Ein ganz besonderes Dessert

Es gibt selten Anlass, in Deutschland über wirklich hervorragende Gerichte zu schreiben, die eine ebenso unerwartete wie überragende Wirkung entfaltet haben. Heute geht es um ein Dessert von Larissa Metz, der Patissière von Joachim Wissler im „Vendôme“ in Schloss Bensberg. Wissler hat erst kürzlich über sie gesagt, sie sei die beste Besetzung, die er je für diesen Posten gehabt habe. Und das will angesichts einer beträchtlichen Zahl von hochdekorierten Mitarbeitern im Laufe der Jahre wirklich etwas heißen. Frau Metz hat einen ungewöhnlichen Weg gewählt, weil sie schon kurz nach der Gault Millau-Auszeichnung zur Patissière des Jahres im Führer für 2022 das Mainzer Restaurant „Favorite“ in Richtung „Vendôme“ verlassen hat. Aus meiner Sicht war die Entscheidung insofern richtig, als sie von ihrer ganzen Art und Passion her einfach zu Wissler gehen musste. Sie hat vermutlich geahnt, dass sie genau dort das nötige Anforderungsprofil finden wird, das sie braucht, um auf Dauer hervorragende Leistungen zu bringen und sich weiter zu entwickeln. Wissler ist und bleibt dauernd kreativ, und das als ein echter State-of-the-Art-Koch, der mit allem „spielen“ kann, was möglich ist und dazu noch immer wieder Neues entwickelt. Und weil dies Alles nicht in den oft eher luftleeren Raum einer wahllosen Kreativität geht, sondern auf der Basis klassischer Techniken und klassischer Werte entsteht, ergibt sich eine Kreativität, die ein sehr breites Publikum erreicht.

Als Larissa Metz am 25.1.25 im Ballsaal von Schloß Bensberg ihr Dessert präsentierte, hatte es kurz vorher ein absolutes Weltklasse-Hauptgericht von Christian Bau gegeben. Nach einem solchen Erlebnis lehnen sich die Gäste meist erfreut und entspannt zurück. Und plötzlich merkte man, wie sich die Aufmerksamkeit der Gäste ganz schnell wieder auf dieses Dessert richtete. Kurz und gut: es gab eine riesige Überraschung und das bei allen Gästen – egal aus welchem Fach und mit welcher kulinarischen Vorprägung. Überragend und evident: das bedeutet kulinarisch immer ganz großes Kino. Auch ich selber war überrascht, obwohl die Geschichte dieses Desserts einige Monate zurückreicht. Damals hatte mir Joachim Wissler von einem Dessert für die Gala berichtet, das er überragend fände. Ich bekam einige detaillierte Informationen und war sofort dafür, dieses Dessert dort zu machen. Es klang gut, aber der tatsächliche Geschmack hat mich dann doch überrascht. – Ich habe Larissa Metz um Details gebeten. Hier sind sie:

 

 

Eisrose und Imperial Kaviar Beurre blanc, Bergamotte, Williams Christ-Birne, Jasminblütenaufguss (Larissa Metz)

„Eine Beurre blanc als Basis für das Eis zu nehmen hat seinen Grund in mehr geschmacklicher Tiefe.“

„Für die Beurre blanc wird Knollensellerie und Staudensellerie mit etwas Chili angeschwitzt und mit Noilly Prat abgelöscht. Nachdem alles zusammen reduziert ist, wird ein Fond angegossen. Dieser Fond besteht aus dem Saft von gegrillten Birnen und Quittenfond. Dazu kommen Wacholderbeeren und Lorbeerblätter. Das Ganze lasse ich über Nacht ziehen. – Danach wird der Fond mit Sahne gemixt und mit Butter montiert. Diese Eis-Basis wird mit Bergamotte abgeschmeckt und nach einem Reifungsprozess von 24 Stunden zu Eis gefroren.“

Anmerkung: Das Eis findet sich obenauf und ist sofort der Anlass für Überraschung. Das Rezept gibt den Geschmack zwischen Gemüse und dem klassischen Noilly Prat und dem Obst nicht wirklich wieder. Der Akkord schmeckt sofort ungewöhnlich, sehr „gemischt“ und absolut hochklassig und originell. Es ist kein Experiment mit irgendeiner Kleinigkeit, die einen neuen Reiz setzt, sondern wirkt ausgereift, komplex und so beeindruckend, dass übliche Vorstellungen von Desserts weit zurückbleiben. So etwas kann nur gelingen, wenn ein kulinarischer Kopf dahinter steht, der erkennt, was sich an Möglichkeiten bieten und sie weiterdenken kann. Es muss schließlich die Entscheidung kommen, dass das, was man da gerade macht, gut ist und man mit seiner Einschätzung richtig liegt.

