Bei der FAZ – Gala zur Ehrung der „Lieblinge des Jahres 2022“ im großen Ballsaal von Schloß Bensberg am 28.1.2023 wurden von mir auch Nico und Jörg Sackmann vom Hotel Sackmann in Baiersbronn geehrt, und zwar in der Kategorie „Aufsteiger des Jahres“. Sie präsentierten ein ganz hervorragend schmeckendes Gericht, das viele Gäste überrascht hat und nachdrücklich die Auszeichnung bestätigte. – Dazu gibt es eine Vorgeschichte. Die Familie Sackmann hat die Corona-Zeit nutzen können, ihre ganz erheblichen Bau – und Erweiterungsarbeiten am Hotel abzuschließen. Das lange geplante Konzept mit der vollen Einbindung der Familie konnte anlaufen. Der neue Betrieb hat auf der Erdgeschoss-Ebene eine höchst beeindruckende kulinarische Meile mit – je nach Zählweise – fünf verschiedenen Restaurants/kulinarischen Angeboten.
Bei meinem letzten Besuch habe ich vor allem in der regionalen Murgstube und im Gourmetrestaurant gegessen und fand die Steigerung der Küchenleistungen sehr bemerkenswert. Man merkte, dass die Arbeit in der neuen Konstellation sehr viel Vergnügen bereitet und auch so etwas wie eine neue Freiheit darstellt was die kulinarischen Leistungen im engeren Sinne angeht.
Bei den Vorbesprechungen zur Gala hatten schon alle anderen Teilnehmer ihr Gericht durchgegeben – von mir stilistisch zurückhaltend angeregt, aber nicht so, dass ich bestimmte Dinge aus ihrem Programm unbedingt haben wollte (vom Dessert von Joacchim Wissler einmal abgesehen). Für Nico und Jörg Sackmann wurde wegen möglicher Überlappungen mit einem Gericht eines Teilnehmers eine Überarbeitung ihres ursprünglichen Konzeptes notwendig. Im Zusammenhang mit dem Telefonat mit Jörg Sackmann dazu war dann auch die Rede von einem Kuttelgericht, das ich in der „Murgstube“ gegessen hatte, und das mich absolut fasziniert hat (Kutteln mit Fourme d’Ambert überbacken plus Tomaten etc.). Aus diesem kulinarischen Umfeld heraus ist das Rezept für die Gala entstanden, und zwar neu und exakt zu diesem Anlass. Es hatte insofern Premiere.
Die Degustation: „Schwarzwaldforelle mit grünem Speck, Sauerrahm-Kutteln, Verbeneessig-Crunch und Portulakkartoffeln“
Die Anrichteform eines Gerichtes bestimmt viel darüber, welche kulinarischen Informationen dem Esser – sagen wir: nahegelegt werden. Wenn stark vereinzelte Elemente auf dem Teller liegen, liegt oft ein großer Teil der Wahl bei ihm. Sind alle Zutaten stark vermischt, wird er fast immer ähnliche Geschmacksbilder bekommen. Die vielleicht aus der Sicht des Essers beste Form ist die eines modifizierten Ragouts. Bei einer solchen Anrichteform bekommt man nie eine Information (Akkorde), die man nicht bekommen soll, hat aber ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Nico und Jörg Sackmann haben hier diese Form gewählt.
Wenn man mit dem Essen beginnt, ist es sehr wahrscheinlich, dass man immer etwas vom dem unter der schaumigen Sauce verborgenen Inhalt mitbekommt – egal, ob man diese Sauce direkt ansteuert oder ob man etwas vom Fisch oder den ausgebackenen Teilen nimmt. Der Fisch jedenfalls steht – auch wenn es ein wenig so aussieht – nicht wirklich im Mittelpunkt. Tatsächlich ist das Gericht ein ausgesprochen raffiniertes Spiel mit den diversen Zutaten, ein Spiel mit einer aromatisch und sensorisch ausgeweiteten Palette. Es ist hier kaum möglich, eine Gabel/einen Löffel von gleichem Inhalt zu essen: immer changiert der Akkord, von Schwerpunkten beim Aroma über Schwerpunkte in den krossen Texturen, von „sicheren“ Gefilden bis zu solchen, die zum Beispiel mit den Kutteln in für diese Zusammenhänge recht ungewöhnliche Gefilde gehen.
