Während der Corona-Krise haben viele Restaurants damit begonnen, Einnahmequellen außerhalb des normalen Restaurantbetriebs zu erschließen. Neben dem Außer Haus – Verkauf und der Zustellung von Gerichten nach Art eines Pizza-Service innerhalb eines bestimmten Bereichs rund um das Restaurant gab es auch verschiedene Restaurants, bei denen man Gerichte bundesweit bestellen konnte. Mittlerweile haben fast alle Restaurants wieder geöffnet, und viele von ihnen haben mit dem Tag der Öffnung diese „Ersatz-Aktivitäten“ wieder eingestellt. Es stellt sich nun die Frage, ob das Versenden von Zutaten oder kompletter Gerichte nicht doch soviel Perspektive hat, dass man es weiter betreiben sollte. Was spricht dagegen, ein Paket mit Material zu bekommen und Gerichte nachzukochen? Wird daraus nur ein mattes Abbild des Originals, oder entwickelt sich vielleicht sogar ein zusätzlicher Reiz, der das Ganze auf eine ganz eigene Art faszinierend machen kann?
Ich habe mir die „Sosein-Box 6“ (120 Euro für 2 Personen) von Felix Schneider und Co. vom höchst kreativen Zwei-Sterne-Restaurant „Sosein“ in Heroldsberg bei Nürnberg angesehen – zu Hause, ganz normal mit der Post geliefert. Dazu erst einmal ein paar Vorbemerkungen:
– man sollte ganz genau checken, wann die Box geliefert werden kann und alles so einrichten, dass man quasi sofort mit der Zubereitung beginnen kann. Das ist vor allem wegen der mitgelieferten Kräuter und Frischeprodukte einfach besser. Die „Sosein“-Leute reden von Zubereitung innerhalb von 2–3 Tagen. Ich empfehle möglichst schnell zu beginnen.
– es gibt keine Rezepte, sondern ein Video auf dem „Sosein“-Instagram-Account. Dort wird die Zubereitung erklärt, wobei man ein paar Dinge selber machen muss – zum Beispiel eine spezielle Hollandaise. Ein klein wenig sollte man also vom Kochen verstehen.
– es gibt keine Bilder von angerichteten Tellern, und Felix Schneider schlägt zum Beispiel auch vor, bestimmte Gerichte mit zu Hause eventuell vorhandenen Produkten zu ergänzen. Das Anrichten liegt also beim Käufer, wobei sensorische Aspekte dabei natürlich eine wichtige Rolle spielen
– es gibt unter #Soseinbox6 (aber auch unter #Soseinbox ohne Nummer) einen Instagram-Account für eine Foto-Community. Dort gibt es – von Nummer 6 noch nicht so viele – Bilder von Käufern und der Art, wie sie angerichtet haben. Die Fotos der beiden Gerichte in diesem Text stammen von Manne Uhlig (weitere Fotos finden Sie auf Instagram) und zeigen, wie er die Vorgaben umgesetzt und angerichtet hat. Zum Entenei in der Brühe (s.Instagram) zum Beispiel hat Felix Schneider gesagt, dass man es machen könne, wie man will. Bei Manne Uhlig ist es eher klassisch gekocht, also mit gestocktem Eiweiß und einem weichen Eigelb, das einen Hauch Festigkeit an den Rändern hat. Ich habe in meiner Fassung nur das Eigelb genommen und es vorsichtig bei ca. 53–56° C pochiert. Wenn ein solches Eigelb in der Brühe liegt, hält es so gerade eben die Form, kann dann aber mit dem Löffel abgestochen werden ohne sich gleich völlig in der Brühe aufzulösen.
Hier noch zwei Links zu Manne Uhlig:
#manneuhlig #trinkspeisfein
Was man bekommt
Geliefert wird ein würfelförmiger Karton mit einer dicken Innenisolierung aus Strohplatten und Kühlung von Coolpacks. Es gibt eine Reihe von größeren und kleineren Gläsern, vakuumierte Produkte, einen Eierkarton, ein Brot in Papiertüte und diverse weitere Papiertüten für Gemüse und Kräuter. Die Tüten sind traditionelle Papiertüten wie in alten Geschäften hier und da noch üblich. Sie konservieren ein wenig von der Feuchtigkeit der Pflanzen, sorgen aber – anders als Plastiktüten – für eine Belüftung, die die Pflanzen relativ gut erhält ohne Schwitzwasser zu erzeugen. Dennoch sind Gemüse, Pflanzen und Kräuter der Grund dafür, dass man die Sendung so schnell wie möglich verarbeiten sollte.
