Dass ich dieses Thema der Kategorie „Gourmetwatch“ zugeordnet habe, hat damit zu tun, dass es hier nicht nur um eine Aufzählung von Büchern unserer besten Köche geht, sondern um eine Frage der Dokumentation. Und da gibt es Probleme, weil der „freie“ Markt ganz offensichtlich nicht dafür sorgt, dass wichtige Informationen in diesem Bereich dokumentiert und verbreitet werden. Zu diesem Thema habe ich auf www.eat-drink-think.de schon geschrieben. Deshalb hier nur eine kurze Darstellung vorab:
Die Leistungen unserer besten Köche sind nicht nur etwas, das in Restaurantführern erwähnt und bewertet wird. Es handelt sich auch nicht nur „einfach um gutes Essen“, sondern um eine kulturelle Leitung von Gewicht und Einfluss. Es geht hier nicht um irgendein „Geschwurbele“ um die wichtige kulturelle Bedeutung von gutem Essen (die das Essen zweifelos hat) , sondern erst einmal ganz einfach um einen Bereich, in dem intensiv an Optimierungen und Neuerfindungen gearbeitet wird, in dem sich eine spezifische Form der Gastronomie entfaltet und in dem sich ständig und seit vielen Jahren die entscheidenden kreativen Anregungen für die Entwicklung der Küche insgesamt ergeben. So etwas muss man dokumentieren, und alle Beteiligten des Systems Gastronomie (und übrigens weit darüber hinaus) müssten ein Interesse daran haben, dass dies geschieht.
(Nebenbei: ich habe hier auch schon vorgeschlagen, wie man die Dokumentation von Gerichten so gut wie möglich realisieren könnte…)
Um den Stand der Dinge einmal etwas übersichtlicher zu gestalten, habe ich hier eine kleine Liste der Publikationen in repräsentativer Buchform von einer Reihe aktiver Drei Sterne-Köche (egal, ob sie diese Auszeichnung gerade haben oder nicht…) zusammengestellt und kurz kommentiert. Auf Veröffentlichungen in Heften oder in verkürzter Form (etwa die SZ-Reihe) habe ich wegen der geringeren Repräsentativität nicht zurückgegriffen. Vollständigkeit wird nicht garantiert und war nicht das Ziel…
Kevin Fehling
Prodigy, 2014
Stilistisch einerseits durchaus noch ein Thema, im Detail aber eben auch schon 8 Jahre alt
Claus-Peter Lumpp
Bareiss, Große gastronomische Oper, 2004
Nahaufnahme Lumpp/Leitner, 2011
Stilistisch noch ein Thema, im Detail ist die Entwicklung zu einer wesentlich leichteren, essentielleren Küche bei Claus-Peter Lumpp nicht erfasst.
Jan Hartwig
Kein Kochbuch
Das Buch „Sternenleben“ von 2021 ist kein Kochbuch im engeren Sinne. Jan Hartwigs Arbeit im „Atelier“ war sehr vielfältig und hat enormen Einfluss bekommen. Diese Phase ist bisher nicht dokumentiert, ein Buch kann aber noch erwartet werden.
Christian Bau
Innovation durch Tradition, 2004
Einblicke, 2008
Bau.Stil, 2011
Bau.Steine, 2018
Die Arbeit von Christian Bau ist sehr gut dokumentiert. Im grunde sollten (und könnten) eine ganze Reihe von Köchen in ähnlicher Dichte publizieren. Bei Bau war der Vorteil eine erhebliche Kreativität, die sich als stilistisch bahnbrechend erweisen sollte. Seine japanischen Aspekte sind bis heute ein häufig zu findendes Stilmittel in Gourmetrestaurants.
Klaus Erfort
Drei Sterne-Küche. Zu Hause, 2019
Ein einziges Buch von Substanz über etliche Jahre hinweg ist so ungefähr das Minimum.
Helmut Thieltges/Clemens Rambichler
Kein Kochbuch
Die Arbeit von Helmut Thieltges ist nicht in Buchform dokumentiert. Ausgerechnet ein Koch mit einem sehr präzisen, klassisch inspirierten Geschmacksbild, das mittlerweile nur noch eher selten zu finden ist, hat sich einem Buch immer verweigert – wie auch ansonsten öffentlichen Auftritten als Koch außerhalb seines Hauses. Ich habe ihm alles Mögliche als Lösung für dieses Problem vorgeschlagen, konnte ihm aber nur einmal ein Weihnachtsmenü für die FAZ entlocken.
Sein Nachfolger ist allerdings ein bestens geschulter Vertreter der Thieltges-Schule, der in absehbarer Zeit vielleicht dann doch einmal ein Buch angehen wird.
Marco Müller
Kein Kochbuch
Marco Müller ist noch nicht sehr lange Drei Sterne-Koch, hätte aber auch schon vorher ein Buch füllen können. Auch hier darf man auf Aktivitäten hoffen. Seine klar individuelle Küche ist natürlich besonders interessant, außerdem gibt es hier viele hochmoderne Kochtechniken, die von den üblichen Techniken oft weit abweichen.
Sven Elverfeld
Küche der Gefühle, 2004
Sven Elverfeld, Das Kochbuch, 2011
Elverfeld hat zwar mit dem Buch von 2011 seine damalige Werkphase sehr gut dokumentiert, aber in der Zwischenzeit eine ganze Reihe weiterer wesentlicher Arbeiten kreiert. Insofern sind über zehn Jahre eine zu lange Zeit.