Dabei wird schnell deutlich, dass man es hier mit einer Küche zu tun hat, die seit Jahren kreativ arbeitet. Kenner werden merken, dass das Spektrum mit Kutteln, dem Essigjus oder Speck zu cremigen Elementen schon seit geraumer Zeit in immer wieder variierten und entwickelten Formen im Hause Sackmann zu finden ist. Für Kenner ist der Geschmack der Sackmann-Gerichte aber längst auch spezifisch, ein hoch entwickeltes System von erprobten und neuen Kombinationen, die so vielfältig und so groß an der Zahl sind, dass man mit ihnen immer wieder Überraschungen erlebt. In diesem Falle etwa wäre es nicht präzise genug, von einer Art verfeinerten Bodenständigkeit zu reden, nur weil Kutteln und Speck und Kartoffeln eine Rolle spielen. Die reine Verfeinerung bodenständiger und/oder regionaler Ressourcen ist längst nicht das einzige Ziel des Hauses Sackmann. Man hat erkannt, dass sozusagen die volle Emanzipation solcher Elemente möglich ist und dass das Spiel mit ihnen eine Vielzahl neuer Aspekte möglich macht. Insofern ist dies eine kreative Köche in einem sehr lebendigen Zustand, insofern ist sie eine Küche mit Zukunft, und insofern habe ich die beiden Köche in diesem Jahr als „Aufsteiger des Jahres“ geehrt.
Ein präziser Blick auf die Rezeptur
Es wird gerade beim Blick auf die Details sofort klar, dass es sich hier um eine hochentwickelte Küche handelt, die mit vielen Details schließlich zu diesem hochinteressanten, gleichzeitig aber auch sehr entspannt-süffigen Geschmacksbild kommt. Hier dominieren nicht einige wenige, mehr oder weniger originelle Details, sondern ein virtuoses Spiel mit den Mitteln, die sich in vielen Jahren kreativer Arbeit entwickelt haben.
Die Sauerrahmkutteln werden zuerst in Quadrate geschnitten, und gepresst eingefroren. Danach kann man sie in Streifen schneiden, die mehrfach blanchiert werden. Ihr Aroma bekommen sie in einem Sud, der von folgenden Aromen geprägt wird: Roscoff-Zwiebeln, Riesling, Verbeneessig, Noilly Prat, Fischfond, Sauerrahm, Lorbeer, Thymian, Kümmelpulver, Raz el Hanout, Bergpfeffer und Steinsalz. Die Kuttelstreifen werden in dem Sud gegart und gleichzeitig der Sud zur Bindung reduziert.
Die Verbeneessigsauce entsteht mit einem Ansatz von Zwiebeln, Verbeneessig, Riesling, Fischfond und Sauerrahm, der mit Brillat-Savarin und Robiola Tris angereichert wird und mit Cumin, Korianderpulver, Fenchelsaat, Thymian und Steinsalz abgeschmeckt wird.
