Mauro Colagreco: Mirazur. Ducasse-Edition, Levallois-Perret, 2018. Gebunden, 372 Seiten, 59.00 Euro
(in französischer Sprache)
Das erste große Kochbuch von Mauro Colagreco, dem Chefkoch im „Mirazur“ in Menton/Frankreich und gegenwärtig Nr. 3 in den „The World’s 50 Best Restaurants“ ist ein Prachtstück. Erschienen ist es zuerst 2017 in Buenos Aires, fand dann aber mit Alain Ducasse einen europäischen Verleger von Format und Geschmack. Der 42-jährige Colagreco ist auch in Deutschland spätestens seit seinem Auftritt bei der CHEF-SACHE im Jahre 2014 kein Unbekannter.
Das Buch als Kunstband
Das umfangreiche Buch mit seinem geprägten Leineneinband und der abstrakten Komposition auf dem Cover fällt erst einmal auf, weil es eine auffällige Mischung aus Kunstband und Kochbuch ist. Hier wird mit Bildern, Farben, der graphischen Gestaltung, unterschiedlichen Papieren und eingehefteten Teilen sofort ein anderer ästhetischer Eindruck erzeugt, als das bei den meisten Rezeptsammlungen in einer eher technisch orientierten Standardausführung der Fall ist. Im Vergleich zu vielen deutschen Büchern der Spitzenküche fällt auf, dass sich Colagreco eben nicht aus dem Angebotskatalog von Zulieferern bedient, sondern in der Region und mit den Produkten der Region kocht. Natürlich ist er in Menton in einer privilegierten Lage. Dennoch kann man sich das Prinzip seiner Arbeit durchaus auch an vielen anderen Orten vorstellen, weil hier eben durchaus nicht nur mit Luxusprodukten gearbeitet wird. Das Buch wird insofern nicht nur zu einem Koch-Kunstband, weil es viele künstlerisch konzipierte Fotos enthält, sondern auch, weil es eine Denkweise wiedergibt, die die Zusammenhänge von Mensch und Produkten und Landschaft als Kern der Arbeit im „Mirazur“ sieht. Der Leser hat nicht nur Bild und Rezept, sondern taucht sozusagen in die Welt des Mauro Colagreco ein.
Das Buch im Detail
Passend zum Konzept einer komplexeren Sicht auf die Arbeit im „Mirazur“ ist das Buch eher unüblich aufgebaut. Die großen Blöcke (nach einem Vorwort von Massimo Bottura) sind „Méditerranée“, „Jardins“ und „Montagne“. Die Bilder der Rezepte sind entsprechend zugeordnet, während die eigentlichen Rezepttexte am Ende des Buches zu finden sind. Eine besondere Inszenierung von Mauro Colagreco findet in keiner Weise statt. Stattdessen geht es um die Gegend, die Lieferanten und Erzeuger und um die Produkte. Es wird klar, dass auch Colagreco das Gefühl hat, an einem sehr privilegierten Ort zu arbeiten, an dem es eine Unmenge guter Produkte gibt. Zwei Fischer machen den Anfang. Dann geht es um die üppigen Märkte der Gegend, und wieder sind es die Bilder, die sprechen und ohne viele Worte auskommen. Nach eine „Ode an das Brot“ aus der Hand des chilenischen Schriftstellers Pablo Neruda folgen die ersten Rezeptfotos, die zeigen, wie produktnah die Arbeit Colagrecos ist. Es ist im ganzen Buch unübersehbar, dass hier dem Grundsatz gefolgt wird, dass man die richtig guten Produkte, die wirklich frisch aus dem Meer, aus den Gärten oder aus den Bergen kommen, dezent begleitet und bestenfalls optimiert.
Die Titel der Gerichte sind entsprechend: „Taschenkrebs, Mandel, Tagetes“, „Rhabarber, Rotkohl, Blaubeeren“ oder „Taube, Dinkel, Walderdbeere“. Dabei gibt es teilweise faszinierende Bilder, etwa beim „Carpaccio vom Ochsenschwanz“, das wie ein ferner Planet der Blüten und Kräuter aussieht. Und es gibt unter den 65 Rezepten auch immer wieder kreative Pretiosen wie etwa den „Seeigel mit Café und Mandeln“, ein Akkordgericht, das man als Koch wirklich verstehen muss, um nicht ins Plakative abzugleiten. In der Gartenabteilung ist – auf anderem Papier – ein Faltblatt mit den wichtigsten Kräutern der Gegend eingeheftet, und es gibt Gerichte wie Colagrecos „Tomate, Basilikum und Safran“, deren Auflösung mit einer Vielzahl von Blüten und Knospen eben nur an Ort und Stelle möglich ist.
Und wenn es dann an die „Berge“ geht, wird deutlich, wie wirklich sagenhaft privilegiert die Lage des „Mirazur“ ist. Gerade noch ging es um mediterrane Produkte in allerbester Qualität, da kommen auch noch Viehzüchter aus den Bergen, Almkäse, Pilze und die alpine Pflanzenwelt hinzu. Natürlich hat der Meister auch ein Gericht namens „Wald“, in dem sich – mit einigen sensorischen Ausweitungen in den Zubereitungen – jederzeit die Saison widerspiegeln kann. Nach „Schokolade aus Peru und Champignons“ folgen noch ein paar Bilder aus der Küche. Weitere Abschweifungen oder Selbstbeweihräucherungen gibt es nicht.
Die Rezepte sind vergleichsweise knapp gehalten. Wenn eher klassische Zubereitungen verwendet werden (oft bei Saucen), steigt die Anzahl der Bestandteile, während die meisten Elemente eines Gerichtes produktnah-knapp zubereitet werden. Insgesamt wirken die Rezepturen nicht besonders südamerikanisch geprägt und auch bei den beliebten asiatischen Zutaten hält sich Colagreco sehr zurück. Viele Dinge scheinen problemlos nachkochbar zu sein. Tatsächlich aber ist dies vor allem eine Produktküche, die hervorragend anregen kann, aber kaum irgendwo auf der Welt reproduzierbar sein dürfte.
Fazit
Ein sehr schönes Buch der sensiblen Art, eher kunstnah in den Bildern und der Präsentation, anregend, erfrischend konzentriert und klar in der kulinarischen Konzeption. Neben den Produkten sind vor allem die Ideen des Kochs das Wesentliche – was jederzeit und auch für die Zukunft ein vorbildlicher Ansatz ist. Mauro Colagreco bleibt Mauro Colagreco und zeigt auch nur sehr begrenzt Spuren seiner Avantgarde-Kollegen.
Das Buch bekommt 3 grüne BBB.
(Foto Cover: Verlag/Amazon)