EDT-Selektion: Torsten Michels „Mosaik“ und ein Vergleich mit Harald Wohlfahrt

 

Anläßlich der wiederum sehr hohen Einstufung von Torsten Michel von der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn in der französischen „La Liste“ möchte ich eines seiner Gerichte für die EDT – Selektion analysieren, also jenen Ort, wo nur die ganz hervorragenden Dinge verzeichnet werden. Ich habe diese Rubrik eröffnet, weil es oft nur ganz bestimmte, singuläre Produkte oder Gerichte sind, die wegen ihrer Exzellenz wirklich aus dem Rahmen fallen. Nach der „Sulz“ von Matthias Dahlinger, die für eine geschmacklich überragende Regionalküche steht, geht es hier sozusagen um das Gegenteil, um ein Gericht aus einem Programm, das an der klassischen Haute – Cuisine orientiert ist, um ein Gericht, das man wegen seines kompromisslosen Aufwands kaum irgendwo nachkochen kann, um ein Gericht, das in seiner Art Maßstäbe setzt.

 

Torsten Michel und die Klassiker oder: warum zwei ähnliche Gerichte ganz anders sind

Es ist mittlerweile bekannt, dass Torsten Michel auch als Küchenchef von Harald Wohlfahrt schon für viele der stark klassisch orientierten Gerichte der „Schwarzwaldstube“ zuständig war. Mir persönlich ist allerdings in diesem Fach vor allem eine Trüffelsuppe mit Blätterteighaube aus jüngerer Zeit in Erinnerung, die Michel nach der berühmten Suppe gekocht hat, die Bocuse-Suppe für den französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing entworfen hatte (und zu der ihm Paul Haeberlin geraten hatte…). Ich habe verschiedene Versionen dieser Suppe gegessen und war deshalb bei Torsten Michel so erstaunt: seine Suppe stand den großen Klassikern in nichts nach, um nicht zu sagen: sie war besser. So etwas bringt mich natürlich nicht nur zu der Überlegung, warum das so war, sondern auch dazu, wie sich im Zusammenhang mit der klassischen Küche überhaupt Qualitäten entwickeln und wie vor allem überragende Qualitäten zusammenkommen.

Bevor es an diese Details geht noch ein Beispiel. Es gibt von Harald Wohlfahrt ein Gericht (siehe die Abbildung oben, aus „35x Harald Wohlfahrt), das in dem jüngst erschienenen Buch „35x Harald Wohlfahrt“ als „Signature Dish“ bezeichnet wird. Dieses „Mosaik von St. Jakobsmuscheln und schwarzem Trüffel“ hat eine ganz auffällige optische Ähnlichkeit zum „Mosaik von Knollensellerie und Perigordtrüffel“ von Torsten Michel – vor allem dann, wann man unter die obere Trüffelschicht kommt. Wenn man sich die Sache genauer ansieht, sind die Ähnlichkeiten natürlich im geschmacklichen Bereich nicht so groß. Es stellt sich aber die Frage, warum Torsten Michel dieses Wohlfahrt-Gericht sozusagen aufgenommen hat und natürlich auch, ob er der Meinung war, man könne sich zwar von der Optik als einem Teil des Prinzips anregen lassen, es dann aber völlig anders angehen.

 

Wer sich in der kulinarischen Klassik bewegt, sieht sich einer riesigen Geschichte gegenüber. Wer Moderne, Zeitgenössisches oder Avantgarde macht, vielleicht nur seinen Nachbarn.

Die Klassik erschöpft sich bei weitem nicht nur mit der Palette der verwendeten Produkte. Es reicht nicht, einfach nur irgendwie Trüffel, Kaviar und Foie gras zu benutzen und bei den Produkten drumherum irgendwie im klassischen Bereich zu bleiben. Das früher eine zeitlang extrem beliebte Mosaik von Jakobsmuscheln und Trüffeln habe ich selten in einem so guten Zustand bekommen, dass ich den Akkord wirklich überzeugend fand. Ich wurde einfach nie das Gefühl los, dass hier die Schwarz-Weiß-Optik eine überragende Rolle spielt, und die Köche dann versuchen, irgendwie das Beste daraus zu machen. Wohlfahrt ist bei seiner Fassung mehr in Richtung Jakobsmuschel gegangen und hat zum Beispiel mit Topinambur und karamellisierten Nüssen die immer wieder so genannte „Nussigkeit“ der Jakobsmuscheln verstärkt (..die allerdings eine sehr empfindliche ist und bei eher rohen Muschelscheiben längst nicht so ausgeprägt ist wie bei ganz frischen und sautierten…). Weil er dabei aber wieder einmal seinem Hang zu etwas mehr Süße als notwendig nachgegangen ist (die man bei Fisch bei ihm häufiger findet, obwohl seine wirklich herzhaft gehaltenen Muschel-Fisch-etc-Gerichte sensationell gut waren), gibt es zwar Wohlgeschmack, aber nicht unbedingt ein klassisches Gericht von absoluter Spitzenklasse.