Christian Jürgens
Phantasie und Perfektion, 2005
Menüs für alle Sinne, 2009
Das Kochbuch 2012
Christian Jürgens ist stilistisch gut repräsentiert, die Veränderungen seit dem letzten Kochbuch sind nicht so groß wie bei anderen Köchen
Joachim Wissler
Joachim Wisslers Sterneküche, 2003
JW 4, 2010
Das erste Buch von Wissler kam sehr früh, das zweite dokumentiert in einer damals neuartigen Weise seine wichtigste Werkphase im ersten Jahrzehnt. Seither gab es aber eine Vielzahl von neuen Aspekten, die nicht dokumentiert sind.
Nils Henkel
Pure Nature, 2010
Flora 2021
Die Arbeit von Nils Henkel ist gut dokumentiert – vorausgesetzt, der Flora folgt auch die Fauna. Auch seine Arbeit mit Dieter Müller wurde gut dokumentiert, weil die Rezepte von Dieter Müller regelmäßig publiziert wurden (Müller gehört zu den erfolgreichsten Kochbuchautoren in der Spitzenküche)
Thomas Schanz
Kein Kochbuch
Ist noch zu „neu“ dabei und außerdem stilistisch nicht so prägnant wie manche Kollegen.
Torsten Michel
Kein Kochbuch
Obwohl schon lange in der „Schwarzwaldstube“, ist es bisher noch nicht zu einer Dokumentation in Buchform gekommen. Michel hat sich sehr schnell entwickelt und einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, eine Maximalküche, die in ihrer Art von großer Konsequenz ist. Das wiederum müssen erst einmal alle Beteiligten erkennen…
Die Dokumentation der Arbeit von Harald Wohlfahrt war nie perfekt. Wir haben darüber gesprochen, und Wohlfahrt selber war nie mit dem Output zufrieden – zum Beispiel weil sich Veröffentlichungen oft ohne großen Plan kurzfristig ergeben haben. Es gibt:
Feines aus meiner Küche, 1998
Kunst und Magie in der Küche, 2007
…und noch ein paar wichtige Köche ohne Bücher:
Thomas Bühner: Thomas Bühner ist leider ohne großes Buch geblieben, und das obwohl er über Jahre hinweg immer wieder wichtige kreative Akzente gesetzt hat. Ich selber bin allerdings im Besitz einer Art Privat-Edition.
Matthias Schmidt: Schmidt war in der „Villa Merton“ in Frankfurt einer der frühesten und konsequentesten Nova Regio-Köche. Als er seine Restaurant-Laufbahn aufgegeben hat/aufgeben musste, hatte er längst ein beträchtliches Werk vorzuweisen
Andreas Rieger: Mit seiner Arbeit im „Einsunternull“ in Berlin hat Rieger ein kreatives Highlight gesetzt, das weit mehr Beachtung verdient gehabt hätte. Die „Rettung“ für ihn wäre vielleicht ein schneller zweiter Stern (oder sogar ein dritter…) gewesen. Aber da haben weder Michelin noch andere Führer genügend Verständnis von Moderne entwickelt. Es bleibt zu hoffen, dass Rieger irgendwann einmal wieder machen kann, was er will.
Felix Schneider: Mit seiner eigenwilligen Nova Regio-Küche geht Schneider ebenfalls markante neue Wege, die dringend dokumentiert werden sollten
Und noch ein paar Anmerkungen:
Ich darf vielleicht auf die Arbeit in Port Culinaire hinweisen. Das Magazin der Familie Ruhl ist – auch was die Dokumentation angeht – ein ganz wichtiger Hafen. Alle Köche von Rang werden und wurden hier ausführlich gewürdigt und damit weit über das übliche Maß hinaus dokumentiert. In meiner jeweils sehr umfangreichen „Avantgarde“ – Serie bin ich nun schon jenseits von Folge 50…
Nicht nur die Verlage, sondern auch die Köche könnten noch etwas zulegen
Am Ende des Tages dreht sich natürlich sehr viel um Geld. Die Absichten sind immer gut, und zwar bei einer ganzen Reihe von Verlagen. Es scheint allerdings oft so zu sein, dass das, was die Köche oder Gastronomen erwarten, zu viel ist und sehr teuer werden würde. Viele Köche haben auch irreale Vorstellungen von dem, was sie verkaufen können, und wenn ihnen das dann klar wird, verlieren sie auch schon einmal die Lust…
Förderungsmittel?
Wenn es denn irgendwo ein übergeordnetes Interesse an einer guten Dokumentation gäbe, würden sicher auch Mittel eingesetzt um so etwas zu realisieren. Das ist im Moment noch nicht erkennbar, sollte aber irgendwo realisierbar sein. Wichtig ist, dass im Moment noch das Bewußtsein fehlt, also vor allem die Einsicht, eine solche Dokumentation sei sinnvoll. Vielleicht wäre so etwas auch einmal ein Fall für Mäzene.
Ein „Ausweg“ wäre eine „abgespeckte“ Dokumentation, die mehr auf Inhalt als auf Repräsentation des Restaurants/Hotels setzt. Die berühmte Serie „Les Recettes Originales de…“ von Robert Laffont aus Frankreich (70er/80er Jahre) war lange Zeit ein Vorbild. Sie hat nicht nur die Arbeit der wichtigsten Köche ihrer Zeit dokumentiert, sondern bringt auch heute noch mit ihrer Konzentration auf viele Rezepte (und relativ wenige Bilder) unschätzbare Informationen. Ich persönlich fände es sinnvoll, ein solches Projekt auch in Deutschland zu starten.
Eine wunderbare Sammlung, grossartig für jedes Bücherregal, danke für’s Zusammenstellen und teilen!
Herr Schmidt heißt nicht Andreas, sondern Matthias (Villa Merton)…