Der französische Journalist Franck Pinay-Rabaroust ist ein ehemaliger Redakteur des Guide Michelin und Gründer der Website ATabula.com. Dort versucht er häufig, kontroverse Themen zu generieren – aktuell zum Beispiel eine Diskussion darum, ob die MOF-Juroren beim Bocuse d’Or die Zöglinge anderer MOF’s besser bewerten (MOF = Meilleur Ouvrier de France, ein Titel, der nach einem strengen Wettbewerb für handwerklich besonders gute Leistungen vergeben wird).
Pinay-Rabaroust hat das Steirereck in Wien besucht und regt sich in seinem umfangreichen Text (vom 23.9.2019) quasi über alles auf. In den ersten Sätzen seines Textes legt er dazu die Basis, indem er darauf hinweist, dass ein Restauranterlebnis eben nicht nur aus dem Essen besteht, sondern etwas mit dem Gast, dem Essen und dem Service zu tun hat. (Dazu eine persönliche Anmerkung von mir: Ich verzichte in meinen Restaurantkritiken bewusst sehr häufig auf Bewertungen von z.B. Ambiente und Service, weil die Einschätzungen der Gäste da oft sehr weit auseinander gehen und ich ganz allgemein da etwas belastbarer bin. Ich muss mich wirklich nicht über jede Kleinigkeit aufregen und konzentriere mich auf das Essen). Pinay-Rabaroust bereitet auf diese Weise seine Attacke vor, die gleich damit beginnt, dass er – trotz großer Mengen von Personal – nicht an der Tür empfangen wird. Es folgen Kritikpunkte in unablässiger Folge. Hier ein Auszug: Er ist an einem schlechten Tisch platziert, dort, wo viele Leute vorbeilaufen. Der Wunsch nach einem anderen Tisch in der Nähe wird abschlägig beschieden, weil dort ein Stammgast reserviert hat. Die Reihenfolge bei den Amuse Bouche wird nicht erklärt. Es dauert 15 Minuten, bis man nach seinen Weinwünschen fragt. Seine Jacke, die er auf einem Stuhl abgelegt hat, bleibt dort und wird nicht in die Garderobe gebracht. Beim Eingießen des Weins redet der Service mit einem Gast an einem anderen Tisch. Schon vor Beginn des eigentlichen Menüs hat Pinay-Rabaroust den Eindruck, als ob beim Service auch für den Rest des Essens nichts Gutes mehr zu erwarten ist.
Beim Essen geht es weiter so – offensichtlich von einer extrem schlechten Laune gesteuert, weil sich Pinay-Rabaroust schlecht behandelt fühlt. Die Aal-Vorspeise hätte das Niveau eines Brasserie-Gerichtes – mit faden Möhren und Pickles, die nicht säuerlich genug seien. Auch die nächste Vorspeise überzeugt in keiner Weise. Dafür kommt er in seinem Bericht immer wieder auf den Service zurück: eine solche Gleichgültigkeit hätte er noch nie erlebt. Der Stammgast am Nebentisch wird derweil sehr aufmerksam behandelt. „Das Fleischgericht? Ohne jedes Interesse und …ohne Salz!“. Dem Service fällt anscheinend dauern etwas hin. Er hält das Service-Personal für Clowns. Beim Gehen kommt er an der Küche vorbei und auch dort fällt einem Koch ein Topf aus der Hand.
Soweit ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung.
Der falsche Mann im falschen Beruf
Offensichtlich hat dieser französische Journalist eine grundlegende andere Einstellung zu den Verhaltensweisen in einem Spitzenrestaurant, als das viele andere haben. Er fühlt sich möglicherweise nicht so bevorzugt behandelt, wie er das aus seiner Heimat gewohnt ist. Ich konnte bei verschiedenen Restaurantbesuchen in Frankreich erleben, wie französische Kollegen dort auftreten. Nach außen erwecken sie nicht selten den Eindruck, als ob sie unter geheimen Vorkehrungen ihrer Arbeit so objektiv wie möglich nachgehen. Tatsächlich gibt es häufig große Auftritte, bei denen sie mindestens so gut behandelt werden, wie der Stammgast im „Steirereck“. Die fast pathologische Häufung der Kritik am Service, dieses Ergebnis einer regelrechten Überwachung, läßt darauf schließen, dass ihm die Rolle des normalen Gastes weitgehend unbekannt ist.
Beim Essen hat Pinay-Rabaroust offensichtlich die Macke wie viele seiner Kollegen, die einen von Salz, Pfeffer und den omnipräsenten Schalotten in Sauce und Flüssigkeiten verunstalteten Produktgeschmack für höchste Kochkunst halten. Die von Heinz Reitbauer sensibel freigelegten und zusammengefügten Produkte können dann natürlich nicht gefallen. Der Vergleich mit Brasserie-Gerichten (französischer Art) ist schon fast ehrenrührig. Da bittet man dann doch um Nennung der entsprechenden Etablissements. Und wer dann einmal nicht will, der kann auch nicht mehr. Ein sinnloser Besuch wird zu einem sinnlosen Text kondensiert.
Hatten wir das nicht schon einmal?
