Der französische Superstar Alain Ducasse ist in München gelandet, und zwar direkt am Viktualienmarkt und mit einem Laden seiner „Le Chocolat“ – Kette. Man muss das schon Kette nennen, weil Ducasse mittlerweile von diesen Läden eine ganze Reihe besitzt und mal wieder zeigt, dass er ein sehr gutes Gespür fürs Geschäft, die Verwertung seines Namens, seines Geschmacks und seines guten Rufes hat. Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen er in Paris in der Nähe des Etoile eine Art Epicerie eröffnet hatte. Weil ich immer sehr auf seine Angaben zu Qualität und zu Produkten geachtet hatte, bin ich natürlich neugierig hingegangen – nur um dann festzustellen, dass es dort keine Wunderdinge gab. Ich hatte ehrlich gesagt sogar den Eindruck, als ob man die diversen Öle und Essige etc. auch noch in besseren Qualitäten bekommen könnte. Als er später mit den Schokoladen begann, klang das alles deutlich fundierter. Dass er nun schon 28 Filialen hat, wundert mich nicht.
In München hat man erst einmal den Eindruck, als ob es sich um eine Art Devotionalienladen handelt. Im Schaufenster gibt es eine Reihe von Boxen mit einem breiten Tricolore-Banner und einer Aufschrift, die – sagen wir: die enge Verbindung zum französischen Staatspräsidenten zitiert. Die Schachteln als solche sind übrigens in Bio-Packpapier-Optik gehalten, also im höchsten Masse ökologisch korrekt. Auch das ist ja eine Ducasse-Baustelle. Drinnen rechnet man irgendwie damit, dass die Bedienung vielleicht fragt, ob man nur die Schachtel wolle, oder ob auch etwas drin sein muss…Aber, egal, das kann täuschen.
Die Preise sind jedenfalls exorbitant – auch im Vergleich zu seinen Kollegen. Für meine eher kleine Degustationsschachtel mit 21 verschiedenen Chocolats habe ich 39 Euro bezahlt. Für eine Tafel Schokolade von 75 gr. Gewicht 15 Euro (also mehr als online). Das ist gewöhnungsbedürftig und liegt – trotz „Cru d’Exception“ am oberen Ende des Marktes. So etwas fällt auf – unabhängig von der Qualität – und provoziert wieder Diskussionen darüber, ob kulinarische Qualität nur im Luxussegment stattfinden kann.
Die Chocolats
Der Eindruck des Drumherums und der Geschichte ist also einen Tick zwiespältig. Aber dann sitzt man vor den Chocolats und es geht nur noch um die kulinarische Qualität. Ducasse hat in dieser Mischpackung seine drei Hauptlinien vertreten, die „Ganaches Gourmandes“, die „Ganaches Origines“ und die „Pralinés à l’ancienne“. Die Gourmandes sind Füllungen mit diversen Aromen wie Himbeere, Cassis, Tonkabohne, Minze, Passionsfrucht & Kokos oder Kaffee. Die „Origines“ sind Füllungen auf der Basis von Kakao aus bestimmten Herkunftsgebieten wie Magagascar, Venezuele oder Peru. Die „Pralinés à l’ancienne“ sind die diversen Zubereitungen mit Nüssen und unterschiedlich dunklen Kouvertüren – von Haselnussstücken über geröstete Kokosnüsse und Erdnuss.
Der Eindruck, der sich für Leute, die häufiger mit guten Chocolats zu tun haben, schnell einstellt, ist der eines durchgehend großen Klassizismus. Ducasse sorgt in jeder seiner Chocolats dafür, das das Ganze klar und deutlich eine Chocolat bleibt und die diversen Aromatisierungen nie Überhand nehmen. Das gilt auch für die unterschiedlichen zeitlichen Abläufe, die sich je nach Machart einstellen. Es bleibt immer klar die Ansprache von der Kuvertüre, es gibt die mehr oder weniger starken Durchblendungen der Füllungen oder Mischakkorde, denen immer ein klar schokoladiger Abgang und Nachhall folgt. Was die Schmelzpunkte angeht, liegt Ducasse ebenfalls in einem – sagen wir: produktnahen Mittelfeld. Auch hier entscheidet er sich weniger für ein Dahinschmelzen des Ganzen als einen fruchtig-deutlichen Körper, der eben immer und jederzeit klassische Qualitäten hat. Und weil die Chocolats handwerklich gut gemacht sind (die Produktion bleibt in der Zentrale in Paris) hat man hier Qualitäten, die in Deutschland kaum je zu finden sind, leider eben auch nicht in der Spitzenküche, die ja oft eher Wert auf Zirzensisches als auf schokoladige Substanz legt. Die Chocolats gefallen mir also gut.
