Ein Bilderbogen von Alexandre Gauthier aus dem „La Grenouillère“ in La Madeleine-sous-Montreuil

Als Alexandre Gauthier in Frankreich im Jahre 2014 zum einflussreichsten Koch nach Alain Ducasse gewählt wurde, hatte man ihn in Deutschland noch kaum „auf dem Schirm“. Auch in Frankreich ist er immer noch nicht so ganz da angekommen, wo er eigentlich hingehört. Seinen zweiten Stern bekam er erst im Jahr 2017, und immer noch scheint er seine Landleute ein wenig zu spalten. Die kreativen Großmeister des Landes stehen geschlossen hinter ihm, aber die Traditionalisten bleiben zögerlich. Und das, obwohl Gauthier eigentlich genau das macht, was die französische Spitzenküche immer von sich behauptet, aber eben selten tut: er kreiert knapp und klar formulierte Gerichte mit wenig Elementen, die auf einer hervorragenden Produktqualität, einer präzisen Produktbehandlung und immer sehr guten Ideen beruhen.

Ich möchte heute eine Reihe von Bildern zeigen, ohne Kommentare im Detail, aber mit einer Diskussion des Gauthier-Stils und seiner Wirkung nach der Fotostrecke.


 

 

 

 

 

 

 

 
Diskussion
Gauthiers Arbeit hat erst einmal die Produkte ganz klar und ganz eindeutig im Mittelpunkt. Er geht dabei allerdings nicht so vor, wie das in manch einer anderen Avantgarde-Küchen der Fall ist, wo Produkte auch gerne einmal unbehandelt vorkommen. Seine Sorgfalt gilt einer Optimierung der Möglichkeiten, die man nahe am Naturzustand hat. Es geht um knappe Garungen (auch beim Fleisch), um eine Art mini-invasive Aromatisierung, die sich nie so weit vom Ausgangsprodukt entfernt, dass man nicht glasklar schmeckt, um was es sich handelt. Insofern ist er ein Purist der zweiten Art, der im Naturprodukt Nuancen zur Optimierung entdeckt und es mit seinen behutsamen Eingriffen zu sensationeller Qualität bringt. Das Geschmacksbild bleibt dabei nahe am Produkt und unterscheidet sich insofern deutlich von einer Küche, die sich eher im Zusammenhang mit klassischen Geschmacksbildern aller Art oder auch mit asiatischen oder mediterranen Geschmacksbildern usw. entwickelt. Die Irritation einiger älterer Großmeister in Frankreich bezieht sich dann auch meist darauf, dass es bei Gauthier eben nicht so schmeckt, wie bei ihnen.

Die knappe Formulierung von Gerichten im Stil von Alexandre Gauthier führt bisweilen zu Missverständnissen. Einmal ist knapp nicht gleich knapp (siehe oben), wenn die Elemente einer hochfeinen und sensiblen Optimierung unterzogen werden und nicht irgendwie mehr oder weniger roh nebeneinander gelegt werden. Zum anderen kann man bei Gauthier exzellent studieren, wie sich heutzutage ein Menü entwickeln kann, das wirklich modern verstanden ist. Was die einzelnen Gänge angeht, gibt es klare, nachvollziehbare Akkorde, ohne viele Elemente, eindeutig aufeinander bezogen und zu voller Wirkung gebracht. So spannend komplexe Gerichte auch sein können: die Klarheit in Gauthiers Küche hat große Vorteile und eine Eindeutigkeit, die ihre Vermittlung auch an ein großes Publikum und an Gäste, die die Avantgarde nicht kennen, möglich macht. Außerdem ist sie nicht demonstrativ bis provokativ in ihrer Reduzierung, sondern gefällt immer wieder auch mit einem geradezu üppig-süffigen Geschmacksbild. Insofern hat die Reduzierung bei Gauthier auch nichts von einer demonstrativen Autorität, die den Gästen unbedingt etwas beibringen will.

Dass Alexandre Gauthier auch unterhaltsam sein will, lockert das Programm weiter auf. Es ist dies aber nicht die Unterhaltsamkeit nach Art manch alter Molekularküchen-Menüs, bei der sich Gag an Gag gereiht hat. Es ist eine entspannte Unterhaltsamkeit mit guter kulinarischer Substanz – wie etwa bei den weißen Kugeln, in denen sich das komplette Aroma eines Brathähnchens verbirgt. Man findet eine ähnlich aufgelockerte Folge von Gängen ansonsten vielleicht noch bei Jonnie Boer in der „Librije“ in Zwolle oder auch bei den Roca-Brüdern, die sich bei aller kulinarischen Qualität immer wieder auch einen guten Gag gönnen.

Und weil Gauthier mit seiner Produktnähe, seinem undogmatischen Aufgreifen von regionalen Traditionen und seiner durchgreifenden, wirkungsvollen Kreativität auch noch einen vorbildlichen gastronomischen Ansatz verfolgt, der im Prinzip überall befruchtend wirken könnte, muss man ihn zu den ganz Großen der aktuellen Küche zählen. Er wird demnächst 40, ist also noch in einem Alter, in dem – angesichts der Biographien der Köche von heute – noch Vieles zu erwarten ist. Man sollte ihn unbedingt besuchen.

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