Für die Beize der Murgtalforelle gibt es zuerst eine trockene Marinade mit Salz, weißem Rohrzucker, frisch geriebenem Ingwer, Limettenzesten, Zitronenpfeffer und Olivenöl. Später wird die Forelle teilweise in dünne Lappen geschnitten und mit Forellenkaviar gefüllt, teilweise zu Tatar verarbeitet,
Weitere Elemente sind Essigschalotten aus einem Pickelsud von weißem Tomatenessig, Riesling, Wasser und Zucker. – Eine Portulaktasche, bei der fein geschnittene Blätter mit Brillat-Savarin und geriebenem Parmesan vermischt werden, mit Bergpfeffer, Piment d’Espelette, Meersalz und Meerrettich abgeschmeckt werden und zusammen mit angeschwitztem grünen Speck in Filoteig verpackt und ausgebacken werden. Die Portulakkartoffeln sind ein Püree, das mit Nussbutter verrührt wird und mit pacossiertem Portulak vermischt wird. – Für das Tomatenconfit bilden blanchierte und in Würfel geschnittene San Marzano-Tomaten die Basis. Die Würfel werden mit angeschwitzten Schalotten 5 Stunden auf kleiner Flamme reduziert und mit Chili, Honig, Safran und Zitronenpfe3ffer abgeschmeckt. – Das Tomatenessiggel entsteht mit Tomatenessig, Tomatenessenz und Tomatenstücken, die mit destillierter Sojasauce und Mirin abgeschmeckt und mit Agar geliert werden. Der Verbeneessigcrunch hat als Basis den um 50% reduzierten Essig, der mit Mehl und Stärke zu einem glatten Tempurateig vermischt wird. Die Aromen dazu sind Salz, Piment d’Espelette und Sosa-Essigpulver.
Zum Servieren kommen noch ein Kartoffelchip und Kräuter dazu.
Auf dem Bild ist gut zu erkennen, dass es einige Basiselemente gibt, über die die aufgeschäumte Kuttelsauce gegeben wird. Dieser Anrichteform wirkt beim Essen eher wie ein Ragout (siehe oben), man bekommt alle Elemente mit einer mehr oder weniger intensiven Dosis von dem prägenden (aber eben sehr verfeinerten) Aroma der Kuttelzubereitung. Insofern gibt es dort einen aromatischen Schwerpunkt. Man kann sich von der gefüllten Forelle ein oder zwei größere Stücke recht pur nehmen, muss sie dann aber im Prinzip schnell zur Seite legen und nicht in der Sauce zerschneiden. Solche Einzeldegustationen sind immer sinnvoll und interessant, obwohl das Ziel hier immer ist, die schillernden Aromen der Kuttelzubereitung in unterschiedlichen Proportionen und unterschiedlichen sensorischen Zusammenhängen zu inszenieren.
Meine Gedanken zu diesem Gericht gehen auf Basis meiner persönlichen Küchenparadigmen in eine etwas andere Richtung ohne mit den Ihrigen in Widerspruch treten zu wollen. Es erinnert mich, auch dank der Rezeptur, an indische bzw. hinterindische Wege aus einfachen Zutaten einen die Grenzen der Grundprodukte sprengenden Rausch der Wahrnehmung und die Befreiung der kulinarischen Bodenhaftung zu erreichen. Also das was Kunst uns geben kann. Dies wird bei diesem Gericht nicht durch den Bau komplexer Masalas mit überwiegend tropischen Wurzeln, Kräutern, Samen, Harzen, Fermentationen etc. erreicht sondern mit ähnlichem Harmonie – und Komplexitätsempfinden durch regional geprägte Geschmacksmuster und Zutaten nachempfunden bzw. in den Schwarzwald übersetzt. In der Summe der einzeln in ihrer Vielfalt nicht mehr zu erfassten Zutaten und Prozesse entsteht so im besten Sinne eine Art „Currygericht“ welches dennoch nicht als Fusion zu interpretieren ist. Ein vielversprechender und anspruchsvoller Weg aus der kurzlebigen pseudokulinarischen Instagram-Tristesse.
Vielen Dank für die Rückmeldung. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Das kann man ohne weiteres so interpretieren. Gruß JD
Das war in der Tat ein echtes Highlight in diesem grandiosen Feuerwerk. Die Sackmanns hatte ich vorher gar nicht auf dem Schirm, aber sie haben mich wirklich begeistert.