Torsten Michel ist als Koch in den letzten Jahren deshalb so gut geworden, weil er erkannt hat, dass man auf dem Niveau einer klassischen Küche von Heute und Jetzt anders denken muss. Es geht natürlich nicht mehr um die erste Ebene der Zusammenstellung, also der reinen Kombination von edlen Materialien ohne viel weitere Hintergedanken. Es geht auch nicht mehr nur um die zweite Ebene, bei der versucht wird, mit diesen Elementen irgendeinen guten Zusammenhang herzustellen (wozu ich das Wohlfahrt-Gericht zähle). Es geht um die dritte Ebene, die aus einer intensiven Analyse dessen besteht, was – in diesem Falle – an das Trüffelaroma am besten andocken kann und mit welcher Wirkung. Torsten Michel hat einen herzhaften Weg gewählt und arbeitet mit Knollensellerie und einigen weiteren Aromen, die alle in irgendeiner Weise ein Kolorit entfalten, das die Trüffel perfekt inszenieren hilft. Ich zitiere Elemente aus seinem Rezept, das vollständig „Mosaik von Knollensellerie und glasiertem Perigord-Trüffel, Topaz-Apfel, Selleriepüree und weißen Zwiebelchen, Trüffel-Vinaigrette“ heißt: Es gibt also ein Sellerie-Püree, die Zwiebelchen, Schalottenkonfit, Apfelwürfel, Sellerie-und Trüffelscheiben, Trüffelbuttersauce und eine Trüffelvinaigrette. Diese Zubereitung sind allerdings alle „lang“, also so elaboriert, wie das für fast alle Zubereitungen in den ganz großen Restaurant typisch ist. Ihre Aromen werden mal verstärkt, mal in eine bestimmte Richtung interpretiert oder auch so gefasst, dass jede denkbare „Banalität“ unmöglich ist (womit ich meine, dass man, wenn man zum Beispiel auf eine Selleriescheibe beißt, sofort das Gefühl hat, man habe noch nie eine so gut schmeckende Selleriescheibe gegessen). Der gemüsige Rahmen für die Trüffel besteht also nicht einfach nur aus Sellerie und Zwiebeln/Schalotten/Apfel, sondern aus entwickelten Formen, die neben einer genauen Einstellung der aromatischen Intensität (meist: Abmilderung der Intensität, etwa durch Butter oder Sahne etc. bei gleichzeitiger Beibehaltung der aromatischen Qualitäten) auch eine texturelle Intensität bekommen, die ihre Funktion im zeitlichen Ablauf des Geschmacksbildes definieren. Gerichte dieser Qualität haben neben der aromatischen „Regie“ immer auch eine Textur- und Temperaturregie. Bei ihnen wird dafür gesorgt, dass sich das Geschmacksbild räumlich entwickelt, dass sich Vermischung so ergeben, wie sie gedacht sind, dass Nachhaltigkeit so eingestellt wird, dass der nächste Bissen optimal vorbereitet wird und dass sich zeitliche Verläufe über die unterschiedlichen Texturen (was eben auch Cremigkeiten etc. sind) ergeben.

Die „Schwarzwaldstube“ war schon früh ein Hort solcher Qualitäten – ich hatte noch bei der Rezension von „35x Harald Wohlfahrt“ darüber geschrieben. Torsten Michel hat nun – das wird mittlerweile immer deutlicher – an einem Punkt weitergemacht, wo es noch stärker um die Stilistik geht. Dass seine oben erwähnte Trüffelsuppe so genial ausgefallen ist, passt zu dem, was ich gerade zu diesem „Mosaik“ gesagt habe. Er hat eine Geschmacksästhetik rund um Trüffel und Co. entwickelt, die hervorragend ist, die durch und durch klassisch bleibt und wie eine Essenz aus vielen klassischen Gerichten wirkt, dies aber auf eine kochtechnisch sehr aktuelle und vor allem sehr aktuell verstandene Weise tut.

Wenn es das Ziel ist, alle möglichen Produkte und Zubereitungen auf ein solches Niveau zu bringen, hat man in der Kochkunst noch viel zu tun – was gleichzeitig auch eine Chance für die Klassik ist. Wenn ihre Denkweisen so entwickelt sind, wie hier bei diesem Rezept von Torsten Michel, kann sie nach wie vor mit leichter Hand ihre Position verteidigen. Modernisten aller Art müssen klar sehen, dass sie meist nur bei Ebene eins sind, die besten von Ihnen die Ebene zwei erreicht haben, und nur die Allerbesten (wie etwa Frantzén oder Redzepi in einigen seiner neuesten Rezepte) in ihren Kreationen die elaboriert-strukturierte und immer wieder rückgekoppelte Qualität der allerbesten Klassik-Rezepte erreicht haben. Das heißt dann automatisch, dass die Besten der jeweiligen Kochkunst-Fraktionen immer und jederzeit vor allen anderen bestehen müssen. Und es bedeutet für mich, dass Moderne und Tradition selbstverständlich immer vergleichbar sind. Oder – wie mir das einmal jemand an der Küste gesagt hat: „Wenn sich der Sturm gelegt hat, kann man die Wasserqualität besser beurteilen“.

 

 

1 Gedanke zu „EDT-Selektion: Torsten Michels „Mosaik“ und ein Vergleich mit Harald Wohlfahrt“

  1. Der Vergleich mit den Modernisten hinkt etwas, da deren Menüs in der Regel eine ganz andere Struktur besitzen. Kommt der Klassiker mit 4-6 Gängen aus, sind es in einem Avantgarderestaurant 15 bis über 30. Die vielen Snacks weisen selbstverständlich nicht den Grad an Komplexität auf und sollen es auch nicht weil sie eine andere Funktion haben. Gleichwohl tauchen auch solche Kleinigkeiten in einem Kochbuch auf. Der Anteil der elaborierten Kreationen ist somit automatisch kleiner als bei einem Klassiker.

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