„Die Williams Christ Birne wird in einem Fond aus reduziertem Champagner und Noilly Prat pochiert, der kalt mit Zitronen- und Orangenschale und Wacholderbeeren durchzogen ist. Bevor die Birnen dann in dem Sud vakuumiert werden, wird die Schale dieser Birne in dem Rauch von Salbei, Rosmarin und Thymian geräuchert und in den Sud gelegt. Die Birnen werden dann in dem Sud pochiert, in Würfel geschnitten und mit dem abgebundenen Sud angemacht.“

 

Anmerkung: Der Aufwand solcher Arbeiten ist den meisten Laien überhaupt nicht klar und wird mit dem Begriff „Aufwand“ im Grunde auch nicht richtig beschrieben. Gute Köche denken und arbeiten einfach multifaktoriell. Wenn sie anfangen zu arbeiten, geht es gleich mit mehreren Details los, die sie persönlich wahrscheinlich niemals als „besonders aufwändig“ bezeichnen würden. Sie haben für enorm viele Dinge handwerkliche Routinen entwickelt, die sie für ganz normal halten, die aber – wenn man sie denn notiert – nach viel Aufwand aussehen. Viel wichtiger ist das, was Laien sowieso nicht erreichen (oder nur in extrem seltenen Fällen): die hervorragende Orientierung im aromatischen Raum (oder auch, korrekter: im sensorischen Raum), die nur über die Komponenten Handwerk und Talent zustande kommt, wobei das Talent immer auch etwas Distanz zum. Handwerk hält und es immer wieder hinterfragt, bzw. neue Varianten und Wege entdeckt.

„Für die Reiscreme wird der Reis gewaschen. Dann wird er im Verhältnis 1:3 mit Kokosmilch, rosa Pfeffer, Piment d’espelette und Kaffirlimettenblättern langsam zum Kochen gebracht. Der Reis wird gemixt und durch ein Sieb gestrichen. Um die Creme etwas aufzulockern wird am Ende eine italienische Meringue untergehoben.“

„Der Ring, der die Reiscreme umschließt, besteht aus einem Gel, welches aus dem Pochiersud der Birnen hergestellt wurde, einer weißen Schokoladencreme, die mit etwas Wermut abgeschmeckt ist, Birnenperlen, die in Sauternes eingelegt wurden und Bergamottöl-Perlen.“

„Für den Jasminblütenaufguss wird der noch ungeräucherte Sud verwendet, der für die Birnen hergestellt wurde. Die getrockneten Jasminblüten werden kalt aufgelegt, damit sich nur die floralen Aromen entfalten können und keine Bitterstoffe entstehen.“

Anmerkung: Man kann hier anhand der verwendeten Produkte und Techniken das Endergebnis nicht wirklich antizipieren. Würde ich ein solches Rezept in einem Buch lesen, könnte es mir passieren, dass ich es schnell überlese und zur Seite lege. Vermutlich würde ich es – ein klein wenig Sorgfalt vorausgesetzt – aber nicht tun, weil mich das Zusammenspiel einer Reihe von ungewöhnlichen Dingen stutzig machen würde. Will sagen: man muss sich – wie Larissa Metz das macht – auch zu einem wichtigen Teil von den Klischees der eigenen Zunft befreien, die für bestimmte Aromen/Produkte und Techniken einfach immer nur bestimmte Schubladen vorsieht. Sie interpretiert die Sachen anders und bringt sie zu neuen Höhen. Klassiker der Patisserie werden so etwas lieben, weil mit einer solchen Denkweise die über viele Jahrzehnte erarbeiteten Grundlagen des Faches nicht einfach zur Seite gelegt werden.

 

Hier zum Abschluß noch einmal die Idee des Desserts, von Larissa Metz selber zusammengefasst:

„Das Beurre blanc-Eis hat durch die Herstellungsart einen besonders tiefen Geschmack. Die Bergamotte bringt die nötige Frische mit in das Eis. Das Eis kann dadurch mit dem starken Geschmack des Imperial-Kaviars harmonieren. Die leicht geräucherte Williams Christ-Birne bringt die nötige Frucht mit in das Dessert, während die Reiscreme die floralen Noten der Bergamotte aufgreift. Der Jasminblütenaufguss verleiht dem Dessert ebenfalls nochmals eine florale Frische.“

Anmerkung: Und – siehe oben – den Kaviar hat sie weiter gar nicht erwähnt, weil sie eben nicht mit dem „Kaviar-Background“ spielt, sondern das Produkt als Produkt sieht, das in diesem Zusammenhang eine sehr gute Rolle spielen kann. Natürlich hängt der Kaviar mit der Beurre blanc aromatisch zusammen, es handelt sich schließlich um eine ganz klassische Kombination. Verfremdet man aber nun (oder: interpretiert…) die Beurre blanc, reagiert der Kaviar mit seinen vielschichtig salzig-jodigen Aromen völlig anders – vor allem auch deshalb, weil hier Bergamotte beteiligt ist. Man kennt solche Effekte üblicherweise vor allem aus der Weinbegleitung, wo der Kaviar je nach Zusammenhang ganz schnell für sehr spezielle Effekte sorgen kann. Hat man aber in einer Komposition ein in dieser Form uminterpretiertes Element, folgt gerne der Rest ebenfalls, schmeckt also den wichtigen Tick anders, der nötig ist, um ein originell-individuelles Bild zu erzeugen. Das gelingt hier meisterlich.

Wir hoffen auf mehr in dieser Art – präziser: mit dieser Denkart.

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