Als Beispiel: Die Tablette „Sao Tome & Principe“
Die Schokoladentafeln sind für mich (und viele Puristen) immer der ganz große Knackpunkt. Hier geht es bei den großen Chocolatiers um die Sache selber, es geht um die Grundqualitäten und ihre Verarbeitung, es geht um die Produkte, die man gefunden und verarbeitet hat und ob man in der Lage ist, unterschiedliche Provenienzen auch entsprechend klar zu machen.
Das alles kann natürlich nur wahrgenommen werden, wenn man die Schokoladenstücke richtig degustiert. Auf die Gefahr hin, hier etwas vorzuschreiben, muss ich sagen: wer ein Stück Schokolade nicht langsam lutscht, bis es sich quasi im Mund aufgelöst hat, wird nie im Leben erfahren, wie solche Dinge wirklich schmecken. Dazu gehört natürlich die Angleichung der Schokolade an die Körpertemperatur und ganz allgemein eine Degustation, bei der man vorher nicht Unmengen von Dingen gegessen hat, die den Mundraum parfümieren. Am besten trinkt man auch während einer solchen Degustation nichts außer Wasser, schon gar nicht, um die eine Sorte von der anderen zu „trennen“.
Bei Ducasse fiel mir auf, dass sein Angebot diverse Schokoladen von 75% Kakaogehalt hat. Das kann man diskutieren. Nachdem mittlerweile (nach einer kurzen und unsinnigen Kultphase vor etwa 15 bis 20 Jahren) niemand mehr unbedingt 80, 90 oder 100% essen will, sondern erkannt wurde, dass die größte Faszination, die größte Fruchtigkeit irgendwo so um die 70% realisiert werden kann, kann man interessante Beobachtungen machen. Mein Favorit ist – wohlgemerkt nur bei den Tablettes de chocolat – seit Jahren Patrick Roger aus Paris. Der ist zwar mehr als eine Art Schokoladenkünstler bekannt, leistet aber da, wo es auf Qualität ankommt, sehr gute Arbeit. Roger ist mit dem Kakaogehalt auffallend variabel und scheint ganz genau den Punkt zu bestimmen, welche Struktur zu welcher Provenienz passt. Bei ihm finde ich meist die Tablettes am besten, die irgendwo zwischen Mitte und Ende 60% haben.
Wie dem auch sei: Ducasse ist da schematischer und mit dieser Probe ebenfalls sehr gut. Er erarbeitet eine wunderschöne, fast saftig wirkende Frucht von großer Komplexität und mit all den gustatorischen Effekten, die ich oben beschrieben habe („Fruchtigkeit“ ist nicht nur auf Wein o.ä. beschränkt, bei guter Schokolade steht dieser Begriff im Mittelpunkt). Ist das 15 Euro wert? Ja. Wir haben tagelang Freude an einer solchen Tablette, weil ein oder zwei kleine Stücke oft ausreichen, um ein beeindruckendes Geschmacksbild zu bekommen.
Ich finde es schade, dass bei uns in Deutschland dieses Thema fast immer noch auf einem so kargen Niveau behandelt wird und sich für dieses faszinierende Thema auch in der Spitzenküche kaum wirkliche Interessenten finden. Viel zu viel Füllung mit irgendeiner Schokolade zusammenkleben ist viel zu schade für guten Grundprodukte.
vielen Dank für den Tipp. ich war am Freitag im Laden und durfte eine Praline mit schwarzem Sesam probieren. Sehr außergewöhnliche und lecker. Nach dem Abendessen kommt heute die zweite aus der Box dran.
Absolute High-End Pralinen – kenne ich aus Deutschland sonst nur aus dem Aux Chocolats in Münster! Jeden Euro wert!
Dankeschön für diesen wunderbaren Artikel.
Herr Dollase, ich verehre Sie, ganz old school und ehrlich! Vielen Dank für solche Texte, ich finde sie so wertvoll um meinen Geschmack zu schulen und damit meine Genussfähigkeit zu optimieren. Einfach mega!