das ist aber schon der gleiche Gordon Ramsay, der Sie 2014 zu der immer noch verfügbaren FAZ-Rezension inspiriert hat, oder?
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/esspapier/kochbuchkolumne-esspapier-das-hat-grossbritannien-nicht-verdient-13175344.html