Das Menü (zitiert aus der beiliegenden Speisekarte, meine Anmerkungen sind in Klammern)
Sosein-Brot:
– mildes Weizensauerteigbrot mit 2 Tagen Teigführung (kommt in einem guten Zustand an, weil es ein ganzes Brot ist)
– Schulterkochschinken vom Mangalitza-Wollschwein
– Backenschinken vom Mangalitza-Wollschwein
– geröstetes Mangalitzaschmalz mit Schnittlauch (vom Rösten eher aromatisert als dominiert)
– luftgetockneter Rückenschinken vom Mangalitza-Wollschwein
– geräucherter Störbauch (ein sehr schönes Produkt, fast etwas archaisch im Geschmack, aber nicht penetrant)
– gereifter Ziegenfrischkäse
Schweinebauch gepökelt und gekocht vom Mangalitza-Wollschwein mit Brühe:
– Brotshoyu-Reduktion (intensive, variierte Shoyu-Fassung)
– fermentierter Ingwer (nicht sehr stark verändert)
– Brühe mit Kohlrabimiso („schmeckt ein wenig wie Kohlroulade“ sagt Felix Schneider dazu. Wirklich nur ein wenig)
– 2 Enteneier von Familie Schneider (zur Zubereitung siehe oben)
– Blätter vom japanischen Bergpfeffer (harte, gut wirksame Blätter, geben kleinen Flash)
Junge Rübe aus dem Garten mit Navetten-Beurre blanc:
– Radieschen, Rettiche, Karotten, Mairüben (man soll ruhig aus eigenen Beständen ergänzen und gerne unterschiedliche Garungen nutzen, um mehr Varianz in die Texturen zu bekommen)
– milchsaurer Navettensaft (mit dem Dillöl ein charakteristischer Hintergrund für Sosein“ – Gerichte)
– Dillöl
– Schnittlauchblüten
– Austernblätter
– Kapuzinerkresse
Spargel weiß:
– 6 Stangen Bleichspargel von Familie Reinhardt (wird in Sud aus Schalen und Essig und Estragon gegart, ein wenig in Richtung Säure und etwas Bitternoten verschoben
– Birnenessig
– Hot Lemon Tabasco
– 2 Eier
– Estragon
– Scharfer Mauerpfeffer
Süße Kräuter:
– Minze, Pfefferminze, Puffbohne, Tagetes
– Robinienblüten
– Liebstöckelsirup
– 3-Milch-Joghurt (gemixt aus Milch von dreierlei Tieren, auch hier eine milchsaurer Hintergrund, vor dem sich die Kräuter anders entwickeln. Die Süße sorgt für eine sehr gute Einfassung/Abrundung. Zwischen Milchsäure und Süße hält sich das Eigenaroma der Kräuter besonders gut, ohne dass die Bitternoten Überhand nehmen)
– Cassismark
– fermentierte und getrocknete Himbeeren (darüber hinaus waren im Paket auch Haskap-Beeren, sie sind auch auf dem Bild zu sehen)
„Special Effects“
Es macht natürlich erst einmal sehr viel Vergnügen, eine solche „Wundertüte“ auszupacken. Man bekommt nicht nur die originellen Zubereitungen, sondern eben auch eine ganze Reihe von Produkten, die man normalerweise kaum jemals irgendwo kaufen kann.
