Drei Sterne und mehr

Am 9. März gibt es die Vorstellung des neuen Michelin-Führers für Deutschland, am 23. die Präsentation des französischen Guides. Passend dazu habe ich heute zwei Bücher, die sich mit den besten Köchen der jeweiligen Länder befassen – in durchaus unterschiedlicher, aber in beiden Fällen interessanter und unterhaltsamer Art. Das erste hat den Titel:

Isolde Heinz/Gunnar Meinhardt: Drei Sterne. Mehr geht nicht. Eulenspiegel Verlagsgruppe, Berlin 2021. 176 S., geb. Hardcover, 28 Euro

Die Autoren sind einschlägig aktiv und besuchen gemeinsam seit vielen Jahren Sternerestaurants. Dazu ein Zitat: „Aus der Bewunderung und Verehrung für die Kochkünstler ist die Idee für dieses einzigartige Buch entstanden.“ Auf dem Aufkleber auf dem Titel heißt es: „Deutschlands beste Köche über die Lust am Kochen und Genießen.“ Das stimmt glücklicherweise nicht so ganz und führt unter Umständen auf eine etwas merkwürdige Fährte. Nein, es geht hier nicht um irgendeine angekitschte Schwurbelei mit vielen Blümchen- und Tafelsilberfotos, sondern um einen recht seltenen Fall von Buch mit einer recht seltenen Authentizität.

Die beiden Autoren haben nicht – im engeren Sinnen – durchgehende Texte geschrieben, sondern bestreiten dieses Buch vor allem mit quasi autobiographischen Texten der Köche. Zu Beginn jedes Features (es geht in alphabetischer Reihenfolge) steht ein großes Porträt des jeweiligen Kochs (meist aus den Beständen der jeweiligen Restaurants) plus ein kurzer einleitender Text und eine Auflistung des Werdeganges. Dann folgt der Text des jeweiligen Kochs, aufgelockert mit kleinen Bildern aus Restaurant, Küche und von Gerichten, dann ein oder zwei Rezepte. Pro Koch macht das 16 Seiten, also eine Länge, in der man eine Menge von Informationen unterbringen kann. Das Gute dabei ist, dass die Köche alle und ohne Ausnahme einen sehr entspannten, offenen und ehrlichen Weg der Auskunft einschlagen. Natürlich kann man nicht jede Aussage überprüfen und natürlich geben die Köche nichts von sich, was ihnen schaden könnte. Aber sie sind nicht – wie viele TV-Medienprofis unter ihren Kollegen – unablässig bemüht, ein ganz bestimmtes, „nützliches“ Bild von sich zu vermitteln. Ich kenne die Köche ja alle, teilweise schon sehr lange und habe oft schon viele Stunden mit ihnen diskutiert oder Gerichte in teilweise dreistelliger Anzahl von ihnen probiert. Der Eindruck, den sie hier machen, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Eindruck, den ich über viele Jahre hinweg von ihnen gewonnen habe. Das ist sehr positiv und bringt dem Leser eine hochinteressante Menge von Informationen über den Werdegang, die Ausgangssituation, die Persönlichkeit, die Ansichten zu allen möglichen Aspekten der Kochkunst, ihrer Vermittlung, ihren Grundlagen, ihrem Verhältnis zu den Gästen, zur Kritik usw. usf.

 

Beispiele: Clemens Rambichler vom „Sonnora“ etwa sagt, es sei vollkommen uninteressant, was ein Koch am liebsten isst: er jedenfalls koche ausschließlich das, was den Gästen am besten gefällt. Christian Bau berichtet, warum er in allen sozialen Netzwerken aktiv ist, Kevin Fehling über das „berühmt-berüchtigte Küchenklima“, Christian Jürgens über die Produkte, die man verarbeiten kann und sollte, Claus-Peter Lumpp darüber, das man am besten selber Vorreiter wird oder Marco Müller darüber, dass sie im „Rutz“ nicht gefallen, sondern „etwas Neues kreieren, etwas verändern“ wollten. Wie gesagt: das geht teilweise erstaunlich in die Details, weil man den Köchen einmal Raum gelassen hat, sich zu äußern. Insgesamt entsteht dann auch keineswegs das Bild von abgehobenen Küchenkünstlern, die vor allem teure Autos lieben und gerne bei der bewirteten Prominenz auflaufen, sondern – wie es gleich mehrere Köche betonen – vor allem das Bild von sehr fokussierten Handwerkern, die jeden Tag aufs Neue Höchstleistungen bringen müssen. Natürlich kann man das Gesagte mit dem vergleichen, was man selber weiß – auch über die manchmal nicht ganz so glänzenden Seiten oder die Schwankungen bei den jeweiligen Karrieren. Oder: man könnte die interessante Frage stellen, warum der jeweilige Koch bestimmte Gerichte und Bilder zeigt, andere aber nicht. Es ist eben sehr spannend zu lesen.