Teil 1: Der englische Kollege
Es gibt da einen ganz bizarren Zusammenhang, der darüber nachdenken lässt, ob sich Pinay-Rabaroust vielleicht für etwas rächen will. Im April 2017 erschien bei ihm ein Text, in dem er die Arbeit eines britischen Journalisten anprangerte, der nach Paris gekommen ist und das berühmte Restaurant Le Cinq kritisiert hat. Das wäre keine Staatsaffäre, aber beinahe doch – schreibt Pinay-Rabaroust dazu. Jay Rayner vom Guardian hätte darin ein Restaurant zerlegt, das in Frankreich quasi unisono gelobt würde. Und – siehe oben – „Alles ist Gegenstand der Kritik – von der Dekoration bis zu den Gerichten“ und „die berühmte Fischsuppe sei vor allem schwarz … und klebe wie der Boden bei Festen von Jugendlichen“. Der Kollege habe auch geschrieben, dass die Jakobsmuscheln eine Säure gehabt hätten, die nicht an das Produkt, sondern nur an Yuzu erinnert hätten … usw. usf.
Pinay-Rabaroust reagierte entrüstet bis beleidigt. Darf französische Küche nicht von außen kritisiert werden? Und was macht Pinay-Rabaroust hier mit dem Steirereck?
Hatten wir das nicht schon einmal?
Teil 2: In Paris
Ich habe da eine kleine Anekdote aus den 1990er Jahren. Ich war damals zu Besuch in Paris bei Alain Ducasse in seinem Robuchon-Nachfolge-Restaurant in der Avenue Raimond-Poincaré. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Kritiken geschrieben, sondern besuchte solche Restaurants aus purem Interesse. Ducasse galt damals eindeutig als weltbester Koch – was sich beim Essen für mich zum Teil auch bestätigte. Als ich in das Restaurant kam, wurde ich nicht in den Hauptraum mit der „falschen“ Bibliothek gesetzt, obwohl der Raum zu diesem Zeitpunkt quasi leer war und sich auch später nicht wirklich füllte (es war ein Mittagessen). Statt dessen wurde ich in einen hinteren Raum geführt, der bis auf meinen Tisch voll war. Aber womit? Mit all jenen Gästen, die ein französisches Drei-Sterne-Restaurant anscheinend nicht so gerne im Hauptraum hat, also ausschließlich Ausländer, darunter eine japanische Gruppe in Anoraks und mit kleinen Rucksäcken und ein texanisches Ehepaar, die Steaks essen wollten und allen im Raum ihre Lebensgeschichte erzählten. Ich fand die Ansammlung amüsant. Noch amüsanter fand ich allerdings die Tatsache als solche: der „Gast-Müll“ bleibt sozusagen außer Sichtweite. Vom Personal habe ich nur noch im Gedächtnis, dass es extrem brummig wirkte. Man tat eben seine Pflicht.
Später, als ich begonnen hatte für die FAZ zu schreiben erreichten mich nach Berichten über Pariser Restaurants immer wieder auch Beschwerdebriefe, in denen Gäste zwar meine kulinarischen Einschätzungen teilten, sich aber bitter über die Behandlung durch den Service beschwerten….
Fotos Steirereck © Jürgen Dollase
Als unbekannter Einzelgast erhielt ich den besten Platz im Steirereck – Blick auf Wien und den gesamten Gastraum, in dem dann auch noch Gilbert & George Platz nahmen. Mit gesenkter Stimme zu Frau Reitbauer: „Das sind doch Gilbert & George?!“ Sie, lächelnd: „Soll ich hingehen und sie fragen …?“ Souveräne Herzlichkeit. Und das Essen: denkwürdig. Beides unbezahlbar.
Wir waren dutzende Male in französischen Restaurants enttäuscht und fühlen uns vernachlässigt oder gezielt schlecht behandelt. Im Steirereck war das auch so. Gottseidank gibt es in Wien eine Menge anderer hervorragender Lokale. Außerhalb Frankreichs werden wir mit Zuwendung und innovativerer Küche bedacht – also kein Grund zur Klage! Wir gehen dahin, wo es für uns paßt !
Ich kann der Aussage vom Restaurent Moissonier nur zustimmen! Und auch Ihnen, Herr Dollase. Danke schön dafür.
Natürlich ist die Kritik absurd übertrieben, aber Ihre Kritik an dem Kritiker stützt sich leider vor allem auf Mutmaßungen und Vorurteile. Das ist auch nicht wirklich stichhaltig. Ich liebe das Steirereck, doch in der „Szene“ ist doch seit Jahren bekannt, dass man dort nach „Wichtigkeit“ hofiert wird – oder eben mit Desinteresse oder Arroganz gestraft. Manche behaupten sogar, dass die Teller mit sehr unterschiedlicher Akribie angerichtet werden. Solche Dinge dürfen nicht sein, und man muss sie in aller Schärfe benennen dürfen.
Ihre Einschätzung über die französische gastro Kritiker, trifft zu hundert Prozent zu!
Nicht selten mūssen Kollegen in der Provinz, Zug Ticket und Übernachtung bezahlen wenn Artikeln geschrieben werden.
Das Steiereck ist ein der beste Restaurant den ich besucht habe, verlangt aber Sensibilität und Gefühl, ein ihre Kollege sagte mir mal: eine weibliche, sensible Küche!
Toller Artikel, tolles Restaurant
Moissonnier