Die einzelnen Teile sind nicht beschriftet, was im ersten Moment wie ein Problem aussieht, tatsächlich aber keines ist. Bei den Pflanzen/Kräutern sollte man sich ein klein wenig auskennen. Die Zubereitung ist für Leute, die ein wenig von der Küche verstehen, nicht schwierig. Was allerdings nicht bedeutet, dass man nicht ein gutes Stück „Spiel“ etwa beim Anrichten und den Proportionen hat. Es bleibt die Frage, ob Fotos der Gerichte zugänglich sein sollten, um bei diesem Punkt näher an die Resultate zu kommen, die die „Sosein“-Leute sich gedacht haben. Die mit Brotshoyu-Reduktion und fermentiertem Ingwer marinierten Bauchspeckscheiben etwa kann man sicher ohne weiteres zum Servieren in die Brühe legen. Es wäre aber auch denkbar, sie außerhalb der Brühe zu servieren und sie abwechselnd mit der Brühe zu essen. Auf diese Weise käme die Marinade stärker nach vorne.
Es scheint mir wichtig zu sein, dass man das Geschmacksbild im „Sosein“ an Ort und Stelle kennenlernt – auch und gerade die Verwendung der Kräuter, Gemüse und Pflanzen. Vor diesem Hintergrund kann man die angebotenen Gerichte sehr gut einordnen und schätzen. Die Box wird dann zu einer absolut seriösen Sache, die eine Menge mit dem „Sosein“ zu tun hat und nicht nur eine Art von Zitaten liefert. Es war mir ein Vergnügen, auch auf diese Art einmal wieder Kontakt zur „Sosein“ – Küche zu bekommen. Und – es hat seinen ganz besonderen Reiz, sich die Zutaten für einen Gang zusammenzustellen, die Zubereitungshinweise auf Instagram zu hören und dann zu sehen, wie sich in der eigenen Küche das Geschmacksbild einer solch kreativen Küche entwickelt.
Ein Angebot wie die „Sosein-Box“ sollte man beibehalten und optimieren – vielleicht mit ein klein wenig Feinschliff in den Details nach einer Rückkoppelung mit den Käufern und ihren Erfahrungen. Eine solche Box ist eine potentielle Erweiterung des Geschäftsfeldes und im übrigen eine hochinteressante Antwort auf die Fertiggerichte-Branche, die schon seit vielen Jahren mit riesigem Aufwand ihr Geschäftsmodell entwickelt hat.
Großartig auch, was das 2-Sterne Le Moissonnier in Köln seit 12 Wochen mit einem stetig wechselnden Menü auf die Beine stellt, und in Köln, Bonn und Düsseldorf persönlich an die Türe bringt.
Das Steirereck in Wien hat unter dem Titel „Hausbesuch“ begonnen, Speisen in Gläsern anzubieten, und behält dies wegen des Erfolges bei.
Andere Projekte (u.a. eine „Box“ von Mraz & Sohn) wurden wegen bürokratischer Behinderung noch während der Schließzeit wieder eingestellt.
Und? Haben Sie die auch bezahlt? Das ist ein Hinweis, der hier grundsätzlich auf Eat, Drink & Think fehlt!
Identischer Gedanke kam mir ebenfalls. Wieso stellen die besternten ihren Service (egal in welcher Form) direkt wieder ein?
Sie können die neu gewonnen Kunden doch auch weiterhin bedienen, die aktuelle nicht 100prozentige Auslastung dadurch etwas auffangen und auch später Umsätze zu vollem Haus generieren.
Auch bei fertigen Menüs gut plan- und durchführbar.
Auch von mir herzlichen Dank für diesen schönen Artikel. Da ich einerseits ein großer Fan der nordischen Avantgarde bin und andererseits mir die neuen take away Formate bislang viel Vergnügen bereitet haben, für mich eine hochwillkommene Empfehlung!
Und auch von mir ein kleiner Hinweis, weil es mir ein Restaurant besonders angetan hat: das Ox und Klee hatte für mich klar das überzeugendste Konzept entwickelt (und das bei enorm starker Konkurrenz in Köln). Hier ist es wirklich gelungen kein schaler Abglanz zu sein sondern einen fundierten Vorschlag zu machen, wie ein solches Format erfolgreich umgesetzt werden kann. Ein Beweis, dass diese neuen Konzepte wirklich tragfähig sind und hoffentlich bald auch ohne Covid-19 weiterentwickelt werden.
Lieber Herr Dollase, eine weitere Empfehlung meinerseits ist die „Grund-Kiste“ der Hamburger 100/200 kitchen von Thomas Imhoff.
Danke für Ihren Artikel über dieses neue Angebot diverser Restaurants.
Bester Gruß Barbara Denz