Ein sehr gut zu lesendes, sehr interessantes Buch, das auch ohne ein Rezeptbuch im engeren Sinn zu sein 2 grüne BB verdient.

 

 

Buch Nummer zwei kommt aus Frankreich, geht in eine ähnliche Richtung und hat ähnlich interessante Inhalte:

Véronique André: Petits Secrets de Grands Chefs. Portraits & Recettes Familiales des Grandes de la Gastronomie. Hachette Livre, Vanves Cedex 2021. 288 S., Hardcover, geb., 25.95 Euro (in französischer Sprache)

Der Ansatz dieses Buches ist ähnlich, nutzt aber eine etwas populäreren, nicht so textbezogenen Weg. Die Autorin hat zudem nicht nur die Drei Sterne-Köche befragt, sondern auch noch eine ganze Reihe anderer. Zielgruppe ist hier offensichtlich ein großes Publikum, das man mit einigen kurzen Statements und einem unkomplizierten „Familienrezept“ erreichen will. Der Aufbau der jeweils vierseitigen Beiträge hat ein gezeichnetes Porträt des Kochs/der Köchin, dann eine kurze Vorstellung mit den wichtigsten Daten und dann – sehr schön griffig und pointiert – kurze Aussagen zu vorgegebenen Kategorien (dazu gleich mehr). Es folgt eine Doppelseite mit dem jeweiligen Rezept plus Bild. Die erwähnten Kategorien sind: „Man sagt von ihm“ (ich nehme als willkürliches Beispiel etwas von den Antworten des begnadeten Neo-Klassikers Arnaud Lallement aus Reims) („Er ist in einem Topf geboren und hat schon mit 5 Jahren angefangen abzuschmecken“). „Man weiß von ihm“ (..dass er Säure perfekt ausbalancieren kann…), „Er bewundert“ (Paul Bocuse, Roger Vergé, Michel Guérard, Arnaud Donckele, Olivier Nasti, Emanuel Renaut, Anmerkung: ich bin nicht sicher, ob deutsche Köche so ohne weiteres Namen von gleichrangigen Kollegen nennen würden, die sie bewundern…), „Was er nicht missen möchte“ (Zitrone, Champagneressig…), „Seine wichtigsten Gerichte“ (Langustine royale, Hummer als Hommage an seinen Vater…“), „Was die Autorin probiert hat“, „Sein kleines Laster“ (Ein Kartoffelpüree mit viel Butter), „Das, was immer geht“ (Kochschinken am Knochen, Pasta und Reis, Sardinen und Thunfisch), „Zu Hause kocht er…“ (Pasta mit Tomate, Gratin dauphinois oder pain perdu), „Uns sagte er:“ („Nie ohne meine Frau, weil mein Haus mit ihr Eleganz bekommt“). Das mag auf den ersten Blick ein wenig wie ein Boulevard-Fragebogen daherkommen, hat es aber im Detail oft in sich.

Bei Glenn Viel, dem neuen Drei Sterne-Koch vom „Oustau de Beaumanière“ erfährt man zum Beispiel: „Ich mache Alles bei 47 oder 48°, das ist mein Konzept der Temperaturbehandlung. Oberhalb verändert sich die geschmackliche Wahrnehmung.“ (Anmerkung: Als Sensorik-Spezialist kann ich dazu nur sagen: na klar, wenn die Temperatur wesentlich die geschmackliche Wahrnehmung dominiert, bekommt die Aromatik eine andere Rolle im zeitlichen Verlauf der Wahrnehmung…). Man erfährt, dass er Saucen extrem konzentriert und viele Produkte unter Druck gart (also tatsächlich zusammenpresst und nicht nur per Vakuum). Und noch ein schönes Zitat von Guy Savoy: „In einer Welt, die immer künstlicher wird, arbeite ich in einem Handwerk, das ununterbrochen im Konkreten bleibt.“ Von solchen und ähnlich interessanten Aussagen gibt es in diesem Buch sehr viele.

Die Rezepte, die hier einer “cuisine familiale“ vorbehalten sind (also keine Beispiel aus der Spitzenküche sind wie bei dem deutschen Buch oben), geht es mit viel Augenmaß und durchaus guten Ideen zu – zum Beispiel bei der Tarte mit Ziegenkäse, Erbsen, Minze und konfierter Zitrone von Arnaud Donckele oder wunderbar konfiertem Chicoree mit Orange von Christophe Bacquié.

Auch dieses Buch ist sehr interessant zu lesen, nicht so konkret am Alltag eines Spitzenkochs orientiert, aber dafür mit ein paar mehr konkreten Details – übrigens auch bei den Produkten.

Auch dieses Buch bekommt wegen des interessanten Inhaltes (nicht wegen der Rezepte…) 2 grüne BB

 

Illustrationen: Lucie Colinot/Hachette Livre

 

 

 

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